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Plattform für Direktvertrieb
Strom kaufen direkt beim Erzeuger

Wie die Eier beim Bauern so kann man auch Ökostrom direkt beim Erzeuger kaufen. Vermitteln zwischen Verbraucher und Hersteller will dabei ein neues Unternehmen aus Hamburg. Monatlich ist zwar teurer als ein konventioneller Stromvertrag - aber Bio-Eier kosten auch extra.

Von Axel Schröder | 16.11.2017
    Solarzellen auf einem Dach.
    Auch wer nur wenig Strom produziert hat, kann ihn beim Direktvertrieb verkaufen (dpa / picture-alliance / Wolfram Steinberg)
    Ein paar Mausklicks sollen genügen, um den Strom eines ganz bestimmten Windmüllers, einer ganz bestimmten Photovoltaik- oder Biogasanlage beziehen zu können. Das erklärt Heiko von Tschischwitz vom neuen Internetportal enyway:
    "Wir ermöglichen es Menschen, die ein Windrad betreiben oder eine Photovoltaikanlage betreiben, den Strom nicht wie das bisher immer funktioniert hat, einfach nur ins Netz einzuspeisen, sondern wirklich zum Energieversorger zu werden und den Strom dann direkt an ihre Nachbarn, ihre Freunde, ihre Verwandten oder andere Menschen zu verkaufen."
    Vor 20 Jahren hat Heiko von Tschischwitz den Ökostromanbieter Lichtblick gegründet, er verließ das Unternehmen Ende Oktober. Nun leitet er die ausgegliederte Firma enyway, die auf das Lichtblick-Know-how in Sachen Stromverteilung aufbaut.
    "Es ist ein anderes Geschäft. Wir sind eine Internetfirma, ein Online-Marktplatz, der Stromverträge zwischen Menschen vermittelt. Und das ist ein Geschäft, das mit dem Ökostromhandel, den Lichtblick betreibt, relativ wenig zu tun hat."
    Noch ist die Anzahl derer, die ihren Ökostrom über das Portal anbieten begrenzt. Aber mit der Zeit wird das Angebot wachsen, hofft Heiko von Tschischwitz. Geld verdient die neue Firma damit, dass die Ökostrom-Erzeuger eine Gebühr für die Verwaltung von Neuverträgen zahlt und durch den Zuschlag von vier Euro, der für die Stromabnehmer anfällt. Dafür fallen für die Kunden all jene Kosten weg, die sonst ein Energieversorger als Zwischenhändler verlangt hätte.
    Zwei-Personen-Haushalt liegt bei rund 65 Euro monatlich
    Ganz billig ist der neue Direktstrom aber nicht. In den Beispielrechnungen, die das neue Unternehmen auf seiner Internetseite präsentiert, fallen für einen Zwei-Personen-Haushalt rund 65 Euro pro Monat an. Das sind, räumt Heiko von Tschischwitz ein, eindeutig höhere Kosten als bei einem Billigstromanbieter. Dafür könnten die Kunden aber genau den Stromproduzenten auswählen, dessen Produkt sie am meisten überzeugt. Und dabei gehe es längst nicht mehr nur um Kilowattstunden, sondern um die Geschichten dahinter, so von Tschischwitz:
    "Da entsteht jetzt schon ganz zu Beginn ein Wettbewerb, den wir beobachten zwischen den Erzeugern. Da gibt Erzeuger, die sagen: Ich spende einen Teil des Geldes, was ich von euch bekomme. Da gibt es sogar Erzeuger, die sagen: Ich biete an, dass ihr euch an meiner Anlage auch beteiligen könnt, wenn ihr das möchtet. Die Erzeuger sind sehr kreativ und überlegen sich verschiedene Features für ihr Angebot, mit dem sie sich abheben können."
    Ganz neu ist die Idee nicht, erklärt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. In den USA gebe es bereits ähnliche Geschäftsmodelle, denen sie auch in Deutschland große Chancen einräumt:
    "Die Chancen sind gigantisch gut. Denn da wird der Energiemarkt hingehen. Gerade, wenn die erneuerbaren Energien im Fokus stehen. In der Zukunft wird man immer mehr diese Direktvermarktungsmodelle sehen. Auch müssen. Weil es ja darum geht, dass, wenn der Wind weht, wenn die Sonne scheint, man auch einen Preis bekommen will für diese erneuerbare Energie. Und diese Direktvermarktungssysteme sind wunderbar. Das passiert ja schon ab und an mal. Und jetzt gibt es halt neue Spieler."
    Die Energiewende ändert auch die Geschäftsmodelle
    Auch Stromversorger wie E.on oder Next-Kraftwerke sind im Geschäft mit der Direktvermarktung von Strom schon aktiv. Bislang organisieren diese Anbieter aber nur die Stromlieferungen von Ökostromerzeugern zu Großkunden, zum Beispiel zu Stadtwerken - und eben nicht zu Privatpersonen wie die neugegründete enyway aus Hamburg. Eine Bedrohung für die vier großen Energieversorger, für EnBW, Vattenfall, RWE und E.on, sei enyway allerdings nicht, so die Energieökonomin Claudia Kemfert:
    "Die großen vier wissen seit einigen Jahren, was die Stunde geschlagen hat. Die erneuerbaren Energien werden immer mehr im Einsatz sein. Und damit ändern sich die Geschäftsmodelle komplett. Deswegen haben sie ja über ein Jahrzehnt versucht, das alles mit Händen und Füßen zu verhindern. Das ist nicht mehr möglich. Der Point of no Return ist überschritten, sie müssen nach vorne gehen. Das haben sie auch gemacht. Sie haben sich ja aufgespalten, haben auch neue Konzeptmodelle entwickelt und die großen vier haben es, das denke ich, als Bedrohung empfunden. Mittlerweile sehen sie es als Chance. Und dort bewegen sie sich auch hinein."
    Noch stehe diese Entwicklung ganz am Anfang. Wenn aber in einigen Jahren immer mehr Atom- und Kohlekraftwerke vom Netz gehen und erneuerbare Energien an ihre Stelle treten, wird die Stromerzeugung immer dezentraler organsiert sein. Und viel Platz bieten für direkt vermarkteten Strom.