Dienstag, 16. April 2024

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Politikwissenschaftler Gero Neugebauer
"Wahlkampf 2013 war noch langweiliger"

Bildungswesen, Digitalisierung der Arbeitswelt und Globalisierung: Wahlkämpfe sollten eigentlich dazu dienen, Auseinandersetzungen zu führen, sagte der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer im Dlf. Genau das passiere aber nicht - das liege am Stil der beiden Kandidaten und den fehlenden Unterschieden zwischen CDU und SPD.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Daniel Heinrich | 29.08.2017
    Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer
    Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer (Privat)
    Daniel Heinrich: Am Telefon zugehört hat der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer von der FU Berlin. Herr Neugebauer, Angela Merkel vor der Hauptstadtpresse, über 200 Journalisten 90 Minuten lang. Die einen sagen, die Kanzlerin war entspannt; andere sagen, ein bisschen langweilig war es schon, was da passiert ist. Wie symptomatisch für den Wahlkampf ist eigentlich dieser Auftritt heute gewesen?
    Gero Neugebauer: Er hat ziemlich viel verraten über die Kommunikationsstrategie von Frau Merkel und über ihre Interessen. Ihr Interesse ist natürlich immer, sich selbst darzustellen, ein bestimmtes Bild von sich zu zeichnen und damit gleichzeitig aber auch deutlich zu machen, dass sie zumindest sich selbst für unentbehrlich hält. Ich bin da an der Stelle ein bisschen polemisch, gebe ich gerne zu, aber gelegentlich hat man schon den Eindruck. Und dort, wo sie gezwungen wäre, sich zu bekennen, beispielsweise auf die Frage, die ihr eine Journalistin stellte, ob sie seinerzeit als Kanzlerin des Willkommens genannt wurde und jetzt auf einmal möglicherweise Kanzlerin der Abgrenzung genannt wird, da hat sie eine lange Geschichte erzählt über das, was sie eigentlich in ihrem Einleitungsstatement schon erzählt hat, nämlich über die Art und Weise, wie Flüchtlingspolitik gemacht wird. Aber sie hat nicht auf die Frage geantwortet.
    Heinrich: Ist das schon, wie Angela Merkel, wie die Bundeskanzlerin da gerade verfährt, ist das souverän, oder ist das schon dreist?
    Neugebauer: Ich kann den Vergleich schlecht ziehen, weil ich nicht jemand kenne, der es ähnlich macht. Aber ich glaube nicht, dass sie das als dreist empfindet. Das empfindet sie als selbstverständlich. Sie hat eine bestimmte Art, sich als politische Figur zu begreifen. Helmut Kohl hätte gesagt, was schert es die deutsche Eiche, wenn sich jemand daran schert, oder die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter. Ähnliche Mentalitäten hat sie auch, eine ähnliche Auffassung auch, weil sie weiß, sie ist im Recht und wenn nicht im Recht, dann ist sie zumindest in den Aussagen so vorläufig, dass sie nicht festgenagelt werden kann. Als Berliner nehme ich hier wieder als Beispiel den BER, wo sie sagt, die Rechtslage ist so und so und so. Rechtslagen könnten auch geändert werden. Das erfordert sehr viel mehr Aufwand, als in so einem kurzen Satz enthalten ist.
    Trotzdem: Da wo sie sich nicht sicher sein kann oder nicht sagen will, dass sie da nicht sicher sein darf, geht sie weitschweifig an irgendwelche Erläuterungen heran. Aber dort, wo sie meint, man könne ihr nicht in die Parade fahren, da ist sie ganz souverän und sagt, so ist das und so ist das, und dabei gelingt es ihr dann immer auch, durch lange Erzählungen die Leute so weit zu überzeugen, dass sie nicht mehr auf eine Antwort auf ihre Frage bestehen, sofern sie nicht beantwortet worden ist.
    Merkel und Schulz: zwei völlig unterschiedliche Stile
    Heinrich: Aber kann man ihr das wirklich vorwerfen, Herr Neugebauer? Ist das nicht einfach ein Lapsus der Konkurrenz, in dem Fall Martin Schulz, dass er das einfach nicht auszunutzen weiß?
    Neugebauer: Das sind zwei völlig unterschiedliche Stile, die sich da begegnen. An einem Punkt sind beide ähnlich. Beide vermeiden persönliche scharfe Angriffe. Selbst das, was Martin Schulz in letzter Zeit tut, dass er Merkel für unfähig erklärt, bestimmte Dinge zu tun, dass er Merkel bestimmte Versäumnisse vorwirft, das ist eher ein Ausdruck der Verzweiflung. Personalisierter Wahlkampf lohnt sich für ihn nicht.
    Aber in der Tat ist es auch so, lassen Sie mich es so sagen: Wir haben eine Auseinandersetzung zwischen David und Goliath. David (Schulz) hat mit Sicherheit eine Schleuder in der Hand. Nur was verschießt er? Seifenblasen oder Quarkkugeln? Aber nicht irgendetwas, was wirklich trifft. Und Merkel ist in der Lage zu sagen, entweder sie sagt, ach ja, Diesel ist auch eine Brückentechnologie, oder sie sagt, da hat er gar nicht Recht, und relativiert was, oder sie sagt, nein, da macht er nichts. Wenn Sie dann Aussagen aus Reihen der SPD hören, die dann sagen, in der nächsten Regierung werden wir das und das machen, dann fragt man sich: Hoppla! Ist denn die Familienministerin sicher, dass sie in der nächsten Regierung sein wird, oder ist denn ein anderer Minister sicher, dass er da wieder sein wird.
    Dann stellt man fest: Frau Merkel ist in einer Position, auch weil sie in der Partei so unangefochten ist, dass sie in diesen Wahlkampf reingehen kann wie jemand, der es wirklich nicht nötig hat, sich in einen Wahlkampf zu stellen, der in einer Auseinandersetzung über wichtige Themen besteht, sondern sie kann einfach sagen, Leute, ich erkläre euch, wie ich Politik machen will, mehr müsst ihr nicht wissen, weil ihr kennt mich ja, ihr könnt mir vertrauen.
    Heinrich: Aber, Herr Neugebauer, um mal Ihre Worte aufzugreifen. Es gibt ja ein paar Quarkkugeln. Flüchtlingspolitik, Abgasskandal, Verwerfung mit der Türkei, das waren alles Themen auf dieser Bundespressekonferenz.
    Keine gravierenden Unterschiede zwischen CDU und SPD
    Neugebauer: Ja.
    Heinrich: Das sind doch Aufregerthemen. Warum dieser Mehltau?
    Neugebauer: Auch Bildungspolitik würde ich zu diesen Themen zählen. – Warum der Mehltau? Der Mehltau ergibt sich aus der Nähe der beiden Parteien. Wenn Sie sich die Programme angucken, wenn Sie die Lösungen angucken, wenn Sie auch fragen, auch die Kanzlerin argumentiert mit Gerechtigkeit, Schulz argumentiert mit Gerechtigkeit, was ist das Spezifische an der christdemokratischen Gerechtigkeit, was ist das Spezifische an der sozialdemokratischen, und Sie heben ein zweites Blatt ab oder schälen die dritte Haut der Zwiebel, dann stellen Sie fest, das kommt sich ja immer näher, da sind gar nicht mehr so gravierende Unterschiede. Und wenn Sie in die Programme reingucken, dann stellen Sie fest, dass das, was die Union zu Anfang der Legislaturperiode mit Unterstützung einiger SPD-Politiker noch als große Schande beschrieben hat, nämlich Familienarbeitszeit, das steht auf einmal auch im Programm der Union drin.
    Kanzlerkandidat Martin Schulz (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Profil, sie sehen sich an
    Kanzlerkandidat Martin Schulz (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) (dpa/Olivier Hoslet)
    Es fehlen die wirklichen Reibeflächen und wenn dazu kommt, dass jemand wie Frau Merkel in einer Position ist, wo sie permanent erscheint, wo sie überhaupt ihren Amtsbonus so ausnutzen kann – und den nutzt sie jetzt wesentlich intensiver aus als 2013 – und der Konkurrent nicht die Möglichkeiten hat, die sie hat, geht er und eröffnet die Automobilausstellung, geht er zu dem Gipfel hin, nein, das tut er alles nicht und insofern entsteht schon, sagen wir mal, mehr als ein gradueller Unterschied zwischen beiden, der notwendigerweise dazu führt, dass wir in einer Situation sind, in der viele Deutsche sagen, na ja, noch geht es uns gut, aber wir wissen ja jetzt nicht, was nächstes Jahr ist, jetzt geht der Aktienkurs runter und was passiert denn da eigentlich mit den Krisen, wo sie dann lieber sagen, das Bewährte, zumal es sich auch erklärt, ist uns dann immer noch lieber als der, der uns erklärt, dass das nicht so weitergehen kann, aber eigentlich auch nicht so genau sagt, wie es weitergehen könnte.
    "Wenn Sie in die Netze reingucken, das ist wesentlich intensiver"
    Heinrich: Aber, Herr Neugebauer, können Sie sich vor diesem Hintergrund eigentlich an einen langweiligeren Wahlkampf erinnern?
    Neugebauer: Ja, an 2013. Der war langweiliger.
    Heinrich: Fanden Sie?
    Neugebauer: Ja, der war wirklich langweiliger. Wenn Sie nämlich mal eine Ebene runtergehen und gucken auf die Ebene der Wahlkämpfer, wie die agieren, die Plakatekleber, die Diskussionen, die geführt werden an den Ständen, bei den Hausbesuchen, das ist wesentlich intensiver. Wenn Sie in die Netze reingucken, das ist wesentlich intensiver. Aber wenn die Wahrnehmung dieses Wahlkampfs interpretiert wird, in die Medien gelangt, und wenn Sie auch Leute fragen, die an einer Auseinandersetzung interessiert sind, die sagen, Wahlkämpfe dienen doch eigentlich nicht dazu, wie Frau Merkel sagt, einfach nur vorzustellen, was die Partei will, sondern Wahlkämpfe dienen doch eher dazu, Diskussionen zu führen über die von Ihnen eben genannten Themen und über weiterführende Sachen, was bedeutet denn nun eigentlich Digitalisierung für den Arbeitsmarkt, was bedeutet Globalisierung für den Wirtschaftsstandort, für die Entwicklung beispielsweise des Bildungswesens, was heißt das, werden wir uns abschotten, oder werden wir uns öffnen. Wieso wird denn auf einmal die Flüchtlingspolitik zu einer transnationalen Angelegenheit erklärt, wo es doch bis vor kurzem noch schwierig war, es als ein europäisches Problem zu definieren? Es gibt genügend Möglichkeiten und wer so etwas vom Wahlkampf erwartet, das heißt von der Politik Orientierung erwartet, der ist enttäuscht und der kann auch nur sagen, warum sollte ich eigentlich hingehen und wählen, wenn sich sowieso wenig ändert.
    "Schulz sollte mehr lachen"
    Heinrich: Herr Neugebauer, um diesen Wahlkampf ein wenig sexyer zu machen, um es mal flapsig zu formulieren, gibt es am Sonntag ein TV-Duell zwischen Merkel und Martin Schulz. Wären Sie der Berater von Martin Schulz, was würden Sie ihm sagen, was würden Sie ihm raten?
    Nahles und Schulz stehen vor einer roten Wand mit dem SPD-Logo und lachen sich zu. 
    Schulz sollte mehr lachen, empfiehlt Politologe Neugebauer. (dpa/Kay Nietfeld)
    Neugebauer: Er sollte mehr lachen.
    Heinrich: Generell mehr lachen. Und damit, meinen Sie, kann er die Kanzlerin einfangen?
    Neugebauer: Nein. Aber damit kann er die Menschen davon überzeugen, dass die Art und Weise der Auseinandersetzung, die er führt, eine Auseinandersetzung ist, die eine Gegnerin Merkel totläuft. Dass der Stil, den er hat, die Inhalte sind, bis auf das, was ich eben auch beklagt habe, zu wenig sozialdemokratisch. Die Inhalte sind schon von den Themen her okay. Aber die Art und Weise, wenn er verlangt von ihr, sie solle darauf antworten, und sie sagt, ich antworte ja gar nicht, ich erkläre nicht die Politik meiner Partei, dann kann er das nicht als Antworten verstehen. Dann muss er weggehen davon und sagen, na ja, was soll so eine Auseinandersetzung, wenn die gegenübersitzende Person nicht in der Lage ist, sich zu erklären oder den Zuhörerinnen und Zuhörern zu erklären, was sie wirklich machen will, um nicht nur zu sagen, heute können wir gut und gerne in Deutschland leben, aber wie schaffen wir es eigentlich, auch morgen und übermorgen gut und gerne in Deutschland zu leben.
    Heinrich: Dann passen wir am Sonntag mal auf, ob Martin Schulz sich dieses Interview angehört hat und ob er mehr lachen wird am Sonntag. – Gero Neugebauer, der Politikwissenschaftler an der FU Berlin. Herr Neugebauer, vielen Dank für das Gespräch.
    Neugebauer: Gern geschehen, Herr Heinrich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.