„Es gilt den Eingriff in die Alltagsrealität mit einfachen, jedermann zugänglichen Materialien. Ziel ist die Auflösung der schönen Kunst.“ - Am ersten Februarwochenende 1963 ist die Kunstakademie Düsseldorf Schauplatz eines denkwürdigen Schauspiels. Als „Festum Fluxorum Fluxus“ wird es in die Geschichte eingehen: Joseph Beuys hängt einen toten Hasen auf, Wolf Vostell verwischt Playboy-Seiten mit Terpentin und Nam June Paik weist eine Gruppe Männer an, während des Singens ihrer jeweiligen Nationalhymnen in einen Behälter zu pinkeln. Paiks nächster Programmpunkt: Zehn Männer sollen ihren Penis durch eine Leinwand stecken. Am Ende werden es dann doch nur Finger.
Die Kunst ins Leben bringen - und das Leben in die Kunst
Das Publikum ist neugierig: Was haben diese „Irren“, wie sie abfällig genannt werden, bloß vor? Dieser wenig schmeichelhafte Ruf eilt den Künstlerinnen und Künstlern fast aller Sparten durch vorangegangene Aktionen zu Beginn der 1960er- Jahre voraus. Denn es geht um nichts Geringeres, als die Kunst ins Leben zu bringen und das Leben in die Kunst.
Die Kunsthistorikerin Susanne Rennert hat mehrere Ausstellungen und Projekte zur Fluxus-Bewegung betreut: „Am Anfang stehen eigentlich diese berühmten Kompositionskurse, die John Cage 1958, 1959 an der New School for Social Research in New York gegeben hat.“ - „In seiner Klasse speziell hat man ja begonnen, sozusagen, eine Partitur oder Notation als sprachliche Partitur aufzufassen. Also Fluxus hat sich aus der Musik entwickelt.“
Das Atelier Mary Bauermeister und die Wurzeln des Fluxus
Der US-amerikanische Komponist John Cage brachte 1952 das Publikum mit seinem Stück "4’33“ auf. Ein Pianist sitzt vor seinem Klavier, spielt aber nichts. Zu hören ist nur das Atmen, Husten oder Räuspern im Publikum. An diese Idee knüpfte auch die Neue Musik-Szene in Köln an.
Im Atelier der Künstlerin Mary Bauermeister trafen Musiker, Künstler und Schriftsteller zusammen: „Und wir erhofften uns einen Neubau der Gesellschaft, und das hatte auch damit zu tun, dass wir in der Musik, in der Literatur, Malerei, Architektur neue Wege beschritten, weil wir an einer besseren Welt bastelten. Das war die Wurzel des Fluxus.“
Die erste offizielle Fluxus-Veranstaltung war in Wiesbaden
Zu den Gästen in Bauermeisters Atelier gehörten die Künstler George Brecht, Nam June Paik oder Benjamin Patterson. Angeregt durch das fröhliche Miteinander der Künste entstand hier die Idee für Fluxus-Festivals, ohne, dass es den Namen schon gab, so Susanne Rennert:
„Die erste offizielle Fluxus-Veranstaltung war tatsächlich "Festum Fluxorum" im Wiesbadener Museum, vier Wochen. Dann kam Kopenhagen, dann kam Paris, und Düsseldorf war dann im Februar '63. Die sozusagen vierte große Veranstaltung ist aber schon Monate vorher geplant gewesen, denn Beuys hatte ja Paik bei ‚Neo-Dada in der Musik‘ angesprochen.“
„Die erste offizielle Fluxus-Veranstaltung war tatsächlich "Festum Fluxorum" im Wiesbadener Museum, vier Wochen. Dann kam Kopenhagen, dann kam Paris, und Düsseldorf war dann im Februar '63. Die sozusagen vierte große Veranstaltung ist aber schon Monate vorher geplant gewesen, denn Beuys hatte ja Paik bei ‚Neo-Dada in der Musik‘ angesprochen.“
Die Aufführung „Neo-dada in der Musik“, bei der Nam June Paik fünf Minuten lang seine Geige von allen Seiten erst betrachtete und dann zertrümmerte fand in den Kammerspielen in Düsseldorf statt. Joseph Beuys war begeistert und organisierte an der Kunstakademie, wo er seit kurzem den „Lehrstuhl für monumentale Bildhauerei“ bekleidete, zusammen mit George Maciunas und Paik ein „instrumentales Theater“.
Das vierte "Festum Fluxorum Fluxus" begann am 2. Februar 1963, so Susanne Rennert: „Weswegen das eben besonders sprengsatzmäßig funktionierte, war, dass im Düsseldorfer Publikum so viele junge Künstler und Künstlerinnen gesessen haben, Richter, Sigmar Polke, die Zero-Künstler. Und das mischte sich mit den Honoratioren der Kunst so was wie Alfred Schmela, Anna Klapheck.“
Viele Ideen der 68er vorweggenommen
Waren die Vorgänger-Veranstaltungen noch echte Bürgerschreck-Happenings, so ließ sich das Publikum in Düsseldorf auf den Dada-Spaß ein. Denn, sagt Susanne Rennert: „In Düsseldorf haben die Leute das verstanden. Also nicht alle, aber eben viele.“
Ohne das zweitägige "Festum Fluxorum Fluxus" in Düsseldorf hätte die Fluxus Bewegung nicht so populär werden können. Die Rebellion gegen eine erstarrte Gesellschaft und für freie Liebe, antiautoritäres Denken, Diversität und ein anti-eurozentrisches Denken - Fluxus hat viele Ideen der '68er und heutiger Diskurse vorweggenommen.