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Polioausbruch am Horn von Afrika

Die Weltgesundheitsorganisation warnt vor einem Ausbruch von Polio am Horn von Afrika. Eigentlich wollte die WHO die Kinderlähmung bis 2018 ausrotten, doch neue Krankheitsfälle in Somalia und Kenia versetzen die Region wieder in Alarmbereitschaft.

Von Benno Müchler | 29.05.2013
    Dr. Abdissa Kurkie sitzt noch nach Feierabend an seinem Schreibtisch. Vor einer Woche alarmierte die Weltgesundheitsorganisation alle Länder der Region. Die Tage seither waren stressig für den Leiter der Gesundheitsvorsorgeabteilung im äthiopischen Gesundheitsministerium:

    "Es war ein schlechter Tag, weil Äthiopien bislang frei von Polio war. Das sind wir immer noch. Den letzten Fall hatten wir vor knapp vier Jahren. Doch es war ein harter Tag."

    Seit dem 22. Mai bereitet das Ministerium die Durchführung von Sofortmaßnahmen vor. Die sollen noch diese Woche beginnen und den ganzen Juni andauern. Äthiopien ist mit über 80 Millionen Menschen das zweit-bevölkerungsreichste Land Afrikas. Dr. Abdissa und seine Kollegen versuchen, ein Überspringen der Krankheit aus den Nachbarländern nach Äthiopien zu verhindern:

    "Wir haben schnelle Gegenmaßnahmen geplant. Sie werden phasenweise durchgeführt werden. Zunächst werden wir die schwächsten Gemeinden in der Nähe zur kenianischen Grenze versorgen."

    220.000 Dosen Impfstoff stehen dort für unter 15-Jährige bereit, sowohl für jene, die in Äthiopiens Flüchtlingslagern in Grenznähe leben, als auch für solche um die Lager herum. Tausende Flüchtlinge leben in Äthiopien, die vor dem Bürgerkrieg im Nachbarland Somalia geflohen sind. Während in Äthiopien heute jeder theoretisch im frühen Kindesalter geimpft wird, soll nach diesem Soforteinsatz in den besonders gefährdeten Gebieten Äthiopiens, eine groß angelegte Impfaktion um diese Gebiete herum stattfinden, sagt Dr. Abdissa. Denn in den betroffenen Gemeinden leben vor allem somalische Nomaden, die mit ihren Tieren große Strecken wandern und so von den regulären Impfkampagnen oft nicht erreicht werden. In dieser zweiten Aktion werden allerdings nur unter Fünfjährige geimpft. Für ältere, also auch Schwangere und alte Menschen, die wie Kinder und Jugendliche als besonders gefährdet gelten, reichen Äthiopiens Kapazitäten derzeit nicht aus.

    Bisher sind am Horn von Afrika ein vier Monate altes Kind im kenianischen Flüchtlingslager, Dadaab erkrankt und eine 32-jährige Frau nahe der somalischen Hauptstadt, Mogadischu. Zwei dokumentierte Fälle von Polio sind genug, um einen regionalen Ausbruch von Polio zu erklären, sagt Sona Bari, Sprecherin der Weltgesundheitsorganisation in Genf:

    "Sie und ich, wir beide könnten theoretisch das Virus in uns tragen, doch keine Symptome aufweisen, da wir gesund sind. Ärzte bezeichnen Polio als asymptomatische Erkrankung. Das heißt, dass man nicht immer Symptome aufweist, selbst wenn man infiziert ist. Deshalb steht für uns ein Fall von Polio für 200 bis 1.000 infizierte Menschen."

    Tatsächlich wurde bei mehreren Personen im Umkreis des infizierten Säuglings das Poliovirus festgestellt. Die meisten infizierten Menschen scheiden das Virus aus. Durch Schmierinfektionen kann es weiter übertragen werden. Der Ausbruch ist ein Rückschlag für die Weltgesundheitsorganisation, die Polio bis 2018 weltweit vernichten will. In Kenia und Somalia galt Polio bereits als beseitigt, da die letzten Fälle zwei beziehungsweise fünf Jahre zurückliegen. Sprecherin Bari erklärt den neuen Ausbruch mit schlechter Gesundheitsversorgung, politischer Instabilität und viel Bewegung der betroffenen Gemeinden. Dadurch seien viele Kinder nicht geimpft worden. Dennoch hält die Organisation an ihrem 2018-Ziel fest. Seit 1988 arbeitet die WHO mit UNICEF, Rotary und den amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention daran, Polio durch Impfkampagnen und genaue Beobachtung weltweit zu vernichten. Diese Maßnahmen werden von nationalen Regierungen und anderen Partnern durchgeführt. Sona Bari:

    "Dieser Rückschlag kommt für uns nicht unerwartet. In Gegenden mit niedrigen Immunisierungsraten und schlechten Gesundheitssystemen gibt es eben ein Risiko. Solange es uns nicht gelingt, das Virus in den letzten drei verbleibenden Ländern auszurotten - das sind Afghanistan, Pakistan und Nigeria - wissen wir, dass überall ein Risiko bestehen bleibt."

    Solange Polio in diesen drei Ländern, in denen die Erkrankung endemisch ist, nicht vernichtet ist, kann sie in anderen Ländern immer wieder aufflackern.