Was denn da gesagt wird, fragt der Journalist Jason Burke seinen Dolmetscher in Afghanistan. Und Ahmed, der eigentlich Medizin studiert, antwortet: "Allahu akbar - Gott ist groß". Ein Lobgesang auf den Schöpfer und Teil des adan, des Gebetsrufes. Aus Angst vor anti-westlichen Übergriffen bringt Ahmed dem Briten das islamische Glaubensbekenntnis bei, die schahadat. Die Anrufung des einen Gottes, "würde Aufständische zwar nicht stoppen, Mr. Jason", aber doch erst einmal zurückhalten, glaubt Ahmed. Er berichtet Burke von vorislamischen Zeiten, als auf der arabischen Halbinsel zahllose Götter angebetet wurden und die einzelnen Stämme in permanenten Fehden lebten. Mohammed sei von Gott gesandt worden, um Einheit zu bringen und die Kämpfe zu beenden. Das alles erfährt der Brite bei einer Autopanne, während die beiden sich im schrumpfenden Schatten ihres liegen gebliebenen Autos zusammenkauern.
Die kümmerlichen Felder des Umlands bildeten ein Band von bleichem Gelb, in dem gewaltige, schroffe Felsvorsprünge erschreckend jäh aus der Horizontalen aufragten und die einzigen Akzente setzten. In der flirrenden Hitze wirkten diese Felsformationen wie Galeonen mit hohen Masten auf einem todesstarren Meer. Es war so heiß, dass die Luft in der reglosen nachmittäglichen Glut auf der Zunge einen Geschmack nach Verbranntem hinterließ.
Schließlich ist ein neuer Luftfilter beschafft, und die Fahrt kann weitergehen. Wir schreiben das Jahr 1998. Jason Burke ist zum ersten Mal unterwegs nach Kandahar im Süden Afghanistans. Eine bleibende Erinnerung, die seinem Buch den Titel gibt: "Reise nach Kandahar", im englischen Original "On the road to Kandahar". Die sprachmächtigen Schilderungen der Erlebnisse, Begegnungen und sich verändernden Landschaften hat Rita Seuß gelungen ins Deutsche übertragen. Burke legt eine Art literarischen "road movie" vor. Seine Beschreibungen glänzen durch Anschaulichkeit und verweisen oft auf eine zweite Ebene.
Ich konnte nachvollziehen, warum die Taliban den von Dürre heimgesuchten, sonnenverbrannten und bitterarmen Wüstendörfern im Südosten Afghanistan entstammten. Diese Welt entsprach ihnen und ihrem puritanischen, von Furcht und Schrecken erfüllten Denken. Das grelle Mittagslicht auf den Straßen; der scharfe Kontrast zwischen dem blendenden Sonnenlicht und den Schatten auf den Schwellen der Häuser mit ihren fensterlosen Mauern; die Dörfer förmlich in sich zurückgezogen, den hohen Wällen um die einzelnen Häuser, die gemeinsam einen lückenlosen Schutz gegen die Außenwelt bildeten. Kandahar, so kam es mir vor, war nicht nur ein geographischer Ort, sondern auch eine Geisteshaltung.
Mit Burke reist der Leser in zahlreiche islamische Länder: von jenen des Nahen Ostens und des Maghreb über Thailand nach Indien und Malaysia. Und immer wieder in den Irak, nach Pakistan und Afghanistan. Stationen seines beruflichen Werdegangs. Burke erzählt in seinem Buch chronologisch nach, wie er zum preisgekrönten Journalisten wurde. 1991 fuhr er mit 21 Jahren zum ersten Mal in eine islamische Konfliktregion, nach irakisch Kurdistan. "Ein letztlich postpubertäres Abenteuer", wie er eingesteht:
Ich war noch nie in einem Flüchtlingslager gewesen. Es war Mittag, die Sonne stand im Zenit, und durch die leeren Zeltstraßen fegte der Staub. Ich fragte Iain, ob meine Haare durch den Zitronensaft, mit dem ich sie eingerieben hatte, aufgehellt wirkten, so dass ich wenigstens halbwegs dem sonnengebleichten, kampferprobten Veteranen ähnlich sah, der ich so gern sein wollte. Er verneinte.
Burke hat ein sehr persönliches Buch geschrieben. Eine Mischung aus Reportage und mittelalterlichem Aventiure-Roman: Der anfangs etwas tumbe Protagonist wird zu einem Kenner der islamischen Welt. Im Laufe seiner nunmehr fünfzehn Jahre journalistischer Berichterstattung entwickelt der westlich säkular sozialisierte Brite ein Verständnis religiöser Rituale und ein Gespür für ihre Funktionen.
Eines Tages besuchte ich einen Pir, einen sufischen Heiligen. Auch über die sufische Richtung des Islam wusste ich sehr wenig. Der Sufismus entstand in den Jahrhunderten nach dem Tod des Propheten Mohammed als Reaktion auf den wachsenden Legalismus der orthodoxen Hauptströmung des Islam und war eine fast mystische Richtung, die der individuellen Spiritualität gegenüber der Befolgung äußerlicher religiöser Vorschriften den Vorzug gab.
Es ist Burkes großes Anliegen, das breite Spektrum muslimischer Gesellschaften aufzuzeigen. Er schreibt von seiner Wut und Empörung, wenn er mit - Zitat - "diesem Gerede von einem Kampf der Kulturen" konfrontiert ist. Gegen die "intellektuelle Faulheit", wie er es nennt, will er anschreiben. Sein Buch soll zeigen, dass es DEN Islam nicht gibt - ebenso wenig wie DEN Westen. Und er legt Zeugnis ab von den Absurditäten beider Lebenswelten. Etwa wenn er von einer Hinrichtung in einem Fußballstadion in Kabul berichtet, zu der das Publikum Nüsse nascht und grünen Tee trinkt. Ein paar Tage später reist Burke an die Frontlinie 40 Kilometer nördlich der afghanischen Hauptstadt. Dort gerät er unter Beschuss, weil ein westliches Fernsehteam noch Bilder vom Krieg braucht und damit nun neue Kampfhandlungen auslöst. Burke versucht nie, einfache Antworten zu geben.
Welche Länder ich auch bereiste, nirgends war ich direkter, persönlicher Feindseligkeit begegnet. Trotz der schrecklichen Misshandlungen in Abu Ghraib und in Guantanamo, trotz der ständigen Frustrationen im Alltag, trotz der aggressiven kriegstreiberischen Rhetorik auf allen Seiten hatte sich die normale Bevölkerung der islamischen Welt, hatten sich jene, die unter Beschuss lagen und deren Stimme von Gebrüll und Gewehrfeuer so oft erstickt wurde, von den Radikalen nicht vereinnahmen lassen.
"Reise nach Kandahar" ist ein Plädoyer für die Verständigung zwischen den Kulturen. Historische und politische Zusammenhänge werden anhand plastisch geschilderter Erlebnisse deutlich. Diese Authentizität macht den Reiz dieser literarischen Reise aus.
Jason Burke: Reise nach Kandahar. Patmos. Düsseldorf 2007. 318 Seiten. 24,90 Euro.
Die kümmerlichen Felder des Umlands bildeten ein Band von bleichem Gelb, in dem gewaltige, schroffe Felsvorsprünge erschreckend jäh aus der Horizontalen aufragten und die einzigen Akzente setzten. In der flirrenden Hitze wirkten diese Felsformationen wie Galeonen mit hohen Masten auf einem todesstarren Meer. Es war so heiß, dass die Luft in der reglosen nachmittäglichen Glut auf der Zunge einen Geschmack nach Verbranntem hinterließ.
Schließlich ist ein neuer Luftfilter beschafft, und die Fahrt kann weitergehen. Wir schreiben das Jahr 1998. Jason Burke ist zum ersten Mal unterwegs nach Kandahar im Süden Afghanistans. Eine bleibende Erinnerung, die seinem Buch den Titel gibt: "Reise nach Kandahar", im englischen Original "On the road to Kandahar". Die sprachmächtigen Schilderungen der Erlebnisse, Begegnungen und sich verändernden Landschaften hat Rita Seuß gelungen ins Deutsche übertragen. Burke legt eine Art literarischen "road movie" vor. Seine Beschreibungen glänzen durch Anschaulichkeit und verweisen oft auf eine zweite Ebene.
Ich konnte nachvollziehen, warum die Taliban den von Dürre heimgesuchten, sonnenverbrannten und bitterarmen Wüstendörfern im Südosten Afghanistan entstammten. Diese Welt entsprach ihnen und ihrem puritanischen, von Furcht und Schrecken erfüllten Denken. Das grelle Mittagslicht auf den Straßen; der scharfe Kontrast zwischen dem blendenden Sonnenlicht und den Schatten auf den Schwellen der Häuser mit ihren fensterlosen Mauern; die Dörfer förmlich in sich zurückgezogen, den hohen Wällen um die einzelnen Häuser, die gemeinsam einen lückenlosen Schutz gegen die Außenwelt bildeten. Kandahar, so kam es mir vor, war nicht nur ein geographischer Ort, sondern auch eine Geisteshaltung.
Mit Burke reist der Leser in zahlreiche islamische Länder: von jenen des Nahen Ostens und des Maghreb über Thailand nach Indien und Malaysia. Und immer wieder in den Irak, nach Pakistan und Afghanistan. Stationen seines beruflichen Werdegangs. Burke erzählt in seinem Buch chronologisch nach, wie er zum preisgekrönten Journalisten wurde. 1991 fuhr er mit 21 Jahren zum ersten Mal in eine islamische Konfliktregion, nach irakisch Kurdistan. "Ein letztlich postpubertäres Abenteuer", wie er eingesteht:
Ich war noch nie in einem Flüchtlingslager gewesen. Es war Mittag, die Sonne stand im Zenit, und durch die leeren Zeltstraßen fegte der Staub. Ich fragte Iain, ob meine Haare durch den Zitronensaft, mit dem ich sie eingerieben hatte, aufgehellt wirkten, so dass ich wenigstens halbwegs dem sonnengebleichten, kampferprobten Veteranen ähnlich sah, der ich so gern sein wollte. Er verneinte.
Burke hat ein sehr persönliches Buch geschrieben. Eine Mischung aus Reportage und mittelalterlichem Aventiure-Roman: Der anfangs etwas tumbe Protagonist wird zu einem Kenner der islamischen Welt. Im Laufe seiner nunmehr fünfzehn Jahre journalistischer Berichterstattung entwickelt der westlich säkular sozialisierte Brite ein Verständnis religiöser Rituale und ein Gespür für ihre Funktionen.
Eines Tages besuchte ich einen Pir, einen sufischen Heiligen. Auch über die sufische Richtung des Islam wusste ich sehr wenig. Der Sufismus entstand in den Jahrhunderten nach dem Tod des Propheten Mohammed als Reaktion auf den wachsenden Legalismus der orthodoxen Hauptströmung des Islam und war eine fast mystische Richtung, die der individuellen Spiritualität gegenüber der Befolgung äußerlicher religiöser Vorschriften den Vorzug gab.
Es ist Burkes großes Anliegen, das breite Spektrum muslimischer Gesellschaften aufzuzeigen. Er schreibt von seiner Wut und Empörung, wenn er mit - Zitat - "diesem Gerede von einem Kampf der Kulturen" konfrontiert ist. Gegen die "intellektuelle Faulheit", wie er es nennt, will er anschreiben. Sein Buch soll zeigen, dass es DEN Islam nicht gibt - ebenso wenig wie DEN Westen. Und er legt Zeugnis ab von den Absurditäten beider Lebenswelten. Etwa wenn er von einer Hinrichtung in einem Fußballstadion in Kabul berichtet, zu der das Publikum Nüsse nascht und grünen Tee trinkt. Ein paar Tage später reist Burke an die Frontlinie 40 Kilometer nördlich der afghanischen Hauptstadt. Dort gerät er unter Beschuss, weil ein westliches Fernsehteam noch Bilder vom Krieg braucht und damit nun neue Kampfhandlungen auslöst. Burke versucht nie, einfache Antworten zu geben.
Welche Länder ich auch bereiste, nirgends war ich direkter, persönlicher Feindseligkeit begegnet. Trotz der schrecklichen Misshandlungen in Abu Ghraib und in Guantanamo, trotz der ständigen Frustrationen im Alltag, trotz der aggressiven kriegstreiberischen Rhetorik auf allen Seiten hatte sich die normale Bevölkerung der islamischen Welt, hatten sich jene, die unter Beschuss lagen und deren Stimme von Gebrüll und Gewehrfeuer so oft erstickt wurde, von den Radikalen nicht vereinnahmen lassen.
"Reise nach Kandahar" ist ein Plädoyer für die Verständigung zwischen den Kulturen. Historische und politische Zusammenhänge werden anhand plastisch geschilderter Erlebnisse deutlich. Diese Authentizität macht den Reiz dieser literarischen Reise aus.
Jason Burke: Reise nach Kandahar. Patmos. Düsseldorf 2007. 318 Seiten. 24,90 Euro.