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Nordrhein-Westfalen: Änderung des Schulrechts ++++ Tagung zum Jugendmedienschutz ++++ Vernachlässigte Kinder ++++ Kritik an Ganztagsbetreuung für Schulkinder

Von Armin Himmelrath | 23.12.2005
    Nach wie vor heftig umstritten ist in Nordrhein-Westfalen die Änderung des Schulrechts durch die schwarz-gelbe Landesregierung. Während Elternverbände und Opposition von der Entmachung der Eltern sprechen, lobt Schulministerin Barbara Sommer, CDU, ihre Reform als Rückkehr zu Leistungsanreizen und individueller Förderung der Schüler. So soll in Zukunft die Empfehlung der Grundschule für den Besuch der weiterführenden Schule verbindlich sein, auch wenn die Eltern anderer Meinung sind. In Streitfällen muss das betroffene Kind einen dreitägigen so genannten Prognoseunterricht an einer anderen Schule absolvieren, um zu beweisen, ob es tatsächlich besser ist als vom Grundschullehrer eingeschätzt. Kritiker bemängeln, dass kaum ein Kind in dieser fremden Test-Umgebung seine volle Leistungsfähigkeit zeigen könne. Umstritten ist auch eine andere Regelung, nach der in Zukunft die Eltern ihre Kinder unabhängig vom Wohnort an einer Grundschule ihrer Wahl anmelden können. Vor allem die Schulen in sozial schwachen Nachbarschaften fürchten nun, zu Rest-Schulen zu verkommen, die nur noch von den Kindern besucht werden, deren Eltern sich die Fahrt zu einer vermeintlich besseren Grundschule nicht leisten können.

    Um Verantwortung für Kinder und für das, was sie lernen, ging es in dieser Woche auch auf einer Tagung zum Jugendmedienschutz in Bonn, die vom Verein Schulen ans Netz durchgeführt wurde. Denn Computer und Internet bieten ja nicht nur große Potenziale zum Wissenserwerb, sondern auch zahllose Angebote mit bedenklichen oder sogar gefährlichen Inhalten. Wie können Lehrerinnen und Lehrer mit ihrer Arbeit den Gefahren aus dem Netz begegnen? Ein wichtiges Fazit der Expertentagung: Die Schule allein kann den Jugendmedienschutz nicht leisten, auch die Eltern müssen mit einbezogen werden, und zwar noch viel stärker als bisher. Denn ein Großteil der Mediennutzung findet schließlich im Elternhaus statt. Und dabei geht es vor allem darum, die Eltern zur pädagogischen Begleitung ihrer Kinder beim Internetsurfen zu bewegen. Allzu viele Väter und Mütter verlassen sich noch auf Filtersysteme, doch deren Schutzwirkung wird meistens überschätzt. Es führt eben kein Weg daran vorbei: Wenn Sohn und Tochter sich durchs World Wide Web klicken, dann sollten die Eltern gerade zu Beginn daneben sitzen und auf Chancen und Risiken gleichermaßen hinweisen.

    Immer wieder machten in den vergangenen Wochen Berichte von extrem vernachlässigten Kindern die Runde: Zweijährige, die in ihrem Leben noch nie das Tageslicht gesehen haben; Dreijährige, die in der verrammelten Wohnung der Eltern tagelang sich selbst überlassen blieben. Etwa 18 Prozent aller Kindergartenkinder, so zeigen neueste Studien, leiden unter behandlungsbedürftigen emotionalen und Verhaltensstörungen. Eine Fachtagung am Universitätsklinikum Ulm nimmt die kürzlich bekannt gewordenen Fällen und eine Gesetzesänderung zum Anlass, um nach Wegen für einen besseren Schutz vor Vernachlässigung zu suchen. Denn weil die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe bisher nicht immer rechtzeitig ihren Schutzauftrag erfüllte, hat die Bundesregierung kürzlich das Sozialgesetz zum "Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung" geändert, wie die Experten das nennen. Wenn kleine Kinder in Gefahr sind, soll Hilfe jetzt systematischer und zuverlässiger kommen. Die Fachleute in Ulm wollen sich dabei allerdings nicht auf repressive Maßnahmen gegen schuldig gewordene Eltern konzentrieren, sondern nach Wegen suchen, wie Väter und Mütter sensibilisiert werden können, die Vernachlässigung ihrer Kinder schon frühzeitig zu erkennen und dann gegenzusteuern.

    Infos:
    Tagung "Steigerung der elterlichen Feinfühligkeit zur Prävention von Vernachlässigung und Kindeswohlgefährdung im Säuglings- und Kleinkindalter".
    Ort: Ulmer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums, 18. bis 20. Januar 2006
    Kontakt: Dr. Ute Ziegenhain, ute.ziegenhain@uniklinik-ulm.de

    Zum Schluss noch eine Meldung zum Thema Ganztagsschule, das in diesem Jahr nicht zuletzt wegen der PISA-Studie immer wieder heiß diskutiert wurde. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland steht der Ganztagsbetreuung der Schulkinder nämlich skeptisch gegenüber, wie die Leiterin des Pädagogischen Fachausschusses im Zentralrat, Asiye Köhler, erklärte. Frau Köhler ist selber Lehrerin, und sie sagt, sie habe die Erfahrung gemacht, dass die Kinder am Nachmittag nur noch über eine sehr begrenzte Aufnahmefähigkeit verfügen. Sie fordert deshalb, lieber am Vormittag mehr Personal gleichzeitig einzusetzen und die Betreuung in Kleingruppen zu ermöglichen, als den Schulalltag zeitlich auszudehnen. Skeptisch ist der Zentralrat der Muslime auch deshalb, weil er in den Ganztagsschulen eine Gefahr für die kulturelle Identität der Migrantenkinder sieht. Die Pädagogin fordert deshalb, dass die Erziehung der Kinder in erster Linie in der Verantwortung der Familien bleiben und das Elternrecht gestärkt werden sollte, anstatt den Alltag der Kinder noch mehr zu verschulen.