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Phil Collins wird 65
Alles kann, nichts muss

Mit Peter Gabriel wieder auf Tour? Mit der alten Band Genesis? Oder doch ein neues Album? Nach Jahren in einer Art Frührente scheint für Phil Collins mit 65 wieder vieles möglich. Der Superstar genießt die wieder wachsende Wertschätzung für sein Werk.

Von Marcel Anders | 30.01.2016
    Der britische Sänger, Songwriter und Produzent Phil Collins lächelt am 21.11.2013 bei einem dpa-Interview in Stuttgart.
    Der britische Sänger, Songwriter und Produzent Phil Collins (picture-alliance / dpa / Bernd Weißbrod)
    "Ich bin öfter in einem Hotel in Miami. Und der Typ, der mir die Koffer aufs Zimmer bringt, ist so 30, 32. Er meinte: 'Wann bringen sie wieder ein Album raus, Mr. Collins? Wir vermissen sie. Es gibt niemanden, der solche Musik macht.' Das hat mich echt bewegt. Genau wie die Bedienung in einem japanischen Restaurant. Sie kam zu mir und meinte: 'Ich bin mit ihrer Musik aufgewachsen.' Und mein erster Gedanke war: 'Wow! Vielleicht sollte ich wieder etwas machen.'"
    Ein Wunsch, der - so Collins - jeden Tag wächst. Nicht nur, weil er ständig darauf angesprochen wird, sondern auch, weil ihn seine beiden jüngsten Söhne dazu drängen. Die, so sagt er, hätten ihn noch nie auf der Bühne erlebt - und würden spüren, wie sehr er die Musik vermisst. Von der hatte sich Collins 2011 verabschiedet, um sich ganz dem Nachwuchs aus dritter Ehe zu widmen. Doch obwohl der ehemalige Schlagzeuger von Genesis inzwischen geläutert ist - sein Gesundheitszustand macht den Rückzug vom Rückzug de facto unmöglich.
    "Ich kämpfe mit diesem neurologischen Problem im linken Arm, das ich mir 2008 auf der Genesis-Reunion-Tour zugezogen habe. Da fiel es mir jeden Abend schwerer, 'Los Endos' zu spielen. Und ich weiß bis heute nicht, was dahinter steckt. Aber ich kann keinen Schlagzeugstock mehr halten - ich kann ihn einfach nicht greifen."
    "Dann hat sich der Idiot in mir durchgesetzt"
    Eine Verletzung, die ihn auch kein anderes Instrument bedienen, geschweige denn komponieren lässt. Weshalb Collins zwar darüber redet, wie gerne er wieder aktiv wäre und mit Genesis, Peter Gabriel oder auch alleine touren würde. Doch dazu wird es vorerst - und entgegen anderslautender Gerüchte - nicht kommen. Deshalb arbeitet er vorerst an seiner Autobiografie und überwacht die Neuauflage seiner bisherigen acht Solo-Alben. Den Auftakt machten "Face Value" und "Both Sides" - als digital remasterte Doppel-CDs mit umfangreichem Bonus-Material wie Live-Stücken und frühen Demos. Darunter eine alternative Version von "The Roof Is Leaking" mit Eric Clapton.
    "So habe ich den Song ursprünglich gehört. Und ich wollte unbedingt, dass Eric darauf Gitarre spielt. Doch dann hat sich der Idiot in mir durchgesetzt, der alles perfekt haben wollte. Also habe ich einen anderen Gitarristen engagiert, nämlich Joe Partridge. Dabei hätte ich es einfach so lassen sollen, wie es war - nämlich mit Eric. Zum Glück hatte ich die Kassette noch."
    Wobei sich Collins bewusst ist, dass längst nicht jeder auf die Wiederveröffentlichung dieser Songs gewartet hat - und dass er mindestens so viele Kritiker wie Fans besitzt. Was auf seiner Arbeitswut der 80er und 90er beruht, als er ein Album nach dem anderen veröffentlichte, geradezu omnipräsent war und seine Singles regelrecht totgedudelt wurden. Das sorgte für Sättigung, für offene Antipathie und den Vorwurf der Fließbandproduktion. Wogegen sich Collins bis heute wehrt.
    "Jeder kennt 'In The Air Tonight', 'Sussudio' oder 'One More Night'. Und manchmal beginnen die Leute, dich regelrecht zu hassen, weil sie immer und überall mit diesen Stücken konfrontiert werden - bis sie sie nicht mehr ertragen. Leider meinen sie dann auch, dass das alles wäre, was du als Künstler tust. Was sehr frustrierend ist. Ich habe mich immer darüber geärgert, dass einige meiner Songs mehr im Fokus standen, als ich mir das gewünscht hätte. Mir wäre es lieber gewesen, wenn auch die düsteren ein bisschen Aufmerksamkeit bekommen hätten."
    Obwohl ihn R&B-Stars wie Alicia Keys, Pharrell Williams, Lorde oder Adele inzwischen als wichtigen Einfluss nennen - gerade unter Kollegen aus der Rockmusik, aus der er ursprünglich kommt, hat Collins einen schweren Stand. Da wird er als berechenbar, seicht und nervig tituliert, fast schon als Anti-Beispiel gehandelt und regelrecht verhöhnt: Etwa von Noel Gallagher, dem späten David Bowie oder Jimmy Page. Was den sonst so gut gelaunten Pensionär sichtlich anfrisst.
    "Jimmy Page kann mich mal"
    "Jimmy Page kann mich mal - mit dem befasse ich mich gar nicht erst. Aber bei Noel habe ich Nachforschungen angestellt und einen Journalisten getroffen, der ihn gefragt hat: 'Warum hacken sie eigentlich ständig auf Phil Collins herum?' Darauf er: 'Ich weiß es nicht. Ich habe einmal damit angefangen - und immer weiter gemacht. Im Grunde habe ich gar nichts gegen ihn.' Und was Bowie betrifft, gibt es mir einen Kick, dass er überhaupt wusste, wer ich bin."
    Und wenn wir ehrlich sind: Es gibt tatsächlich Schlimmeres als das Werk des kahlköpfigen Briten. Zwar sind sich die meisten seiner Stücke sehr ähnlich und weisen einen hohen Anteil an Balladen sowie Texte über Liebe und Herzschmerz auf - gleichzeitig ist der 65-Jährige ein veritabler Sänger, Schlagzeuger, Musiker und Komponist. Einer, der sich in sämtlichen Genres Zuhause fühlt und starke Melodien schreibt, die man selbst ungewollt mitsummt. Weshalb sein Comeback auch nichts ist, vor dem man sich fürchten muss. Zumal er hoch und heilig verspricht, uns nie wieder so zu penetrieren wie in der Vergangenheit. Großes Collins-Ehrenwort.
    "Ich bin ein bisschen wie ein Öltanker, bei dem es wahnsinnig lange dauert, bis er anhält oder sogar umdreht. Und selbst wenn ich wieder aktiv werde, bin ich garantiert nie mehr so beschäftigt, wie ich es mal war. Das will ich auch gar nicht sein. Insofern werden wir sehen, was mit den Remasters passiert. Also ob es wirklich so ist, wie es im mehr heißt. Nämlich: Wenn du länger weg bist, könnte es sein, dass die Leute tatsächlich anfangen, dich zu vermissen."
    Also: Alles kann, nichts muss.