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Plastizität statt Pinselwerk

Edgar Degas und Ludwig Kirchner, Pablo Picasso und Max Ernst waren Maler, haben aber auch Skulpturen geschaffen. Durch die plastischen Werke erhofften sie, einen anderen Blick auf die Malerei zu erlangen. Die Skulpturen einiger Künstler des 20. Jahrhunderts sind nun in einer Ausstellung im Museum Frieder Burda in Baden-Baden zu sehen.

Von Christian Gampert |
    Der Maler, der nebenbei auch Skulpturen fertigt, ist frei: Er hat einen ganz anderen Blick auf diese Arbeit als der ausgebildete Bildhauer, der nur das tut und mit einem großen Respekt für das Material an die Sache herangeht. Picasso ist das beste Beispiel: Man kann sich bei der einen Tätigkeit von der anderen, der Haupt-Arbeit, erholen und gleichzeitig Neues ausprobieren.

    Das eine Medium kommentiert und befruchtet das andere - und aus dieser Erkenntnis heraus hat der Skulpturen-Experte Jean-Louis Prat für das Burda Museum nun eine Ausstellung entworfen, die - eilenden Schrittes - das 20. Jahrhundert durchmisst.

    Und wir lernen dabei: Der Maler, gewohnt, schnelle Ergebnisse auf der Leinwand zu sehen, hat viel weniger Hemmungen, auch fremde Materialien in die Plastik zu integrieren. Ihm geht es nicht um technische Perfektion, sondern um die Inszenierung einer räumlichen Welt, die, wie bei Max Ernst, aus skurril montierten, monumentalen Mensch-Tier-Wesen besteht oder, wie bei Miro, aus zeichenhaften Objekten, die - ähnlich wie in seinen aquarienhaften Bildräumen - einen poetischen Eigenkosmos beschreiben.

    Da aber fängt das Problem an: sind Ernst - oder Miro - denn wirklich vor allem Maler? Soll man Giacometti in Zukunft als bildhauernden Maler begreifen, als der er hier - mit prominenten Objekten - vorgestellt wird? Sicher, seine hohen, strichartig reduzierten Figuren des Nachkriegs hätte er nicht realisieren können, ohne die ständige Annäherung an die Figur in Zeichnung und Bild. Und doch werden hier die Dimensionen verschoben: Giacometti begriff sich als Plastiker - oder zumindest als in mehreren Disziplinen tätig.

    Bei anderen Künstlern ist die These der Ausstellung überzeugender beglaubigt. Zu Beginn des historischen Parcours sieht man etwa Daumier, der seine Politiker-Karikaturen auch als kleine Skulpturchen formte, es drängte ihn zu diesen dreidimensionalen Grotesken. Degas modellierte spielerisch Tänzerinnen und Badende, von Matisse sieht man die wuchtig aus der Wand wachsenden Rückenakte, die zur Leichtigkeit mancher Referenz-Bilder aber nicht wirklich passen wollen.

    Am klarsten ist die Beziehung beider Medien bei Gauguin und Kirchner: Gauguins pralle Südsee-Mädchen sind im Grunde schon als Malerei plastisch gedacht; und die keilartig sexualisierten Frauen in Kirchners Malerei werden in ein anderes Extrem gezogen durch die archaischen Gestalten, die Kirchner dann aus Holzblöcken herausschlug und die seine Einsamkeit in der Schweiz dekorierten.

    Da sieht man dann, mit welcher Faszination das 20. Jahrhundert die sogenannten primitiven Kulturen betrachtete. Afrika und Ozeanien dienen als Schatztruhe stilisierter Formen, die - bei Picasso oder Ernst - nochmals durch die kubistischen oder surrealistischen Wolf gedreht wurden. Zweiter Bezugspunkt ist der Torso als Signum moderner Vergeblich- und Verletzlichkeit: Hier tritt der abstrakte Farbwuchter Willem de Kooning auf einmal als gewalttätiger Körper-Expressionist in Aktion.

    Chagalls traumhaftes Bildnis einer Zirkusreiterin wird ergänzt durch frei stehende Fabeltiere; langgezogene marmorne Frauenköpfe von Modigliani zeigen, das der Meister der kargen Flächen dasselbe im Raum zumindest ausprobierte. In Annäherung an die Gegenwart gibt es dann Körperabdrücke und eine skulpturale Abformung von Yves Klein, natürlich alles in blau, und wüst behauene Holzblöcke von Baselitz.

    Die Referenzen aus der Malerei sind manchmal etwas karg. Jean-Louis Prat hat die luftigen Räume des Museums mit größter Behutsamkeit in Kabinette verwandelt, so dass die einzelnen Künstler für sich stehen, aber die Blickachsen für vergleichendes Sehen geöffnet bleiben - eine Kirche der Moderne. Man wird hier überraschende Entdeckungen machen: Georges Braque als Bildhauer ist quasi unbekannt. Eine feine Reise durch die jüngste Kunstgeschichte, klar geordnet, mit exquisiten Beispielen gerade für Picasso als Wandler zwischen den Welten - und Exponaten aus den besten Museen der Welt.