Donnerstag, 28. März 2024

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Vor 150 Jahren
Österreich-Ungarns Aufbruch zum Nordpol

Schon kurz nach dem Start am 13. Juni 1872 blieben die Teilnehmer der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition mit ihrem Schiff im Packeis stecken. Den Fußmarsch zurück über das Eis überlebten die Männer nur unter unvorstellbaren Strapazen.

Von Irene Meichsner | 13.06.2022
Die Isbjörn, ein Schiff der Spitzbergen-Expedition von Julius Payer und Karl Weyprecht, im Eis. Handkoloriertes Glasdiapositiv. Aufnahme vom 18. August 1872
Bereits im August 1872 gefangen im Eis: Die" Isbjörn" - ein Schiff der Polarexpedition von Julius Payer und Karl Weyprecht (picture-alliance / IMAGNO)
„Ein heiterer Tag lag über uns; keines Auguren Stimme hätte die frohen Hoffnungen zu steigern vermocht, welche Jeden von uns belebten. Freunde aus Oesterreich und Deutschland waren gekommen, uns ein letztes Lebewohl zu sagen. Geräuschlos, schlicht, wie es das Versprechen stets sein soll vor erfüllter That, war unser Auszug.“
Es war der 13. Juni 1872 um sechs Uhr früh, als sich Oberleutnant Julius Payer mit der „Admiral Tegetthoff“ von Bremerhaven aus auf den Weg machte. Die Fahrt war von einem privaten Mäzen finanziert; Payer, ein erfahrener Bergsteiger, Kartograf und Professor am Wiener Militärgeographischen Institut, teilte sich das Kommando mit Carl Weyprecht, einem Offizier der österreichisch-ungarischen Marine.

Auf der Suche nach der "Nordost-Passage"

„Das Ziel der Expedition war grundsätzlich, den Nordpol zu erreichen“, so Frank Berger, Kurator am Frankfurter Historischen Museum, in einem Radiobeitrag. Zumindest habe man die seit Langem gesuchte ‚Nordost-Passage’ entdecken wollen: „Nordost-Passage hatte den Vorteil, wenn man nach Japan oder Indien wollte, kam man kürzer hin.“ - Keines der Ziele hat diese außergewöhnliche Expedition allerdings erreicht. Die Tiroler Bergsteiger-Ikone Reinhold Messner erklärte 2015 aus Anlass des 100. Todestags von Julius Payer:
„Payer und Weyprecht kamen dann mit ihrer ‚Tegethoff‘ ziemlich flott mal ins Eismeer hinein; sind dann eingepackt worden vom Packeis, wie später viele andere, und sind dann herumgeschoben worden. Und am Ende blieben sie einfach stecken und konnten gar nichts mehr machen.“

Payer: "Wir waren unfreiwillige Passagiere des Eises"

"Verzweiflung hätte uns erfüllen müssen, hätten wir gewußt, daß wir fortan verdammt seien, willenlos den Launen des Eises zu folgen, daß alle Erwartungen schon jetzt eitel und vernichtet waren, damit auch alle unsere stolzen Hoffnungen, - daß wir nicht mehr Entdecker waren, sondern unfreiwillige Passagiere des Eises. So aber hofften wir von Tag zu Tag, durch Jahre hindurch, auf die endliche Stunde der Befreiung!“ schrieb Payer später in seinem Expeditionsbericht.
Die 24 Mann starke Besatzung erlebte ihren ersten bitterkalten Polarwinter – während ihr Schiff mit dem Packeis immer weiter nach Norden trieb. Am 30. August 1873 kam plötzlich Land in Sicht.
„Im ersten Momente standen wir Alle gebannt und voll Unglauben da; dann brachen wir, hingerissen von der unverscheuchbaren Wahrhaftigkeit unseres Glückes, in den stürmischen Jubelruf aus: „Land, Land, endlich Land!“

Die Taufe von Franz-Josef-Land

Die Männer tauften das Archipel, das wie aus dem Nichts vor ihnen aufgetaucht war, auf den Namen „Kaiser Franz Josefs-Land“ und erkundeten es zu Fuß und mit Hundeschlitten. Im Mai 1874 gaben sie die „Admiral Tegetthoff“ auf; sie wollten sich mit ihren Schlitten bis zum offenen Meer im Süden durchschlagen. Nachdem sie sich zwei Monate lang, unter übermenschlichen Strapazen, über das zerklüftete Eis geschleppt hatten, mussten sie erkennen, dass sie infolge ungünstiger Winde wieder nach Norden zurückgedriftet waren – bis nahe an die „Admiral Tegetthoff“. Und nun, so Reinhold Messner, „hat die Mannschaft gesagt: das ist hoffnungslos! Lieber aufs Schiff zurück, lieber noch einen Winter in der absoluten Hölle, als das Leben da draußen verlieren.“

Und Carl Weyprecht rief: „Nie zurück!"

Doch Carl Weyprecht hielt dagegen. Er rief, so erzählt Messner, „Nie zurück!" Wenn wir zurückgehen, und wenn wir dauernd uns da auf dem Schiff festhalten mit unseren Hoffnungen, werden wir alle sterben.“
Mit der Bibel in der Hand schwor Weyprecht seine Leute darauf ein, es noch einmal zu versuchen. Einen Monat später hatten die Männer die Eisgrenze erreicht, wo sie ihre mitgeführten Ruderboote besteigen konnten. Am 24. August 1874 wurden sie vor der Küste Sibiriens von russischen Eismeerschiffern aufgegriffen. Mit einem Postschiff gelangten sie über Norwegen nach Hamburg. Und nun, erzählt Historiker Frank Berger:
„Die Rückreise war ein Triumphzug, über Hamburg nach Wien. Der Kaiser empfing die Polarfahrer, ganz Österreich stand Kopf ... Carl Weyprecht war ein gefeierter Entdecker und Landeroberer sozusagen, von Kaiser-Franz-Josef-Land, einer Inselgruppe, die heute zu Russland gehört.“
Zum ersten Mal waren die Teilnehmer einer Polarexpedition zu Fuß dem ewigen Eis entronnen. Dass alle Männer - bis auf den Maschinisten Otto Krisch, der unterwegs an einer unerkannten Lungentuberkulose starb - diese Expedition überlebten, grenzt in der Tat an ein Wunder.