Freitag, 29. März 2024

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Philosoph zum politischen Verhältnis
Deutschland und Italien "reden aneinander vorbei"

Deutschland und Italien seien nach dem Zweiten Weltkrieg politisch produktiv gewesen, sagte Angelo Bolaffi, Professor an der Universität La Sapienza in Rom, im Dlf. Doch nun sei das Verhältnis schlecht, wodurch auch Europa in Gefahr sei. Die Medien, die nur an Auflage denken würden, hätten daran ihren Anteil.

Angelo Bolaffi im Gespräch mit Mario Dobovisek | 06.06.2018
    Prof. Dr. Angelo Bolaffi, ehemaliger Leiter des Italienischen Kulturinstituts Berlin, am 06.02.2018 in Berlin
    Angelo Bolaffi sorgt sich um die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien (imago stock&people)
    Mario Dobovisek: Es ist nur noch eine Formalie. Nach dem Senat stimmt heute noch die Abgeordnetenkammer in Rom über die neue italienische Regierung ab. Heute blicken auch wieder viele auf die Rede Giuseppe Contes: Welche Schwerpunkte setzt er, welchen Ton trifft er. Denn letzterer ist jüngst recht rau geworden auch im deutsch-italienischen Verhältnis. Da beschimpft ein "Spiegel"-Autor die Italiener als "Schnorrer in Rom", und auf dem aktuellen "Spiegel"-Titel prangt ein Pasta-Galgen. Auf der anderen Seite sieht Lega-Chef Matteo Salvini in Rom die Italiener als "Sklaven Deutschlands", um nur zwei Beispiele zu nennen für die gegenwärtige Stimmung mit Blick auf die populistische Regierung in Italien aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega und mit Blick auch auf den nicht nur in Italien verhassten erhobenen deutschen Zeigefinger.
    Darüber möchte ich sprechen mit dem italienischen Philosophen, Germanisten und Politikwissenschaftler Angelo Bolaffi. Er zählt zu den führenden Linksintellektuellen seines Landes, war Direktor des Italienischen Kulturinstituts in Berlin und ist Professor an der Universität La Sapienza in Rom. Guten Morgen, Herr Bolaffi!
    Angelo Bolaffi: Ja, schönen guten Morgen.
    Dobovisek: Misstöne auf beiden Seiten. Wie schlecht steht es tatsächlich um die deutsch-italienischen Beziehungen?
    Bolaffi: Im Moment sehr schlecht. Beide Länder verstehen sich miteinander nicht mehr. Die reden alle aneinander vorbei. Und die Töne der Leute, die die Beziehungen verderben wollen, sind höher als die von den Leuten, die vernünftig mit den anderen reden wollen. Die Medien spielen eine schlechte Rolle. Die wollen offensichtlich mehr Auflage haben. Aber damit macht man keine Politik; damit macht man nur Europa kaputt.
    Dobovisek: Reden wir hier von Überempfindlichkeiten auf beiden Seiten, oder über eine tatsächliche Verrohung?
    Bolaffi: Nein. Ich meine, die deutsch-italienischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg haben immer so schwierige Momente kennengelernt. Aber sonst waren sie politisch ziemlich produktiv. Die beiden Länder haben gut miteinander gearbeitet. Die beiden Länder kommunizieren auf kultureller, wirtschaftlicher und politischer Ebene.
    Dann plötzlich hat sich die Lage langsam, aber unwiderruflich verschlechtert. Das fing schon an mit der Wirtschaftskrise so um 2007/2008. Italien stand schlechter da als Deutschland und es wurde ein neues Narrativ erfunden. Und zwar, dass Italien diese großen Probleme deshalb gehabt hat, weil der Euro, den Italien gewollt hatte, unter den deutschen Bedingungen sozusagen eingeführt und regiert wurde. Und diese harten Bedingungen, die die Italiener selber anerkannt haben, wollte Deutschland nur auf Italien auferlegen. Zuerst Berlusconi und dann die Populisten haben dieses Narrativ benutzt, um die Kritik gegen Europa und gegen Deutschland anzufeuern.
    Dobovisek: Unwiderruflich, Herr Bolaffi, haben Sie gerade gesagt.
    Bolaffi: Die reformistische Linke hat dagegen was gemacht, aber das hat nicht viel geholfen.
    "Wenn Deutschland wackelt, wackelt alles"
    Dobovisek: Unwiderruflich – Pardon, Herr Bolaffi – haben Sie gerade gesagt. Das möchte ich noch einmal vertiefen. Und lassen Sie mich dazu für ein aktuelles Beispiel bitte kurz ausholen. Am vergangenen Samstag war italienischer Nationalfeiertag. Auf dem Empfang des Generalkonsulats in Köln sprach Generalkonsul Pierluigi Ferraro in seiner Rede unter anderem über einen Sorgerechtsstreit zweier italienischer Staatsbürger in Duisburg und die Rolle der Jugendämter. Dabei sagte er, an vielen Orten seien die Jugendämter – ich zitiere – "Kriminelle und Terroristen", auf Italienisch "criminali e terroristi". Empört verließen mindestens zwei Dutzend Italiener und Deutsche den Saal. Die Botschaft in Berlin distanziert sich davon und der Generalkonsul hat sich inzwischen für seine, wie er schreibt, "verfehlte Formulierung im Affekt" entschuldigt*, was bei einer Rede mit Manuskript zumindest verwundert.
    Wir kennen solche Muster, Herr Bolaffi, von Populisten: erst Provozieren, dann Zurückrudern. Was sagt uns das, wenn Berufsdiplomaten inzwischen so klingen wie Populisten?
    Bolaffi: Ja, wissen Sie, die Leute, auch Diplomaten denken manchmal, dass sie besser stehen, wenn sie sich sozusagen in den Geist der Zeit einreihen. Ich glaube - das hat auch Frau Merkel in einem Interview gesagt -, man muss diese Wellen etwas abklingen lassen. Man braucht Zeit. Offensichtlich – das ist meine große Sorge – ist das Problem nicht nur Italien, sondern in Europa gibt es eine populistische Welle, die von Ungarn über Polen, die Türkei, über Österreich nach Italien kommt, die als Bezugspunkt die Kritik an Europa und Deutschland hat, weil Deutschland im Moment der Kern von Europa ist. Wenn Deutschland wackelt, wackelt alles. Was dahinter steht, das ist mein Problem: Wer will, dass Europa kaputt geht? Die Amerikaner, die Russen, die Populisten? Aber wer sind die Populisten? Insofern glaube ich, wir wissen immer noch nicht, was in der Welt los ist. Das Problem ist aber, dass Italien bis heute ein Land war, das neben Deutschland für Europa war. Jetzt ist es nicht mehr so. Deshalb mache ich mir wie gesagt große, große Sorgen.
    Dobovisek: Sie haben ja auch lange, Herr Bolaffi, in Deutschland gelebt, in Berlin. Hat der deutsche Zeigefinger alles kaputt gemacht?
    Bolaffi: Nein, nein! Ich meine, die Deutschen machen manchmal so schreckliche Fehler. Die wollen immer besser wissen, was die anderen machen sollen. Aber wissen Sie, die Politik ist nicht so empfindlich, wenn sie nicht empfindlich sein will. Das können die Medien oder ein paar Intellektuelle, aber dass die Politiker, dass die Diplomaten diese Spannungen benutzen, um die Lage zu verschlechtern, das kann ich mir nicht erklären, wenn nicht dahinter ein strategisches Ziel verfolgt wird.
    "Besorgt, dass das Land eine so radikale Wende erlebt hat"
    Dobovisek: Sehen Sie dieses strategische Ziel in Italien?
    Bolaffi: Nein! Aber ich weiß es im Moment selber nicht. Ich selber bin etwas besorgt und überrascht, dass das Land eine so radikale Wende erlebt hat. Das war nicht vorherzusehen. Renzi war im Grunde genommen eine gute Regierung. Die Wirtschaftslage war langsam besser geworden. Aber warum diese Wut in der Bevölkerung sich gestaut hat, so radikal gegen den Strom los ist und in diesem Moment die großen Bezugspunkte unseres Landes nach dem Zweiten Weltkrieg für Europa als negativ gesehen worden sind, und dazu, dass heute Conte in seiner Erklärung als Freund von Putin-Russland sich dargestellt hat, das ist wirklich ein Novum für unsere Politik.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    * Stellungnahme des italienischen Generalkonsuls Pierluigi Ferraro zu seiner Äußerung am 2. Juni 2018 während eines Empfangs in Köln zum italienischen Nationalfeiertag
    In meiner Rede während des Empfangs, den ich am vergangenen 2. Juni anlässlich des Italienischen Nationalfeiertags ausgerichtet habe, nahm ich Bezug auf einige konkrete, italienische Kinder betreffende, schwierige Fälle und wählte dabei leider eine völlig unglückliche und verfehlte Formulierung mit Blick auf die in den besagten Fällen vom zuständigen Jugendamt angewandte Vorgehensweise. Es ist mir ein Anliegen zu betonen, dass meine Worte im Affekt gesprochen waren und nicht meiner Meinung entsprechen. Ich bedauere den Vorfall, auch den betreffenden deutschen Institutionen gegenüber, außerordentlich und wünsche hiermit die entstandenen Missverständnisse auszuräumen.
    Köln, den 4. Juni 2018
    Pierluigi Ferraro