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Piccoliminetti in Paris

Der Schauspieler Bernhard Minetti war in Deutschland ein Bühnengott und zugleich eine Rolle eines Theaterstücks. Thomas Bernhard hat das Stück "Minetti" dem legendären Schauspieler auf den Leib geschrieben. Am Théâtre National de la Colline inszeniert jetzt André Engel das Stück, und der französische Film- und Bühnenstar Michel Piccoli spielt Minetti.

Von Eberhard Spreng | 10.01.2009
    Ein Winterabend am Rand der Welt und der Zeit, eine Situation des Übergangs: Es ist der Sylvesterabend vor dem Jahreswechsel, in einem Hotel in einer Stadt an der Küste, da wo das feste Land in die Unwägbarkeiten der Weltmeere übergeht. In diese Situation kommt ein alter Mann mit einem alten Koffer, den er schon seit Jahrzehnten mit sich herumschleppt und in dem sich eine Maske des Künstlers James Ensor befinden soll.

    Wir werden sie nicht zu sehen bekommen aber wir dürfen vermuten, diese Maske, von der der Protagonist behauptet, es sei die Maske, mit der er den König Lear spielte, ist die Maske des Todes.

    Minetti, dieses Stück, das Thomas Bernhard dem Schauspieler Bernhard Minetti gewidmet hat und das dessen Namen trägt, ist ein Stück über den darstellenden Künstler am Ende des Wegs, wenn kein Publikum ihn mehr in seiner Kunst bewundert und feiert, wenn sein eigentliches Leben auf der Bühne und in der Kunst aufgehört hat. Das ist eine Situation totaler Einsamkeit gegenüber der Banalität des normalen Alltags.

    Immer wieder sind Thomas Bernhards Künstlerfiguren in kunstfremden, ja kunstfeindlichen Umgebungen in Erscheinung getreten, als Einzelkämpfer einer von vornherein verlorenen Sache. Sie bestehen immer nur allein aus Kunst und Theater, umgeben von einigen, in der Regel stummen, aber von Wirklichkeit trotzenden Figuren. Diese Wirklichkeit braucht das realistische Dekor, die realistische Inszenierung.

    Sehr folgerichtig hat der Bühnenbildner Nicki Rieti ein Hotelfoyer gebaut, mit einer Sitzgruppe, in der eine von Evelyn Didi gespielte, offensichtlich einsame und betrunkene Dame Platz genommen hat. Links steht ein Hotelangestellter an der Rezeption, zweimal huscht eine Gruppe von Sylvesterfeiernden durch den Raum.

    Der alte Koffer des alten Schauspielers, der vorgibt mit dem Flensburger Intendanten verabredet zu sein, steht hier wie eine Drohung, vergeblich wollen ihn die Hotelbediensteten aus dem Weg schaffen. Harsch weist sie der Künstler zurecht. Man merkt: Dieser Koffer ist sein ganzes Leben und enthält seine ganze Existenz: das Theater.

    Bernhard Minetti, der uns ausschließlich als Bühnenkünstler bekannt war und der es tatsächlich geschafft hat, quasi zum Nationalschauspieler, zum Inbegriff des Schauspielers an sich zu werden, brauchte diese Existenzrolle am Weltenende in Oostende eigentlich gar nicht zu spielen, denn das Stück war wie ein Kleid für ihn zugeschneidert worden. Dass aber auch andere alternde Schauspieler anderswo in diese Rolle schlüpfen können, beweist die universelle Bedeutung des Stücks als Parabel über die Einsamkeit des alten Künstlers.

    Der in Deutschland vor allem von Chabrol-Filmen bekannte Michel Bouquet hatte den "Minetti" vor wenigen Jahren gespielt, als freundlichen alten Patriarchen, der mit seinem Stock das Geschehen in der Hotelhalle dirigierte. Michel Piccoli spielt den Minetti nun, deutlich stimmiger, als greises Kind, das mit großen Augen verständnislos in die Welt blickt.

    Stellenweise meditativ, wie ein verhaltenes Parlando klingen einige der Passagen, und ein wenig hat sich in Michel Piccolis Spiel am Abend der Premiere die Angst vor Stück und Text gemischt. Eine erste Aufführungsserie in Vidy bei Lausanne musste ausfallen, weil die Arbeit noch nicht publikumsreif war. Auch jetzt noch sind Piccolis Textunsicherheiten deutlich spürbar und hemmen sein Spiel.

    Aber so offenbart sich auch ein Aspekt des Stücks, das Bernhard hätte gefallen können: der darstellende Künstler in seiner Urangst, am eigenen Handwerk zu scheitern. Auch die Erinnerung an Piccolis Lear drängen sich in den Blick auf diesen "Minetti". Regisseur André Engel hatte Shakespeares "King Lear" mit Piccoli in der Titelrolle vor zwei Jahren inszeniert und liefert nun, zum großen Hauptwerk des Scheiterns des alternden Herrschers, den kleinen Epilog zum Scheitern des alternden Künstlers.

    Leise weht ruhige Jazzmusik in die Szenen, lautlos rieselt der Schnee hinter einem Fenster. Engels "Minetti" ist eine Meditation und wird, wenn die Startschwierigkeiten überwunden sind, bestimmt ein schöner Theaterabend.