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Pharmazie in der Krise

Medizin. - Das inzwischen traditionelle Treffen der in Mosbach erörtert sowohl wissenschaftliche als auch wirtschaftliche Aspekte des Faches. In diesem Jahr fokussiert die Diskussion einmal mehr die Pharmaforschung. Zwar bescheren moderne Technologien, darunter auch die Gentechnik, mitunter beeindruckende Erfolge, doch auch die Probleme scheinen sich zu mehren. Auch an wirklichen Innovationen scheint es der Industrie zu mangeln.

    Riesige Summen investierten deutsche Pharmaunternehmen in Forschung und neue Technologien. So können heute dank Computern und Laborrobotern sehr viel mehr Erfolg versprechende Substanzen in kürzerer Zeit auf ihre Wirkung analysiert werden. Dennoch waren echte Durchbrüche und Innovationen in den vergangenen Jahren die Ausnahme. Die Euphorie der 90er Jahre sei einem nüchternen Realismus gewichen, konstatiert Günther Wess, Leiter der Wirkstoffentwicklung bei Aventis Pharma in Frankfurt am Main: "Die jährlichen Neuzulassungen zeigen, dass viele dieser Hochdurchsatztechnologien nicht zu einen größeren Zahl neuer Medikamente geführt haben."

    So wurden während der vergangenen zwei Jahrzehnte konstant jedes Jahr zwischen 35 bis 40 neue Wirkstoffe auf den Markt gebracht - trotz der fortschreitenden technischen Entwicklung. Während in den 60er Jahren noch aus jeder Hundertsten getesteten Verbindung eine neue Arznei erwuchs, verzeichnen die Forscher heute nicht einmal bei jeder Millionsten Substanz einen Treffer. "Ein wesentlicher Punkt ist, dass die heute synthetisierten Moleküle nicht gut mit den biologischen Anforderungen übereinstimmen. Die Chemie, die wir betreiben, passt nicht richtig zur Biologie", klagt der Fachmann. Wie bei einem komplexen Sicherheitsschloss muss ein Botenstoff exakt in einen Rezeptor passen, der dann wieder eine gewünschte Reaktion von Zellen aktiviert. Doch nicht einmal taugliche Schlüsselrohlinge seien zu finden, trotz aller Bemühungen von Strukturanalytikern und Biochemikern.

    Die nüchterne Erkenntnis könnte den Abschied vom lange propagierten Dogma der Theorie vom Passepartout für jedes Bio-Schloss bedeuten, denn die Kunstmoleküle wirken eben nicht annähernd wie ihre biologischen Originale. So ist der Gewinn vor allem einer an Erkenntnis, so Wess: "So lernen wir, wie komplex eigentlich biologische Systeme funktionieren und wie wichtig es ist, sich auf das Gesamtsystem und das Wechselspiel seiner Komponenten zu konzentrieren." Selbst das vollmundig als "Apolloprogramm der Biologie" titulierte Humangenomprojekt scheint bei weitem nicht die Erwartungen zu erfüllen, schätzt Gerhard Müller, leitender Chemiker beim niederländischen Pharmaunternehmen Organon: "Wir haben zwar eine grobe Idee von den rund 30.000 menschlichen Genen, doch wir wissen überhaupt nicht, wie wir die Brücke von diesem Knowhow hinüber zu einer beschleunigten Medikamentenentwicklung schlagen können."

    [Quelle: Hellmuth Nordwig]