Die Migrationsberatung der Arbeiterwohlfahrt in einem Kölner Vorort. Wie jeden Montag treffen sich hier türkische Frauen aus der Nachbarschaft zum Frühstück. Nebenan sitzt Dominic Kropp in seinem Büro. Der junge Migrationsberater unterstützt Menschen, die neu in Deutschland sind, bei ganz verschiedenen Fragen. Meistens geht es um berufliche Orientierung oder Hilfe bei Behördengängen. Doch der 28-jährige Iraner, der vor kurzem zu ihm kam, hatte noch eine andere Frage:
"Der Klient ist zu mir gekommen mit verschiedenen Anliegen. Und dann kam als letzter Punkt - der mich irgendwie überrascht hat, weil es keine so übliche Anfrage ist - die Frage, wie das denn hier mit der Kirche funktioniert und ob ich wüsste, wo man persische Bibeln her bekommt."
Der junge Mann - zu seinem Schutz nennen wir ihn hier Ehsan - wurde im südlichen Iran und als Muslim geboren. Vor einem halben Jahr sind seine Frau und er gemeinsam aus dem Iran geflohen - in Griechenland haben sich die beiden erstmals intensiver mit dem Christentum beschäftigt, weil Mitarbeiter des Roten Kreuzes sich um sie kümmerten. Die beiden jungen Muslime nahmen einfach an, dass die Hilfsbereitschaft einer christlichen Motivation entspringe. Vom Islam, wie sie ihn aus ihrer Heimat kannten, waren sie hingegen schwer enttäuscht:
"Ich denke, dass die islamischen Führer, die Mullahs, aus dem Islam ein Instrument machen, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Wir wissen, was sie tun; sie denken, wir wüssten es nicht; aber wir wissen es. Sie machen Geld mit dem Islam, sie herrschen mit dem Islam. Wir haben den echten Islam in unserem Land nicht kennengelernt."
Konversion aus Protest
Das Christentum ist für viele junge Muslime aus dem Iran zu einer Protestreligion geworden. Im Iran, aber auch in Deutschland. Ehsan und seine Frau haben viele Freunde, die wie sie vor dem islamistischen Regime nach Europa geflohen sind. Die Freunde erzählten den beiden vom Christentum. Sie haben dafür sogar eigens eine Chatgruppe eingerichtet, in der sie Fragen über das Christentum besprechen oder sich gegenseitig Bibelzitate schicken. Und manchmal verabreden sie sich zu Gesprächen - alles übers Internet.
"Denn im Iran wissen wir nichts über das Christentum. Es ist uns nicht erlaubt, uns mit dieser Religion zu befassen, wir haben Angst uns damit zu befassen …"
Rund eine halbe Million Christen leben im Iran, so Schätzungen, die allerdings mit Vorsicht zu genießen sind. Christen im Iran halten sich bedeckt, was ihren Glauben betrifft. Denn es gilt das Apostasie-Verbot: Für Muslime ist es verboten, sich von der islamischen Staatsreligion abzuwenden. Konvertiert jemand beispielsweise zum Christentum, droht ihm die Todesstrafe. Ehsan hat mit ansehen müssen, wie die das Todesurteil an sechs jungen Konvertiten im Gefängnis vollstreckt wurde. Er war damals zu sechs Monaten Haft und hundert Peitschenhieben verurteilt worden. Der Grund, so erzählt er: seine Freundin und er hatten sich öffentlich als Paar bekannt. Doch die Regeln zur Ehe im Iran sind streng. Unverheiratet zusammenleben ist verboten. Heute sind die beiden verheiratet.
Die 22-jährige Shirin - auch sie heißt eigentlich anders - spricht noch wenig Deutsch und kein Englisch. Deswegen übersetzt Ehsan für sie.
Viele Fragen, keine Antworten
"Wir sind nach Deutschland gekommen, um ein besseres Leben zu haben. In Deutschland gibt es Freiheit, deswegen können wir hier besser leben. Im Iran hatten wir viele Fragen, bekamen aber keine Antworten. Wir kamen nach Deutschland, um Antworten auf unsere Fragen zu bekommen."
Ihr geht es vor allem um Fragen der Gleichberechtigung. Sie fragt sich, warum Frauen und Männer im Iran nicht gleichgestellt arbeiten. Sie sagt, dass sie im Iran viele Probleme hatte, belästigt wurde, wenn sie alleine auf der Straße unterwegs war. Dass sie sich hier sicherer fühlt. Deswegen trägt sich auch kein Kopftuch mehr. Denn im Iran wurde ihr gesagt, dass sie das Kopftuch vor Belästigungen schütze. Aber das sei nicht der Fall gewesen.
Das türkisfarbene Halstuch, passend zu ihren Sneakers, wird sie am Ende des Gesprächs trotzdem zweimal als Kopftuch benutzen. Erst für ein Erinnerungsfoto mit der Reporterin, das sie an die Familie schicken möchte - und dann auf dem Weg zurück ins Flüchtlingsheim. Denn dort gibt es Menschen, die den Lebenswandel der beiden nicht gutheißen.
"Überhaupt nicht. Meine Frau muss im Camp ein Kopftuch tragen, denn sie sagen, du bist als Muslimin mit Kopftuch nach Deutschland gekommen, warum hast du das Kopftuch abgenommen? Wenn sie herausfinden, dass wir in die Kirche gehen, bekämen wir im Camp viele Probleme."
Die beiden stehen unter Druck. Shirin plagen Migräneanfälle seit sie im Flüchtlingslager lebt. Auch die Familien dürfen noch nicht wissen, dass die beiden konvertieren wollen. Ehsan hofft aber, es ihnen irgendwann sagen zu können. Für sie ist es erst der Anfang des Weges, an die Taufe denken sie noch nicht. Die evangelische Kirchengemeinde besuchen sie seit zwei Monaten regelmäßig, jeden Sonntag. Er mag die Stille, und die Musik zu Beginn des Gottesdienstes. Er fühlt sich einfach besser, wenn er in der Kirche gewesen ist - und erzählt das in einer Mischung aus Deutsch und Englisch.
"Wenn wir in die Kirche kommen, wird das Gebet mit Musik begonnen, dann werden wir still. Auf Deutsch heißt es 'einfach'. Wir haben einen einfachen Kontakt zu Gott, man lächelt sich gegenseitig an, das Beten ist einfach, nicht schwer. Das ist gut, und wenn ich von der Kirche ins Camp zurückgehe, fühle ich mich besser. Auf Deutsch sagt man: 'Alles klar'".