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Podcasts
Ruf nach einheitlicher Messung von Reichweiten

Immer mehr Anbieter und Macherinnen – das Thema Podcast boomt auch in Deutschland. Das Problem: Wie beliebt die einzelnen Formate wirklich sind, kann nur geschätzt werden. Immer mehr Beteiligte drängen deshalb inzwischen auf einheitliche Verfahren, um genaue Zahlen zu ermitteln.

Von Kai Rüsberg | 27.10.2020
Ein Mikrofon mit einem Neon-Licht, das "Podcast" bildet, vor einer Backstein-Wand.
Auch in Deutschland sind Podcasts immer beliebter - aber wie beliebt genau? (imago images / Alexander Limbach)
Die Erfolgsmeldungen zu Podcasts häufen sich: Jeder Vierte hört zumindest ab und an einen Podcast, meldet die ARD und ZDF Onlinestudie. Bei der Audio-Plattform Spotify hört nach eigenen Angaben jeder fünfte Nutzer nicht nur Musik, sondern auch Podcasts. Kürzlich stieg auch Amazon mit seinem Musikdienst in das Podcast-Geschäft ein.
Umso verwunderlicher, dass es, anders als beim Fernsehen oder bei Zeitungen, keine unabhängig erfassten Daten zur Nutzung gibt. Florian Kerkau von der Berliner Beratungsfirma Goldmedia: "Wir wissen relativ wenig darüber. Also es gibt so Hitlisten von der Plattform - dann haben sie halt bei iTunes, bei Apple Podcast oder bei Spotify, können sich dann anschauen, was ist sozusagen Platz eins bis irgendwo. Dann wissen wir aber nicht, wie viele Menschen dahinterstehen; sie wissen relativ schlecht, welche soziodemografischen Verteilungen dabei sind. Also sind das mehr Männer, mehr Frauen, alte Leute, junge Leute? Und wie verteilen die sich auf die verschiedene Podcasts?"
Ursache sind die dezentral gewachsenen Verbreitungswege. Der Weg des Podcasts zum Hörer führt über zwei getrennte Systeme. Gespeichert werden die Audios beim Hostinganbieter. Damit man sie dort findet, braucht man zusätzlich die von Kerkau erwähnten Audio-Plattformen - wie Spotify und Co. Diese listen die Inhalte der Hoster auf und machen sie so auffindbar. Beim Klick auf den Abspielknopf leitet die Audio-Plattform also den Hörer zum Hoster.
Podcast-Reichweite: Zahlenkosmetik
Fernsehquoten und Zeitungsauflagen werden seit Jahrzehnten von neutraler Stelle erfasst. Anders sieht es bei Podcasts aus: Weil es keine einheitlichen Messstandards gibt, würfeln manche Podcaster munter Zahlen durcheinander.

Jeder zählt anders

Dies zu wissen ist wichtig, will man verstehen, warum eine einheitliche Zählung der Hörerinnen und Hörer kaum möglich ist. Denn jeder zählt anders. Bei einem Hoster reicht bereits ein Klick auf die Audioplattform, dass der Podcast als abgehört gewertet wird, beim anderen erst der Download.
"Es ist am Ende natürlich von dem Server, der das ausspielt, nicht mehr zu trennen, ob das dann auch tatsächlich angehört wurde – oder, ob das nur runtergeladen wurde." Kerkau von Goldmedia will künftig für mehr Klarheit sorgen. Mit einer umfangreichen Online-Umfrage mit 2.200 Befragten wurde zunächst eine repräsentative Basis für künftige Nutzeranalysen in Deutschland erstellt.
"Dann wissen wir eben so ungefähr: 23 Millionen hatten schon mal Kontakt zu dem Medium. Aber was wir, sagen wir mal, als aktive Hörer bezeichnen würden, da kommen wir so auf 10,5 Millionen Menschen, die wir als aktive Podcast-Hörer bezeichnen."
Podcasts aus dem Kanzleramt
Parteien, Fraktionen und Politikerinnen haben welche und auch die Bundesregierung setzt darauf – längst hat die Politik das Instrument Podcast erkannt. Die Produkte sind mit journalistischen Podcasts nicht zu vergleichen. Ihre Botschaften greifen allerdings auch immer wieder klassische Medien auf.
Wichtig für die Werbung
Der Umfrage zufolge dominieren Comedy und Satire sowie journalistische Wissensinhalte, darunter viele Corona-Podcasts. Bei Jüngeren sind die Themen Leben und Gesellschaft und bei Älteren ist der Schwerpunkt Politik beliebt. Eine kürzlich vom Digitalverband Bitkom veröffentlichte, deutlich kleinere Umfrage hatte eine ganz andere Gewichtung ergeben. Alles nur Momentaufnahmen, räumt Kerkau ein – die Märkte seien zu schnell für eine allumfängliche Messung.
Mirjam Trunk zufolge ist das ein Problem für die Werbewirtschaft. Trunk führt die Audio Alliance, vermarktet die Podcasts aus dem Bertelsmann-Konzern, zu dem z.B. die RTL-Radios gehören. "Ich würde mir wünschen, dass wir uns einigen: Wer ist ein Hörer? Wer ist sowas wie eine Page-Impression, Audio-impression? Das sind einheitliche Metrike. Und auch wenn ein Kunde da sitzt und er hat zwei Anbieter, dann weiß er, dass die Zahlen vergleichbar sind."
Um Werbung zu verkaufen, seien präzise Nutzungsdaten notwendig – so wie im TV oder Online üblich. Trunk schlägt deswegen vor, dass künftig nur noch zertifizierte Hoster Werbegeld erhalten. "Es war im Podcast wie zur Zeit des Wilden Westens, weil es einfach auch Spaß macht, wenn man sagt: Wir machen mal und die Zahlen sind irgendwie egal und es ist emotional. Und wer Bock hat, das zu kaufen, der kauft das, weil es ist ein cooles Medium. Aber die Zeit, glaube ich, die geht gerade so ein bisschen zu Ende. Und die muss auch zu Ende gehen, auch wenn sie Spaß gemacht hat, in vielen Punkten."
Unklar ist, ob auch nicht-kommerzielle Hosting-Anbieter bei einer solchen Zertifizierung mitmachen.