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PISA-Hype und Bildungsforschung

Wo Licht ist, da ist auch Schatten. So bewertet Jürgen Schriewer, Bildungsforscher an der Berliner Humboldt Universität, den aktuellen Hype um die Bildungsforschung. Dass deren Ergebnisse mehr Beachtung finden, ist für ihn nicht nur positiv, sondern birgt auch eine Gefahr.

Von Verena Kemna | 01.12.2007
    Der Professor mit dem Fachbereich Vergleichende Erziehungswissenschaften befürchtet, dass die sozialwissenschaftliche Analyse von Zusammenhängen in den Hintergrund tritt. Die Folge, der Bildungsforscher verkümmert zum Datensammler.

    "Seitdem die vergleichenden Schulleistungsmessungen, die es ja seit 30 Jahren gibt, die aber nie in das öffentliche Interesse gerückt waren, seitdem diese eine solche Prominenz erlangt haben, besteht die Gefahr, dass Bildungsforschung jetzt eingeengt wird auf Schulleistungsmessungen. "

    Für ihn ist Bildungsforschung im klassischen Sinn ein interdisziplinärer Forschungsbereich. Doch das kann auch jahrzehntelange Forschungsarbeit bedeuten mit vagem Ergebnis. So gar nicht im Sinne von aktionsbereiten Bildungspolitikern. Sie stellen die Weichen in Zeiten von Pisa zu Gunsten der Datensammler. So gebe es immer mehr Lehrstühle für empirische Bildungsforschung. Ein falsches Signal, meint der Erziehungswissenschaftler Jürgen Schriewer.

    "Indem man immer noch dazu motiviert, läuft ein Prozess, der dazu führt, dass vielleicht in fünf Jahren mehr als die Hälfte aller Erziehungswissenschaftlichen Lehrstühle mit solchen Schwerpunkten besetzt sind. Das heißt, ein Überangebot erzeugt wird. "

    Er weiß aus langjähriger Erfahrung, dass Politiker schnelle Ergebnisse fordern. Wissenschaftler dagegen brauchen Zeit. Der Erziehungswissenschaftler als Bildungsforscher wertet es als Defizit, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen und kulturelle Hintergründe der befragten Schüler bei einer Pisa Studie kaum analysiert werden. Ein Karussell, das sich immer schneller dreht. Mit jeder Studie werde der Ruf nach schnell verwertbaren Zahlen lauter. Schriewers Bilanz ist ernüchternd.

    "Die Politik richtet sich nach den Zahlen, die vorliegen und interpretiert sie nach politischem Gusto. "

    Seine Kollegin, die Schweizer Wissenschaftlerin, Gita Steiner-Khamsi, sitzt neben ihm und nickt. Sie hat an internationalen Bildungsstudien mitgearbeitet und auch sie meint, dass Pisa-Ergebnisse in Deutschland einseitig interpretiert werden. Bildungsforschung sollte nicht den schlecht lesenden Schüler als Ergebnis einer Studie auswerten. Vielmehr sollte das gesamte Schulsystem, das dazu geführt hat, dass dieser Schüler schlechter liest als andere, Gegenstand der Analyse sein. Doch dafür fehle es in Deutschland an Experten für Schulbildungsforschung, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Khamsi. In der Folge würden die vermeintlichen Ergebnisse von Bildungsstudien immer mehr zum Spielball der Politiker.

    "Sobald man aus politischen Gründen die Ergebnisse einer Pisa Studie nicht verträgt, werden immer methodische Mängel angebracht: Nicht vergleichbar, falsches sampling, und um dem entgegen zu wirken, braucht es ein etabliertes Fach wie policy studies oder Schulreformforschung, wo über die Testergebnisse hinaus über Schulsysteme reflektiert wird. "

    Auch das Bundesbildungsministerium sieht noch Forschungsbedarf im Bereich der Bildung. In den nächsten fünf Jahren sollen dafür zusätzlich 120 Millionen Euro bereit gestellt werden. Für Jürgen Schriewer ist das im Prinzip ein guter Ansatz. Allerdings nur, wenn dabei die Unabhängigkeit der Forschung gewahrt bleibt. Bester Garant dafür sei die Deutsche Forschungsgemeinschaft als unabhängige Institution.

    "Wenn die 120 Millionen an die DFG gehen, kann man das nur begrüßen. Die DFG benennt auch von sich aus Forschungsfelder, die nach Expertenmeinung vernachlässigt sind und ruft von sich aus aktiv zu Forschungsanträgen auf. "