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Plötzlich Christ
Sekten locken Flüchtlinge in Angst vor Abschiebung mit Blitztaufen

Mit Beginn der Sammelabschiebung nach Afghanistan ist die Angst der Flüchtlinge unfreiwilligen Rückkehr gestiegen. Im Raum Frankfurt locken Missionare einer sektenähnlichen Gemeinschaft gezielt mit Blitztaufen und Familienanschluss. Die Hoffnung der neuen Christen: die Anerkennung ihres Asylantrags.

Von Ulrike Hummel | 13.02.2017
    Lobpreisung des Herrn an einem Sonntag während des Gottesdienstes in einem Privathaus in Frankfurt. Anwesend sind Gläubige aus dem Iran, Pakistan, Taiwan, China, den USA und Afghanistan. Über Kopfhörer sind die Kirchenlieder und die anschließende Übersetzung der Predigt eines Deutschen zu hören. An diesem Sonntag sind es zehn Muslime, die in einer Privatwohnung durch Taufe in einer Badewanne in die christliche Ortsgemeinde aufgenommen werden. Unter ihnen die 19-jährige Afghanin, die wir Amina Husseini nennen.
    "Sie haben mich einfach ins Wasser hinein gelegt, dann haben sie mich wieder herausgeholt und es war gut. Sie waren alle happy und ich war auch glücklich. Und ich fühlte mich sehr gut. Meine Taufe fand in einem Badezimmer statt. Es war ein aufregender Tag für mich."
    Erster Kontakt bereits in Flüchtlingscamps
    Amina Husseini ist am 18. Dezember 2016 vom Islam zum Christentum konvertiert. Seit Deutschland so viele Flüchtlinge aufgenommen hat, sind Glaubensübertritte vom Islam zum Christentum in der Bundesrepublik stark gestiegen. Evangelische und katholische Kirche sowie die Freikirchen registrierten 2016 jeweils mehr als 1000 Konversionen, sagt der Religionssoziologe Thomas Schirrmacher. Dabei geht es nicht immer mit rechten Dingen zu. Sekten oder sektenähnliche Gruppen nutzen die Angst der Flüchtlinge vor der Abschiebung und locken gezielt mit Blitztaufen, Fahrtkostenerstattung und Mittagessen gratis. Der Erstkontakt zu den Flüchtlingen findet meist schon in den Camps statt, wo die Missionare durch soziales Engagement auf sich aufmerksam machen:
    "Sie haben uns geholfen: sie gaben uns Kugelschreiber, Papier, Schuhe, Schokolade und solche Dinge. Sie waren sehr, sehr nett und sie haben mir die Kirche gezeigt."
    Gemeint ist eine Gruppe von christlichen Taiwanesen, die für drei Monate nach Deutschland geschickt wurde, um gezielt unter afghanischen Flüchtlingen zu missionieren, sagt Sophia. Sie ist eine der Missionarinnen. Nach drei Monaten, sagt sie, sei der Job erledigt und die nächste Gruppe werde eingeflogen. Ein Blick auf den Stempel des Taufscheins von Amina Husseini verweist auf den unverfänglichen Vereinsnamen "Die Gemeinde in Frankfurt am Main e.V.". Recherchen zufolge gibt es Verbindungen des Vereins zu den Ortsgemeinden von Watchman Nee und Witness Lee, eine weltweit verbreitete christliche Bewegung aus China. Die Fundamentalisten werben mit ungewöhnlichen Methoden für ihre Sache. Das Motto: zuerst die Taufe, dann die Glaubenseinweisung – ein aus hiesiger Sicht höchst unseriöses Vorgehen.
    "Der Pfarrer hat gesagt, wenn du Christin werden möchtest, dann musst du dich zuerst einmal taufen lassen. Danach beten wir jede Woche zusammen und einmal pro Woche bringen wir dir bei, was in der Bibel steht."
    Konversion führt zur Schutzgewährung
    Auch die 22-jährige Freundin von Amina, die wir Mariam nennen, hat sich in Frankfurt taufen lassen. In afghanischen Flüchtlingskreisen hat es sich längst rumgesprochen, dass man über die Taiwanesen dort schnell zum Taufschein gelangt. Doch für die betreffenden Flüchtlinge aus Afghanistan könnte eine Konversion zum Christentum fatale Folgen haben. Thomas Schirrmacher, Theologieprofessor und Leiter des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit:
    "Für viele Muslime ist die Sache hoch gefährlich, weil im Islam eine Strafe auf Apostasie und Blasphemie steht. Und sie können dann so oder so nicht mehr in ihre Länder zurück. Im Regelfall wird aber auch die Familie sie verstoßen. In Afghanistan gibt es – ja man kann schon sagen – ein Kampf auf Leben und Tod zwischen dem offiziellen Islam und allen abweichenden Formen und der zweitgrößten Religion im Land, dem Christentum."
    Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führt die Konversion eines Asylbewerbers dann zur Schutzgewährung, wenn den Betroffenen wegen des Glaubensübertritts im Herkunftsland Verfolgung droht. Für die Behörde ist die Taufe ein sogenannter "selbst geschaffener Nachfluchtgrund", der genauer untersucht werden muss. Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat:
    "Bei Menschen, die eher nicht aus Gewissensgründen konvertieren, da ist das so, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder die Verwaltungsgerichte ziemlich schnell feststellen können, wie tief der Glaube bei den Menschen vorhanden ist. Da werden nämlich ganz spezielle Fragen gestellt und wenn die Flüchtlinge diese Fragen nicht beantworten, ist es für das Bundesamt oder die Gerichte ein zentraler Hinweis darauf, dass eher aus taktischen Gründen konvertiert wurde."
    In der Heimat droht der Tod
    In Bezug auf Konversionen sei die Entscheidungspraxis bei Asylverfahren sehr unterschiedlich. Manche Konvertiten erhalten den rechtlichen Status der Flüchtlingseigenschaft, insbesondere wenn die Verfolgung im Heimatland droht. Anderen wiederum wird ein Glaubensübertritt aus taktischen Gründen unterstellt. Die Betroffenen müssen dann mit einem negativen Bescheid rechnen. Rein rechtlich greift im Anschluss daran das reguläre Ausländerrecht. Die Frage der Abschiebung stelle sich in der Regel erst viel später. Was Amina Husseini im Falle einer Abschiebung nach Kabul erwarten würde, ist ihr durchaus bewusst:
    "Wenn ich nach Afghanistan zurückkehre und die Leute wissen, dass ich jetzt Christin bin – dann werden sie mich töten."