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Philippinen
Bagger fressen Heimat

Rohstoffe können Segen und Fluch sein - das gilt auch für die philippinischen Inseln. In den Bergen Mindanaos stehen Siedlungen dem Bergbau im Weg. Hier leben seit Jahrtausenden etwa 20 Völker der Lumad. Zu den wenigen Verteidigern ihrer Rechte zählen sozial engagierte Christen.

Von Thomas Kruchem | 04.04.2017
    Vor dem Gebirgszug Pulang Lupa ist ein großer Tagebau mit vielen Lastwagen und Baggern zu sehen. (Foto: Thomas Kruchem)
    Die Pulang-Lupa Berge bestehen aus Gold, Nickel, Kupfer und Silber (Deutschlandradio / Thomas Kruchem)
    Claver, ein Städtchen im äußersten Norden der philippinischen Insel Mindanao, in der Provinz Surigao del Norte. Außerhalb Clavers zerfressen hunderte orange-gelbe Bagger in Tag- und Nachtschicht eine unmittelbar am Meer gelegene Bergkette, die die Lumad, die Ureinwohner Mindanaos, Pulang Lupa nennen.
    "Jetzt sind wir abhängig vom Geld"
    Mehrere tausend Lumad vom Volk der Mamanwa wurden vertrieben aus den Pulang-Lupa-Bergen. Und im Dorf Punta Nagra bei Claver hat die "Taganito Mining Corporation" für 500 von ihnen Betonhäuser errichtet. Männer wie Frauen mit von Alkohol getrübten Augen sitzen vor ihren Türen; Horod Buclas, der Stammesälteste, erzählt von früher:
    "Früher, als wir noch in den Bergen lebten, pflanzten wir auf dem Land unserer Ahnen Süßkartoffeln und Maniok, Bananen und Hochlandreis. Und wenn jemand ein Warzenschwein erlegte, teilte er es mit allen Nachbarn. Vor 20 Jahren aber kamen Soldaten und zwangen uns, unsere Häuser zu verlassen. Jahrelang lebten wir in Lagern, bis uns die 'Taganito Mining Corporation' diese Häuser baute. Gute Häuser, das gebe ich zu. Aber jetzt können wir keine Landwirtschaft mehr betreiben und auch nicht jagen. Jetzt sind wir abhängig von dem Geld, das uns die Firma zahlt für das Land unserer Ahnen. 20 000 Pesos, 400 Euro, bekommen meine Frau und ich jedes Jahr. Weil davon niemand leben kann, arbeiten wir nebenbei. Einige sind Hilfskräfte im Bergbau; andere sammeln im Landesinnern Honig oder Orchideen und verkaufen die."
    Im rot-braunen Wasser liegen Frachtkähne vor Anker, um die Bodenschätze von Mindanao zu exportieren. (Foto: Thomas Kruchem)
    Die Frachtkähne für den Rohstoff-Export liegen im öligen Wasser vor Anker (Deutschlandradio / Thomas Kruchem)
    Immer neue Wunden reißen die haushohen Bagger in die Pulang-Lupa-Bergkette, beladen Trucks, die in langen Reihen die Küste ansteuern. Dort liegen die Frachtschiffe für den Rohstoff-Export. Die Pulang-Lupa-Berge bestehen aus Gold-, Nickel-, Kupfer- und Silbererzen. Und der Abbau dieser Erze hat die einst blütenweißen Strände am Fuße der Berge in eine grau-braune Wüste verwandelt; das Meer glitzert nicht mehr blau-grün, sondern glänzt ölig rot-braun. Es gebe keine Fische mehr, keine Mangroven, keine Korallen, sagt Reverend Pio Mercado in seinem Pfarrbüro außerhalb der Bergbaustadt Claver. Er ist Geistlicher der "United Church of Christ" und Vorsitzender einer Umweltorganisation namens "Caraga Watch", in der protestantische Kirchen und die katholische Diözese von Surigao del Sur ökumenisch zusammenarbeiten.
    Pio Mercado hat gesehen, wie Soldaten das Volk der Mamanwa aus den Bergen vertrieben; wie schwere Maschinen den Wald abholzten und den Mutterboden abtrugen, um Erz freizulegen. Er hat erlebt, wie Politiker protestierenden Fischern sagten, sie sollten doch 15 bis 20 Kilometer entfernt von der Küste fischen. Pio Mercado ist ein älterer Geistlicher, der in bedächtig formulierten Sätzen Dramatisches berichtet - zum Beispiel über die philippinisch-japanische "Taganito Mining Corporation":
    "Unmittelbar neben seinem Tagebau hat das Unternehmen vor einigen Jahren eine Fabrik errichtet. Dort ziehen sie mit Schwefelsäure Nickel aus Erz mit niedrigem Metallgehalt. Genau die gleiche Anlage wurde von Behörden in Japan geschlossen - wegen des unerträglichen Schwefelgestanks und schwerer Umweltbelastungen. Das Unternehmen verlegte die Anlage dann einfach hierher, nach Claver in Surigao del Norte."
    Kein Geld für medizinische Untersuchungen
    8 000 Menschen in der Nachbarschaft ertragen Tag für Tag beißenden Schwefelgestank, klagen über Kopfschmerzen, Asthma und Schwindel. Was Schwefelgase und Schwermetalle tatsächlich anrichten, weiß keiner. Die kleine Umweltorganisation "Caraga Watch" hat kein Geld, um medizinische Untersuchungen zu finanzieren; kein Geld auch für Untersuchungen zu einer weiteren Umweltkatastrophe: Die betrifft den in der Bergbauregion liegenden Mainit-See, den größten Süßwassersee der Philippinen.
    "Im Mainit-See sterben seit einigen Jahren die Fische - vor allem während der Monsunregenfälle von Dezember bis Februar. Das australische Bergbau-Unternehmen 'Greenstone Resources Corporation' hat eine alte Goldmine wiederbelebt. Und es leitet die giftigen Rückstände weiter in ein altes Bergebecken", so Pio Mercado. Der evangelische Theologe zeigt ein Handy-Video: Offensichtlich öffnet das Unternehmen die Ventile des Bergebeckens immer dann, wenn es stark regnet. Dann läuft der giftige Inhalt in den See. Der Geistliche weist auch auf die vielen Bewaffneten in Claver hin. Soldaten, Polizisten und private Sicherheitskräfte patrouillieren vor jedem Werkstor.
    Dabei hätten sich die Mamanwa gar nicht gewehrt, als sie vertrieben wurden, berichtet in der Beton-Siedlung von Punta Nagra der ausgezehrt wirkende Horod Buclas. Der Stammesälteste raucht eine Zigarette nach der anderen.
    "Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Konflikten"
    Die jüngste, vielleicht zehnjährige Tochter des Stammesältesten ist von der Schule heimgekommen. Den Blick starr aufs Handy gerichtet, spricht sie kurz zu ihrer, auf einem Holzstuhl dösenden, Mutter. Dann holt sie sich eine Tüte Chips und eine Flasche Cola aus dem Haus. Der Vater zuckt mit den Achseln:
    "Unser Wasser bekommen wir jetzt aus Tankwagen; schmutziges Wasser, das wir abkochen müssen. Ganz anders als das frische Wasser aus unseren Quellen in den Bergen. Sicher, dort oben war auch nicht alles wunderbar: Manchmal versiegten die Quellen, wir hatten Probleme, genug Nahrung zu finden und unsere Kinder gingen nicht zur Schule. Trotzdem hatten wir fast nie Streit im Dorf. Jetzt haben wir genug zu essen, unsere Kinder gehen in der Stadt Claver zur Schule und mein ältester Sohn besucht sogar das College. Jetzt haben wir aber auch viele Leute hier, die den ganzen Tag nur trinken; und Drogenhändler. Immer wieder kommt es deshalb zu gewaltsam ausgetragenen Konflikten bei uns."
    Vor einem der Betonhäuser von Punta Negra sind Kinder zu sehen - zwei davon beschäftigen sich mit ihren Smartphones. (Foto: Thomas Kruchem)
    Die Kinder von Punta Negra gehen zur Schule - eine positive Folge des Bergbaus. (Deutschlandradio / Thomas Kruchem)
    Spät, vielleicht zu spät, erblicken die Mamanwa und der evangelische Pfarrer Pio Mercado nun einen Lichtstreifen am Horizont - einen Hoffnungsschimmer, verkörpert ausgerechnet von Präsident Rodrigo Duterte.
    In markigen Worten droht Duterte den Bergbaukonzernen: Er werde Militär einsetzen, wenn sie nicht aufhörten, Mindanao zu zerstören. Und Dutertes Bergbauministerin Gina López, eine langjährige Umweltaktivistin, hat gleich nach ihrem Amtsantritt ein Viertel der 41 philippinischen Tagebaue vorläufig stillgelegt. Der Umgang der Betreiber mit der Umwelt und den Rechten der Bevölkerung werde jetzt intensiv überprüft. Auch die Betriebe der "Taganito Mining Corporation" und der "Greenstone Resources Corporation" in Surigao del Norte werden kontrolliert. Zudem verhängte Gina López ein Moratorium für neue Bergbauaktivitäten.