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Polen vor der Parlamentswahl
Rechte im Aufwind

Am Sonntag wählen die Polen ein neues Parlament. Gute Chancen werden dabei der rechtskonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" eingeräumt - in Koalition mit der Partei eines ehemaligen Rocksängers. Gemeinsam wettern sie gegen "das System" und die regierende liberale Bürgerplattform, die sich nur schwer wehren kann.

Von Florian Kellermann | 22.10.2015
    Polens Präsident Andrzej Duda und Spitzenkandidatin Beata Szydlo von der Partei "Recht und Gerechtigkeit" laufen mit anderen Menschen auf einer Straße.
    Die rechtskonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" von Präsident Andrzej Duda und Spitzenkandidatin Beata Szydlo rechnet sich bei der Parlamentswahl am Sonntag gute Chancen aus. (dpa / Jerzy Dabrowski)
    Ein Militärlastwagen rattert durch die enge Straße, aus den Fenstern heraus nehmen ihn Männer in Uniformen unter Feuer. Granaten explodieren, Rauchbomben verdecken die Sicht. Anna Siarkowska steht am Straßenrand, sie hat ein elegantes Kleid angezogen und blickt zufrieden auf das Schauspiel. Unter anderem ihr ist es zu verdanken, dass die Militärübung in Siedlce stattfindet. Es ist die erste Übung dieser Art in Polen. Denn nicht reguläre Soldaten bieten hier der einmarschierenden feindlichen Armee die Stirn. Es sind Freiwilligenverbände, die sich aus Schützenvereinen und Wehrsportgruppen speisen.
    "Experten der Militärakademie gehen davon aus, dass die reguläre Armee unser Land nicht ausreichend verteidigen kann. Wir brauchen noch eine andere Form von Streitkräften - das Volksheer. In den USA gibt es so eine Armee, die Nationalgarde, ebenso in Schweden, Finnland, Island und Israel."
    Maria Siarkowska mit Freiwilligen
    Maria Siarkowska mit Freiwilligen (deutschlandradio.de / Florian Kellermann)
    Heute mache sie keinen Wahlkampf, sagt Anna Siarkowska beim abschließenden Appell. Und doch konnte die 33-Jährige mit der Militärübung auf sich aufmerksam machen. Das Volksheer ist das Thema der dreifachen Mutter, seit vielen Jahren. Die polnische Regierung interessiert sich dafür erst seit der Ukraine-Krise.
    Kukiz' Gegner: "das System"
    Am Sonntag tritt Anna Siarkowska für die Partei "Kukiz15" im Wahlkreis Siedlce an; sie steht auf Listenplatz Nummer eins. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie bald zum ersten Mal im Parlament sitzt, ist also hoch. Denn Parteichef Pawel Kukiz erwies sich bei der Präsidentenwahl im Mai als neuer Shootingstar der polnischen Politik. Auf Anhieb erreichte er 20 Prozent, von den Jungwählern bekam der Rocksänger fast jede zweite Stimme. Anna Siarkowska steht voll hinter seiner Botschaft:
    "Unser Staat ist nicht in den Händen der Bürger. Polit-Cliquen haben ihn in Besitz genommen. Das zeigt schon die enorme Ausbeutung, die Bürger erfahren, wenn ihnen 80 Prozent ihrer Einkommen einfach abgenommen werden. Auf diese Zahl kommt man, wenn man direkte und indirekte Steuern addiert. Deshalb haben vor allem junge Menschen enorme Probleme, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Die Polen arbeiten hart, aber sie sehen kein Ergebnis ihrer Arbeit."
    Pawel Kukiz, ehemaliger Sänger der Rockband "Piersi" und jetziger Chef der konservativen Partei "kukiz'15" in Polen spricht vor Mikrofonen an einem Podium
    Pawel Kukiz greift die Regierung scharf an. (dpa/picture alliance/PAP/Rafal Guz)
    Pawel Kukiz nennt die etablierten Parteien deshalb kurz "das System", gegen das er sich in Stellung gebracht habe. Dazu gehören seiner Lesart nach auch die meisten Medien, öffentliche wie private. Das System sei an allem schuld, was schiefläuft im Land, erklärt er - und schuf damit die in Polen derzeit populärste Verschwörungstheorie. Dass ein polnischer Angestellter prozentual deutlich weniger Steuern und Abgaben leistet als ein Deutscher, spielt da keine Rolle. Seine Rhetorik gegen "das System" ergänzt Kukiz durch national-populistische Parolen:
    "Wir haben es derzeit mit einer "Vernichtung des Polentums" zu tun. Wie soll man es anders nennen, wenn innerhalb weniger Jahre zweieinhalb Millionen Bürger auswandern und weitere anderthalb Millionen auf gepackten Koffern sitzen? Und das sind die aktivsten unter den Bürgern, die meisten im produktiven Lebensalter. Dazu kommt noch der Plan, fremde Nationen nach Polen zu bringen. So werden wir in zwei, drei Generationen zu einer Art großem Schützengraben zwischen Deutschland und Russland."
    In Polen soll es einen Plan zur Ansiedlung von Ausländern geben? Kukiz meint das Zugeständnis der Regierung, zumindest 7.000 Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak aufzunehmen.
    Polnische Politik würde bei Wahlsieg der PiS nach rechts rücken
    Pawel Kukiz könnte nach der Wahl am Sonntag zur alles entscheidenden Figur werden. Denn die rechtskonservative Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS, führt zwar die Umfragen deutlich an. Die absolute Mehrheit der Sitze dürfte sie aber nicht erringen. Kukiz wäre ein möglicher Koalitionspartner. Berührungspunkte gibt es viele: Auch die PiS malt die Situation in Polen schwarz, auch sie wettert gegen ausländische Konzerne. Und ihre Parolen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen klingen nicht weniger fremdenfeindlich. Diese brächten Krankheitserreger und Parasiten mit, warnte der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski. Allerdings gibt sich die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten deutlich sozialer als Kukiz.
    Die Sorge um den kleinen Mann verkörpert die PiS-Spitzenkandidaten Beata Szydlo.
    "Ich habe gesehen, wie die Menschen in Polen leben. Ja, unser Land entwickelt sich. Vor allem dank der polnischen Unternehmer, die sich engagieren. Aber von diesem Fortschritt haben nur wenige etwas. Wir sorgen dafür, dass jeder Bürger profitieren wird."
    Die PiS verspricht einen höheren Mindestlohn, mehr Kindergeld ab dem zweiten Kind und einen höheren Steuerfreibetrag. Besonders kostspielig für den Staat würde ihr Vorhaben, das Renteneintrittsalter wieder zu senken. Die regierende Koalition hat beschlossen, es stufenweise auf 67 Jahre anzuheben. Laut PiS sollen neue Steuereinnahmen für die notwendigen Milliarden sorgen. Zum einen sollen die großen Einzelhandelsketten eine Sondersteuer zahlen, zum anderen will die Partei Schlupflöcher stopfen.
    Wenn die PiS, unterstützt von Pawel Kukiz, die Regierung übernimmt, wird die polnische Politik deutlich nach rechts rücken.
    Höchste Zeit, meint Anna Siarkowska. Für sie war die Politik der rechtsliberalen "Bürgerplattform" ein Desaster. Acht Jahre regierte die PO, gemeinsam mit der Bauernpartei PSL. Das Ergebnis in den Augen der Rechten: Die polnische Gesellschaft sei gespalten, es gebe keine einigende, nationale Idee, sagt sie. Solche Argumente dominieren inzwischen die politische Debatte in Polen. Fast vergessen ist die jahrelange Dominanz der "Bürgerplattform". Noch vor vier Jahren ließ sich Donald Tusk von der PO als erster Ministerpräsident nach der demokratischen Wende feiern, der wiedergewählt wurde.
    Abhöraffäre belastet die Bürgerplattform
    Tusk arbeitet inzwischen in Brüssel, als EU-Ratspräsident. Seiner Nachfolgerin Ewa Kopacz hat er ein schweres Erbe hinterlassen. Denn gleich mehrere führende Politiker der Bürgerplattform gerieten in den Strudel der sogenannten Abhöraffäre. Kellner nahmen ihre Gespräche in Warschauer Nobelrestaurants auf. Und ganz Polen konnte hören, wie wenig staatsmännisch, ja ordinär sich die Herren und Damen ausdrückten. Bei der Fernsehdebatte mit PiS-Kandidatin Beata Szydlo am Montag musste sich Ministerpräsidentin Kopacz noch einmal darauf beziehen.
    "Sie haben die Abhöraffäre angesprochen. Ich war bereit vorzutreten und mich für die Worte meiner Kollegen zu entschuldigen. Sie haben sich einer Sprache bedient, die wir nicht akzeptieren können, vor allem in der Öffentlichkeit. Ich verurteilte das. Aber wollen sie mir erzählen, dass in der Opposition nur Heilige sitzen? Dass sie nicht fluchen, keinen Alkohol trinken und keine Calamari essen?"
    Polens Premierministerin Ewa Kopacz spricht im Parlament in Warschau. 
    Polens Premierministerin Ewa Kopacz (picture alliance / dpa / Radek Pietruszka)
    Kopacz zwang einige Minister, deren Gespräche illegal aufgenommen wurden, zum Rücktritt. Der profilierteste unter ihnen war Ex-Außenminister Radoslaw Sikorski. Ihn ersetzte der eher blasse Grzegorz Schetyna.
    Affären waren nur ein Grund für den Vertrauensverlust der "Bürgerplattform". Zu schaffen machten ihr in den vergangenen Monaten auch die Proteste verschiedener Berufsgruppen, so der Lehrer, der Krankenschwestern, der Bergleute. Organisiert wurden sie unter anderem von der Gewerkschaft "Solidarnosc", auf Deutsch "Solidarität", die offen mit der PiS zusammenarbeitet. Die Berufsgruppen brachten immer wieder nicht nur ihre besonderen Probleme zur Sprache, sondern auch die verhasste Rente mit 67.
    Mindestens ebenso schwer wiegt in Polen die Stimme der katholischen Kirche. Auch sie stellt sich gegen die Regierung. So erklärte die Bischofskonferenz: Gläubige sollten ihre Stimme in der Überzeugung abgeben, dass das menschliche Leben geschützt werden muss - von der Zeugung bis zum natürlichen Tod. Eine klare Wahlaufforderung für die PiS. Sie versuchte schon mehrmals, das ohnehin restriktive polnische Abtreibungsrecht weiter zu verschärfen. Klar ist: Mit einem Wahlerfolg der PiS wird der Einfluss der katholischen Kirche weiter wachsen, sagt der Warschauer Soziologe Andrzej Rychard:
    "Das wird ein echter Test für die PiS, wie ernst sie es mit der Demokratie meint. Ich habe die jüngste Aussage eines hohen Kirchenvertreters im Ohr: Staat, Kirche und Nation seien untrennbar miteinander verbunden. Es wäre für mich ein absoluter Skandal, wenn die PiS sich daran machen würde, diese Losung umzusetzen. Die institutionelle Trennung von der Kirche ist wesentlich für einen modernen Staat."
    Unterstützung der Kirche
    Schon während ihrer ersten Regierungszeit vor zehn Jahren machte die PiS der katholischen Kirche - zumindest kleine - Zugeständnisse. Sie sorgte dafür, dass die Schulnote im Fach Religion mit zum offiziellen Notendurchschnitt gezählt wird.
    Auch der neue polnische Präsident Andrzej Duda schlug sofort einen neuen Ton gegenüber der katholischen Kirche an. Unmittelbar nach seinem Sieg im Mai reiste er nach Tschenstochau, zum berühmten Kloster auf dem Kahlen Berg. Duda stammt aus der PiS, sein Sieg kam überraschend. Der bis dahin amtierende Bronislaw Komorowski, ehemals Politiker der "Bürgerplattform", verlor innerhalb weniger Wochen den massiven Rückhalt, den ihm Umfragen noch zu Jahresbeginn zugeschrieben hatten. Andrzej Rychard:
    "Die Bürgerplattform ist durch den Schlag, den sie bei der Präsidentenwahl erhalten hat, stark geschwächt. Die PiS hat so den Nimbus des Neuen, der Alternative erhalten. Die Bürgerplattform kann sich jetzt noch so bemühen, sie wird es schwer haben am Sonntag."
    Das gilt auch für ihre ehemaligen Hochburgen, für Warschau und den reicheren Westen des Landes. In Posen sitzt Konrad Zaradny im Hörsaal einer Privatuni - zur Podiumsdiskussion. Das weiße Hemd sieht immer noch tadellos aus, aber er ist müde. Kaum ein anderer Kandidat in Posen investierte so viel in den Wahlkampf wie er. Schon morgens um halb sieben ist der 23-Jährige auf der Straße, um Prospekte zu verteilen - Prospekte für ihn und die "Bürgerplattform".
    Um 24 Prozent ist die polnische Wirtschaft gewachsen, seit die "Bürgerplattform" an der Macht ist. Der EU-Durchschnitt betrug 0,65 Prozent. Die Arbeitslosigkeit fiel unter zehn Prozent; Polen kletterte in allen internationalen Rankings. Das Land ist weniger bürokratisch, weniger korrupt, und die Menschen verdienen mehr.
    Bürgerplattform: Kein Angebot für junge Menschen?
    Doch das alles nützt Konrad Zaradny nichts. Er wirkt blass zwischen den Oppositionsvertreten, die das Blaue vom Himmel versprechen. Warum die Menschen den Horror-Geschichten über ihr Land eher glauben als ihrem Geldbeutel? Konrad Zaradny:
    "Viele Polen wissen die positiven Änderungen in unserem Land nicht zu schätzen. Polen gehört zu den europäischen Staaten, die sich am dynamischsten entwickeln. Wir verlangen ständig mehr, und das ist sehr gut. Die Leute wollen leben wie in Deutschland oder England. Deshalb sind viele ausgewandert. Aber das Gerede, dass alles hier eine Kloake ist, ist nicht nur falsch. So spuckt man den Menschen ins Gesicht, die das alles hier aufgebaut haben."
    Aber Konrad weiß, dass die "Bürgerplattform" an der Entwicklung alles andere als unschuldig ist. Donald Tusk hatte als Ministerpräsident zu sehr darauf vertraut, dass den Menschen der langsame zivilisatorische Fortschritt genügt. Eine "Politik des warmen Wassers aus dem Wasserhahn" hatten Spötter das genannt. Seine liberalen Versprechen hatte Tusk, weil zu kontrovers, einfach stillschweigend vergessen. Das galt für den Abbau von Privilegien für einige Berufsgruppen ebenso wie für eingetragene Partnerschaften für Homosexuelle.
    Draußen, auf dem Weg zum Auto, macht Konrad Zaradny seinem Unmut Luft. Seine Partei habe kein Angebot für junge Menschen, schimpft er:
    "Wir sollten erst mal anfangen, die Bedürfnisse junger Menschen zu untersuchen. Wir sollten nicht von der eigenen Perspektive ausgehen, das gilt übrigens für alle Politikfelder. In unserem Nachbarbezirk gab es so eine Untersuchung. Das überraschende Ergebnis: In einem der am weitesten entwickelten Bezirke klagen die jungen Leute vor allem über den öffentlichen Nahverkehr. Wenn sie aus den kleineren Städten nach Breslau pendeln, um zu studieren, verlieren sie viel Zeit mit Warten."
    Dass die "Bürgerplattform" kaum auf Jungwähler zielt, sieht man an Konrad Zaradny selbst. Er ist der landesweite Vorsitzende der Jugendorganisation der Partei. Trotzdem steht er im Wahlkreis Posen nur auf Platz fünf seiner Parteiliste. Bei der letzten Wahl hätte das gereicht. Doch nun sind die Umfragewerte im Keller. Vielleicht schaffen diesmal nur vier Kandidaten der Posener Bürgerplattform den Sprung ins Parlament.
    Kaczynski als Strippenzieher im Hintergrund?
    Konrad ist in Posen aufgewachsen. Er hat Wirtschaft studiert - bisher bis zum Bachelor. Gleichzeitig hat er eine Firma betrieben, die mit Chemikalien aus der Ukraine handelt. Das alles hat der 23-Jährige vorerst beendet, er setzt voll auf den Wahlkampf für den Sejm.
    Konrad ist der einzige Kandidat in Posen, der sich ein Wahlkampfbüro leistet - die Partei-Jugendorganisation will ihn unbedingt nach Warschau in den Sejm bringen.
    Bis vor Kurzem war hier eine Suppenküche untergebracht. Aber Posen braucht kaum noch Suppenküchen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei drei Prozent, so niedrig wie sonst nirgends in Polen.
    Beata Szydlo, Spitzenkandidatin von "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) auf einer Wahlveranstaltung
    Gefeiert: Beata Szydlo, Spitzenkandidatin von "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), auf einer Wahlveranstaltung (JANEK SKARZYNSKI / AFP)
    Aber gegen die Negativ-Rhetorik der Opposition kommt auch Konrad Zaradny nicht an, der am nächsten Morgen im örtlichen Fernsehstudio von Posen sitzt, um dem landesweit wichtigsten Informationskanal ein Live-Interview zu geben. Zehn Prozent Vorsprung habe die oppositionelle PiS derzeit, sagt der Moderator. Was er an Ministerpräsidentin Ewa Kopacz von der PO schätze - und was an Beata Szydlo, der Spitzenkandidatin der PiS?
    Beide seien sehr fleißig, antwortet er. Allerdings glaubt Konrad Zaradny, wie so viele, dass Beata Szydlo vielleicht Ministerpräsidentin wird, vielleicht unterstützt von Pawel Kukiz. Die Fäden im Hintergrund aber werde der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski ziehen.
    "Ich habe schon ein bisschen Angst davor, dass die PiS eine große Mehrheit bekommen und allein regieren könnte. Diese Partei hat einen Hang zu den Extremen, auch in der Außenpolitik gegenüber Deutschland oder Russland."
    Wahl könnte auch zu einem Patt führen
    Aber nur noch wenige Polen erinnern sich etwa an die damaligen Verhandlungen um den Lissabon-Vertrag, der Grundlagen-Vertrag der EU. Jaroslaw Kaczynski führte die polnischen Kriegstoten auf - als Argument dafür, dass sein Land mehr Einfluss im EU-Rat bekommen solle. Im Land selber trat er eine gigantische Säuberungskampagne los: Hunderttausende sollten beweisen, dass sie im Kommunismus nicht für den Geheimdienst spioniert hatten.
    Extrem verhielt sich die PiS damals auch gegenüber ihren Verbündeten. Die von ihr geschaffene Anti-Korruptionsbehörde nahm besonders Politiker der Koalitionspartner ins Visier. Und genau deshalb hat sich bisher noch keine Partei als Bündnispartner nach der Wahl angeboten. Auch Anna Siarkowska, die Nummer eins von Kukiz15 in Siedlce, ist zurückhaltend:
    "Derzeit gibt es keine Chance, dass eine gegen das System gerichtete Regierung entsteht. Wir werden deshalb keine Ministerposten übernehmen. Wir wollen keine Posten, sondern echte Veränderungen. Wenn wir eine Koalition eingehen, dann nur, um bestimmte Projekte, Gesetze zu unterstützen, die Polen nützen."
    Jüngste Umfragen zeichnen außerdem ein zunehmend unübersichtliches Bild. Sieben verschiedene Gruppierungen und Parteien könnten den Einzug in den Sejm schaffen. Dazu gehören linke Parteien, die in Polen seit Jahren keine zentrale Rolle mehr spielen und die diesmal gemeinsam antreten. Aber auch eine neue, wirtschaftsliberale Kraft könnte den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Sie hat sich den Namen "Modernes Polen" gegeben.
    Beide Parteien könnten gemeinsam mit der "Bürgerplattform" eine sogenannte Anti-PiS-Koalition bilden, meinen Experten. Andere sind skeptisch, so der Publizist Pawel Lisicki:
    "Wenn so eine Koalition entsteht, wäre sie ziemlich instabil. Sie hätte nicht nur die größte Fraktion, sondern auch den Präsidenten gegen sich. In zwei Jahren hätten wir vorgezogene Neuwahlen und die PiS würde dann zwei Drittel der Stimmen holen."
    Mit anderen Worten: Die Wahl am Sonntag könnte auch zu einem Patt führen, bei dem keine Partei eine Regierungskoalition bilden kann.