Die Sitzreihen im goldenen Rokokosaal der Schwedischen Akademie waren voll besetzt. Die Eintrittskarten schon Wochen vorher vergriffen - nicht nur von Schweden. Viele Kurden und Türken waren diesmal mit im Saal. Als alle unter den zwölf Kristalllüstern Platz genommen hatten, trat Orhan Pamuk ins Rampenlicht, räusperte sich kurz und begann seine Rede: "Der Koffer meines Vaters".
" Zwei Jahre vor seinem Tod übergab mir mein Vater einen kleinen Koffer, der Texte von ihm erhielt, Manuskripte, Hefte. In einem spöttischen Ton, der ihm so eigen war, sagte er zu mir, ich soll doch nach seinem Tod diese Sachen einmal lesen. Dieser Koffer war mir ein wohlbekannter Gegenstand, und dennoch vermochte ich ihn nicht einmal zu berühren. Warum aber dies? Vermutlich lag es daran, dass der Kofferinhalt mir von geheimnisvoller Bedeutung schien. Von dieser Bedeutung möchte ich hier nun sprechen. Davon nämlich, was ein Mensch betreibt, der sich in ein Zimmer zurückzieht und mit Papier und Stift Zeugnis von sich ablegt: Literatur. "
Der türkische Schriftsteller erzählt, dass sein Vater ihn immer zum Schreiben ermuntert hatte. Er erinnert sich an dessen umfangreiche Bibliothek, bestückt sowohl mit einheimischer als auch mit Weltliteratur, und fragt sich, ob für seinen Vater, der früher selbst Schriftsteller hatte werden wollen, das Schreiben dieselbe Bedeutung habe wie für ihn. Deshalb nähert er sich dessen Heften nur zögerlich. Sie verunsichern ihn, stellen sie doch gleichzeitig auch seine eigene Autorenschaft in Frage. Kann so ein lebenslustiger, sorgloser Mensch wie sein Vater, die zum Schreiben notwenige Ruhe haben? Ist diese Ruhe, Zurückgezogenheit und Selbstkasteiung, wie er sie sich selbst auferlegt hat, wirklich notwenig? Zumal er und sein Vater einiges gemeinsam hatten:
" Ich fühlte, dass mein Vater - so wie ich später selbst - manchmal einen Roman vor allem deshalb las, um sich aus seinem eigenen Leben heraus in den Westen zu flüchten. Es kam mir auch so vor, als ob Bücher etwas seien, mit dem man über ein kulturelles Mangelgefühl hinwegzukommen sucht. Nicht nur das Leben, sondern auch das Schreiben stellte eine Methode dar, um aus unserem Istanbuler Leben in den Westen zu kommen. "
Warum sollte nicht auch sein Vater versucht haben, schreibend seiner Heimat zu entfliehen, fragt sich Pamuk. Bis zum Schluss der Rede lässt Pamuk die Zuhörer im Ungewissen über das schriftstellerische Talent seines Vaters. Dient er ihm doch zuerst einmal als Spiegel, um erlebte Geschichte, die Erfahrung ausgeschlossen zu sein, die Angst nicht authentisch schreiben zu können. auszuleuchten. Dabei bekennt Pamuk, dass die Türkei für ihn lange Zeit eine literarische "Provinz" war, fernab vom Zentrum der Welt, das er im Westen verortet. Dessen kulturelle Überlegenheit beurteilt er aber auch kritisch, zwischen den Zeilen sogar politisch:
" In der außerwestlichen Welt, können wir immer wieder beobachten, dass die Empfindlichkeit von Menschenmassen und ganzen Völkerschaften sich in Befürchtungen niederschlägt, die geradezu an Dummheit grenzen. In der westlichen Welt wiederum, führen Reichtum sowie der Stolz darauf, an der Wiege von Renaissance, Aufklärung und Moderne gestanden zu haben, bisweilen dazu, dass man sich mit ähnlicher Einfalt viel zu viel auf sich einbildet."
Am Ende der Vorlesung berichtet Pamuk, wie er schweigend seinem Vater zu verstehen gab, dass er dessen Texte schlecht fand. Der Vater lachte nur und versicherte seinem Sohn ein weiteres Mal, dass er, der jüngere, hingegen das Talent zum Literaturnobelpreisträger habe.
Keine Politik, nur Literatur. An diese Ankündigung hat sich Pamuk gehalten. Ausgehend von dem Erlebnis mit seinem Vater, erzählt der türkische Schriftsteller, wie er sich schreibend kulturell verwurzelt, wie er Istanbul aus der Peripherie holt und zu seinem literarischen Zentrum macht. Die Politik bleibt zwischen den Zeilen. Eine kluge Entscheidung. Zumal schon bei den letzten beiden Preisträgern die Kritiker gemunkelt hatten, das Nobelkomitée habe statt literarischer Kraft politisches Wohlverhalten belohnt.
Orhan Pamuks Rede können Sie in einer leicht gekürzten Fassung für bestimmte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Playernachhören.
" Zwei Jahre vor seinem Tod übergab mir mein Vater einen kleinen Koffer, der Texte von ihm erhielt, Manuskripte, Hefte. In einem spöttischen Ton, der ihm so eigen war, sagte er zu mir, ich soll doch nach seinem Tod diese Sachen einmal lesen. Dieser Koffer war mir ein wohlbekannter Gegenstand, und dennoch vermochte ich ihn nicht einmal zu berühren. Warum aber dies? Vermutlich lag es daran, dass der Kofferinhalt mir von geheimnisvoller Bedeutung schien. Von dieser Bedeutung möchte ich hier nun sprechen. Davon nämlich, was ein Mensch betreibt, der sich in ein Zimmer zurückzieht und mit Papier und Stift Zeugnis von sich ablegt: Literatur. "
Der türkische Schriftsteller erzählt, dass sein Vater ihn immer zum Schreiben ermuntert hatte. Er erinnert sich an dessen umfangreiche Bibliothek, bestückt sowohl mit einheimischer als auch mit Weltliteratur, und fragt sich, ob für seinen Vater, der früher selbst Schriftsteller hatte werden wollen, das Schreiben dieselbe Bedeutung habe wie für ihn. Deshalb nähert er sich dessen Heften nur zögerlich. Sie verunsichern ihn, stellen sie doch gleichzeitig auch seine eigene Autorenschaft in Frage. Kann so ein lebenslustiger, sorgloser Mensch wie sein Vater, die zum Schreiben notwenige Ruhe haben? Ist diese Ruhe, Zurückgezogenheit und Selbstkasteiung, wie er sie sich selbst auferlegt hat, wirklich notwenig? Zumal er und sein Vater einiges gemeinsam hatten:
" Ich fühlte, dass mein Vater - so wie ich später selbst - manchmal einen Roman vor allem deshalb las, um sich aus seinem eigenen Leben heraus in den Westen zu flüchten. Es kam mir auch so vor, als ob Bücher etwas seien, mit dem man über ein kulturelles Mangelgefühl hinwegzukommen sucht. Nicht nur das Leben, sondern auch das Schreiben stellte eine Methode dar, um aus unserem Istanbuler Leben in den Westen zu kommen. "
Warum sollte nicht auch sein Vater versucht haben, schreibend seiner Heimat zu entfliehen, fragt sich Pamuk. Bis zum Schluss der Rede lässt Pamuk die Zuhörer im Ungewissen über das schriftstellerische Talent seines Vaters. Dient er ihm doch zuerst einmal als Spiegel, um erlebte Geschichte, die Erfahrung ausgeschlossen zu sein, die Angst nicht authentisch schreiben zu können. auszuleuchten. Dabei bekennt Pamuk, dass die Türkei für ihn lange Zeit eine literarische "Provinz" war, fernab vom Zentrum der Welt, das er im Westen verortet. Dessen kulturelle Überlegenheit beurteilt er aber auch kritisch, zwischen den Zeilen sogar politisch:
" In der außerwestlichen Welt, können wir immer wieder beobachten, dass die Empfindlichkeit von Menschenmassen und ganzen Völkerschaften sich in Befürchtungen niederschlägt, die geradezu an Dummheit grenzen. In der westlichen Welt wiederum, führen Reichtum sowie der Stolz darauf, an der Wiege von Renaissance, Aufklärung und Moderne gestanden zu haben, bisweilen dazu, dass man sich mit ähnlicher Einfalt viel zu viel auf sich einbildet."
Am Ende der Vorlesung berichtet Pamuk, wie er schweigend seinem Vater zu verstehen gab, dass er dessen Texte schlecht fand. Der Vater lachte nur und versicherte seinem Sohn ein weiteres Mal, dass er, der jüngere, hingegen das Talent zum Literaturnobelpreisträger habe.
Keine Politik, nur Literatur. An diese Ankündigung hat sich Pamuk gehalten. Ausgehend von dem Erlebnis mit seinem Vater, erzählt der türkische Schriftsteller, wie er sich schreibend kulturell verwurzelt, wie er Istanbul aus der Peripherie holt und zu seinem literarischen Zentrum macht. Die Politik bleibt zwischen den Zeilen. Eine kluge Entscheidung. Zumal schon bei den letzten beiden Preisträgern die Kritiker gemunkelt hatten, das Nobelkomitée habe statt literarischer Kraft politisches Wohlverhalten belohnt.
Orhan Pamuks Rede können Sie in einer leicht gekürzten Fassung für bestimmte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Playernachhören.