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Physik des Gewitters

Physik.- Wie ein Blitz im Detail zustande kommt, ist den Wissenschaftlern bislang noch ein Rätsel. Denn eigentlich ist die elektrische Spannung in einer Gewitterwolke gar nicht groß genug, um einen Entladungsfunken zu zünden – also einen Blitz. Ein Forscherteam aus den Niederlanden wagt sich nun mit einer neuen Gewittertheorie vor.

Von Frank Grotelüschen |
    Ein schwüler Sommertag, am Himmel nur ein paar Quellwolken. Man liegt faul im Gras, hält ein kurzes Nickerchen – und plötzlich schlägt ganz in der Nähe der Blitz ein. Binnen kürzester Zeit haben sich die Quellwolken zu einer Gewitterfront zusammengeballt. Und dann blitzt und donnert es aus allen Rohren. Wie so ein Gewitter im Prinzip zustande kommt, weiß man schon lange: In einer Gewitterwolke, die mehrere Kilometer hoch sein kann, herrscht ein enormes Temperatur-Gefälle. Eissplitter, Graupelteilchen und Wassertröpfchen wirbeln wie wild durcheinander und stoßen laufend zusammen. Das Entscheidende: Bei diesen Stößen werden elektrische Ladungen übertragen.

    "Dabei scheint es so zu sein, dass die schwereren Teilchen vor allem eine negative Ladung annehmen und die leichteren Teilchen eine positive","

    sagt Ute Ebert, Physikerin an der TU Eindhoven in den Niederlanden.

    ""Anschließend werden die dann durch Gravitation voneinander getrennt. Das einfachste Bild ist also, dass der untere Rand der Wolke negativ geladen ist und der obere Rand positiv."

    Die Wolke steht also buchstäblich unter Hochspannung, sie kann 100 Millionen Volt erreichen. Klingt viel, reicht aber laut Ute Ebert noch nicht, um einen Blitz zu zünden – beziehungsweise eine Entladung, wie es im Fachjargon heißt.

    "Sie brauchen normalerweise, um eine Entladung in Gang zu bringen, ungefähr 30 Kilovolt pro Zentimeter. Diese 30 Kilovolt pro Zentimeter werden in der Gewitterwolke nicht erreicht."

    Demnach dürfte es aus einer Gewitterwolke eigentlich gar nicht blitzen. Doch die Realität sieht bekanntlich anders aus: Etwa eine Million mal blitzt es pro Jahr in Deutschland. Nur: Was löst diese Blitze aus? Bis heute ist das ein Rätsel. Immerhin gibt es ein paar neue Theorien. So hat ein US-Forscher vorgeschlagen, dass es die kosmische Strahlung ist, die die Blitze zündet. Laufend nämlich wird die Erde von energiereichen Teilchen aus dem All bombardiert. Diese Teilchen erzeugen, wenn sie auf die Lufthülle treffen, regelrechte elektrische Lawinen. Trifft nun – so die Theorie – eine solche Lawine auf eine unter Hochspannung stehende Gewitterwolke, dann blitzt es. Ute Ebert findet das zwar durchaus interessant, aber:

    "Nun hänge ich einer anderen Hypothese an – dass man es eigentlich aus der Kraftfokussierung verstehen muss."

    Kraftfokussierung? Um dieses physikalische Phänomen zu erklären, greift Ebert zu einem handfesten Vergleich.

    "Wenn Sie mit dem Hammer eine Wand treffen, werden Sie normalerweise kein Loch da rein kriegen – jedenfalls bei einer guten deutschen Wand. Wenn Sie jetzt aber einen Nagel halten zwischen den Hammer und die Wand, dann kommen sie wohl in die Wand hinein und machen ein Loch. Was tut der Nagel? An der Spitze fokussieren sich die mechanischen Kräfte, die vom Hammer kommen. Und auf die Weise kommt er in die Wand hinein."

    Auch in einer Gewitterwolke gibt es, glaubt Ebert, so etwas wie Kraft fokussierende Nägel. Es sind sogenannte Entladungskanäle, geformt durch freie Elektronen und Ionen, die es zuhauf in der Wolke gibt. Sie können elektrische Kräfte bündeln und bilden dadurch die Keimzellen für die Blitze. Aktuelle Laborexperimente mit künstlichen Mini-Blitzen deuten darauf hin, dass etwas dran ist an dieser Theorie. Endgültig bewiesen aber ist sie damit noch nicht, sagt Ute Ebert.

    "Da gibt es sicher sehr viel dran zu tun."

    Noch also fehlt er, der entscheidende Geistesblitz. Und deshalb sind die Forscher weiterhin zu jeder Menge Laborarbeit verdonnert.