Das Erbe der christlichen Seefahrt wiegt schwer, doch Felicitas Hoppe kann es teils ironisierend in der Schwebe halten. "Schwebe" ist ein Stichwort für ihr Schreibverfahren. Bereits die namenlosen Figuren in "Picknick der Friseure", hatten den sicheren Boden der Realität verlassen. Von einer ungerührten Erzählerstimme referiert, nahmen wie im Traum oder unter Wasser absurde, meist familiäre Ereignisse ihren Lauf. Ausgangspunkt war häufig der Tisch des Hauses, die gemeinsame Mahlzeit. Nun ist der "zweite Esser von rechts" aufgebrochen, legt den Daheimgebliebenen aber weiterhin Rechenschaft ab. Das Traumwandlerische des Erzählens ist geblieben, ebenso sein ausgeprägt gestischer Charakter. "Pigafetta" hat die Eigenschaften eines Stummfilms. "Der Unterschied besteht darin, daß hier sozusagen Dinge unternommen werden, die im ‘Picknick’ nur geträumt werden, die dort nicht möglich sind", so Hoppe. "Das heißt, während im ‘Picknick’ der Aufbruch immer durchgespielt und projektiert wird, findet er hier tatsächlich statt und wird natürlich, und damit komme ich auf das Traumwandlerische, auch wieder in Frage gestellt, also, einfach durch den Erzählton. Man muß sich am Ende schon fragen, ob diese Reise überhaupt stattgefunden hat, ob das nicht ein Traumspiel ist zwischen der Erzählerin, Pigafetta und seiner Schwester, wer erzählt hier wem, was macht, was geschieht, was wird nicht erlebt. Und trotz der Angebundenheit an das reale Erlebnis wird das Erlebnis doch wieder so auf eine Distanz gerückt, was dazu führt, daß das Erlebnis nicht ganz verläßlich ist, also in dem Sinne, daß man keinen festen Boden unter den Füßen hat. Und das paßt wiederum eigentlich sehr schön zum Element, das paßt zum Element des Wassers. Das Wasser ist kein sicheres Element. Und man geht auf Schiffen sozusagen auch nie auf sicherem Boden, man hat keinen sicheren Boden unter den Füßen. Insofern, na ja, eigentlich fast eine Radikalisierung dieser ‘Picknick’-Motive."
Das Leben an Bord ist das einer geschlossenen Männergesellschaft, es wird von eisernen Regeln bestimmt. Sie stehen in seltsamem Kontrast zur unwiderstehlichen Gleichgültigkeit des Ozeans. "Ist Salz im Meer, hat der Matrose Arbeit", lautet eines der Gesetze. Sie sind überindividuell, beziehen sich nicht auf den einzelnen, genausowenig wie die Rettungsvorschriften, die unablässig eingeübt werden müssen. Aus dieser merkwürdigen Sachlichkeit gewinnt der Text einen Gutteil seines Reizes. "Die Ladung hat Priorität" ist oberster Maßstab allen Handelns. Die Ich-Erzählerin läßt sich vom Fatalismus des verdrossenen Kapitäns, des französischen Klempners, des ewig seekranken Kochs anstecken. Ihre Wahrnehmung verändert sich. Die Tage werden ununterscheidbar, nur durch die Abfolge der Mahlzeiten strukturiert. Tod oder Überleben im Rettungsboot, alles ist gleichgewichtig. Der Frachter hat zwar eine Seele, aber keinen Namen. Wer zum ersten Mal den Äquator überquert, wird getauft. Auch diese Prozedur hat etwas Unwägbares an sich. Die Reisende erhält den Namen eines ihr bis dahin unbekannten Fisches. Sie verrät ihn nicht, ebensowenig wie den des Schiffes. Es scheint, als fürchte sie, den Zauber durch Benennung zu zerstören: "Ja, was die Namen betrifft, so glaube ich, daß das schon eine Bedeutung hat, daß dieses Schiff eben keinen Namen hat. Und ich würde fast vermuten, das ist das einzige Seefahrtsbuch oder Buch, das in diesem Ambiente spielt, wo das Schiff keinen Namen hat, weil für Schiffe Namen eigentlich unerläßlich sind. Im übrigen sind es immer Frauennamen. Wie das gekommen ist, kann ich nicht genau sagen. Ich konnte mich irgendwie nicht entschließen, das Schiff zu benennen, wahrscheinlich auch, weil ich den Namen des realen Schiffes verschweigen wollte, auf dem ich gereist bin, nicht verschweigen, ich wollte ihn eben nicht preisgeben. Und so blieb das Schiff am Ende ohne Namen. Und abgesehen davon, was Pigafetta betrifft, es gibt eine Menge Schiffe, die "Pigafetta" heißen, das habe ich aber erst nach der Reise mitgekriegt. Das ist mir erzählt worden. Und ein Zitat aus dem Buch, ich glaube, daß das der Schiffsmechaniker Nobell einmal sagte: ‘Aber was sind schon Namen’. Da wird natürlich mit dem Namensbegriff gespielt und auch deutlich gemacht, daß das im Grunde alles austauschbar ist. Und das bezieht sich auch auf die Geographie und auf die Geschichte. Es geht ja um die Entdeckungen unter anderem. Namen wechseln ständig, Flaggen wechseln, Territorien gehen von einer Hand in die andere, insofern ist in der Tat nichts sicher, auch nicht durch Benennung."
Die Ich-Erzählerin, zunächst als "Landratte" belächelt, emanzipiert sich im Lauf der Zeit. Der Kapitän will ihr gar das Kommando übertragen. Bei aller propagierten technischen Nüchternheit gerät die Seefahrt zur Chiffre für die Sehnsucht, für die "Seekrankheit des Herzens". Die Gattungsbezeichnung "Roman" tut "Pigafetta" nicht gut, sie überfrachtet den eher kurzen Text. Das Buch verträgt keine große Lautstärke, keine hochgeschraubten Erwartungen, wie sie den Nachfolgern gelungener literarischer Debüts oft entgegengebracht werden. Die poetische Qualität der Sprache benötigt die Stille, den ruhigen Schlag der Wellen, um ihre Anmut entfalten zu können.