Samstag, 18. Mai 2024

Archiv


Pop-Gespräche

Wer in Westdeutschland in den 60er-Jahren sozialisiert wurde, steht im Zentrum der "BRD". Man war zu jung dafür, um ein 68er sein zu müssen, aber genau im richtigen Alter, um die Popkultur aufzusaugen. Thomas Meinecke, Klaus Walter und Frank Witzel gehören dieser ersten Generation an, für die eine Pop-Umgebung selbstverständlich wurde.

Von Helmut Böttiger | 05.02.2010
    Für ihr Bändchen "Die Bundesrepublik Deutschland" haben sie sich wieder ein bewährtes Arrangement einfallen lassen: die freie Trio-Improvisation. Man traf sich zu einzelnen Gesprächsrunden, ließ das Band mitlaufen und kompilierte daraus das jetzt vorliegende Textsubstrat. Nach dem Single-Hit "Plattenspieler" vor einigen Jahren, der die musikalischen Prägungen der einzelnen Protagonisten umspielte, holte man für die Nachfolgesingle nun weiter aus.

    Die Band wechselt zwar häufiger die Instrumente, aber letztlich ist es doch meist Thomas Meinecke, der die Leadgitarre übernimmt und die anderen sich an seinen Einfällen abarbeiten lässt. Er setzt mit dem Bild Adenauers ein, wie er Rosen schneidet; Schlagzeuger Walter und Bassist Witzel stellen die Erinnerungsfragmente "Eurovision" und "Capri-Fischer" dagegen. Um konkrete Details geht es meist, wie Fernsehserien oder Namen von Sängern und Gruppen. In guten Momenten spielen die drei traumhaft zusammen, so bei Werner Höfers "Internationalem Frühschoppen" und wie man sich dran freute, wenn ein Amerikaner deutsch sprach. Frank Witzel fängt an:

    "Das war die weite Welt. Das war praktisch das, was Werner Vetterli und ..."

    Klaus Walter fällt ein:

    "Teddy Podgorsky ..."

    Thomas Meinecke vollendet:

    "... aus Wien - im ZDF waren."

    Werner Vetterli! Teddy Podgorsky! Die Schaltungen in "Aktenzeichen XV ungelöst" nach Zürich und Wien waren legendär, und man hat diese zweifellos sprechenden Namen eigentlich längst vergessen und ist verblüfft und berauscht, in welch entlegenen Ecken des Gedächtnisses man kramen kann. Das ist das Geheimnis von Pop!

    Das Schlüsseldatum der alten Bundesrepublik liegt für die drei irgendwo um 1980: Dies war der popkulturelle Turn der Geschichte. Die Hippies hatten sich überlebt, die traditionelle politische Linke hatte abgedankt, mit dem Showdown der RAF als großem Symbol, und die Konturen des Neuen waren mit Punk, Dekonstruktion und Ironie sichtbar geworden. Es vollzog sich ein Übergang von der Politik zur Ästhetik: ab diesem Einschnitt funktionierte alles nach den Kriterien des Pop, und selbst das, was vorher war, erschien im Nachhinein vor allem als Pop-Phänomen, sogar Franz-Josef Strauß. Am interessantesten wird es, wenn Thomas Meinecke bekennt:

    "Ich würde mir auch heute eher ein Straußbild aufs Klo hängen als eins von Augstein."

    Rudolf Augstein, ein linksliberales Aushängeschild der frühen BRD und früherer "Nazi", wie die drei immer wieder betonen, wirkt "verlogener" als Strauß, meint Meinecke, und er begründet das so:

    "Weil Strauß geradeheraus Gangster ist, quasi 50 Cent."

    Das lebt natürlich vor allem vom Groove. Über die Konsequenzen dieser Ästhetisierung allerdings hätte man schon gern auch etwas gehört. Was nach dem "deutschen Herbst" durch Punk, New Wave und kulturelle Umcodierungen passierte, wird zwar relativ genau umschrieben, aber wie die drei Solisten dieser Sprech-Band heute damit umgehen, außer dass ihnen zunehmend unwohl ist, bleibt etwas diffus. Ab und zu tauchen soziologische Muster auf: Meinecke stammt aus einem liberalen, bürgerlichen Elternhaus, Klaus Walter dagegen spricht einmal von seinem klassischen Unterschichtmilieu, wo von Juden und Zigeunern und Vergasen die Rede war. Vielleicht rührt es daher, dass Walter die Haltung der frühen "Toten Hosen" ernst nimmt. Meinecke hingegen argumentiert vor allem ästhetisch:

    "Das war noch zehn Jahre nach Punk Festhalten an diesen Scheißriffs und Mitgröhl-Fußball-Bierdosen-Laune."

    Auffällig ist, wie rigoros Meinecke mit den "Grünen" abrechnet - Angela Merkel und natürlich Joseph Ratzinger erscheinen bei ihm in einem milden, fast ein bisschen güldenen Licht, aber die Grünen sind die wirklichen Hassfiguren. Klaus Walter stellt fest:

    "Das Problem der deutschen Linken ist, dass sie einfach Pop nicht verstanden haben."

    Hier wird es spannend, aber unversehens zeigt sich "Pop" dabei auch als ideologischer Kampfbegriff, der unter der Hand in einer sehr deutschen Tradition zu stehen scheint. So wie die 68er die Prägungen durch ihre Nazieltern nicht los wurden und sie negativ wendeten, haben manche Vertreter der späteren deutschen Popkultur in ihrer Verbissenheit viel mehr mit den 68ern gemeinsam, als ihnen lieb sein kann. Nirgendwo in vergleichbaren westlichen Ländern wurde der Begriff "Pop" so dogmatisch aufgerüstet wie in Deutschland. Leider brechen die drei Diskutanten hier ab. Und es fehlen wohl schon auch ein paar grundsätzlichere Gedanken darüber, dass der allgemeine Wohlstand erst seit den siebziger Jahren eine ausgesprochene Konsumgesellschaft prägte und die Popkultur in dieser Form erst möglich machte. Pop hört sich da schnell ganz anders an als noch bei Jimi Hendrix oder Rolf-Dieter Brinkmann.

    Pop wird seit Beginn der 80er-Jahre durch eine neue Form von Ironie mitdefiniert und steht in einem Zusammenhang mit der unendlich langen Regentschaft Helmut Kohls, die jetzt beginnt. Thomas Meinecke ist im Rückblick fast verzweifelt:

    "Der ganze gesellschaftliche Ton ist locker geworden, aber du bist eingebunden in ein zwangsironisches System."

    Klaus Walter fügt hinzu:

    "Und dann diese Vermassung der Camp-Techniken, die sich in dem schrecklichen Spruch symbolisiert: Das ist so schlecht, dass es schon wieder gut ist, den dir heute 98 Prozent der Bevölkerung unterschreiben."

    Eine Zeit lang streiten sich die drei darüber, ob die "Bild"-Schlagzeile "Wir sind Papst!" nun Pop sei oder nicht - und damit wird die Ausweglosigkeit, in die wir uns hineinbegeben haben, prägnant. Die "Affirmation" als Provokation, das war um 1980 ein subversiv eingesetztes Instrument der sich entwickelnden Pop- und Medienkultur, und das schien angesichts der saturierten 68er-Karrieristen und der damals unsäglichen Hippiementalität eine notwendige Pendelbewegung zu sein. Diese Affirmation hat sich auf eine erstaunliche Weise verselbständigt. Die drei Solisten stoßen auf Phänomene wie den Witzemacher Mario Barth und schütteln, wie Klaus Walter, fassungslos darüber den Kopf,

    "dass wir sozusagen eine selbstbewusste Unterschicht haben, die ihre Kultur selbstbewusst vertritt."

    Und Meinecke denkt an Till Brönner und setzt noch eins drauf:

    "Die Unterschicht sitzt in der Lounge und trinkt Latte macchiato."

    Ums Jahr 2000, auf dem Höhepunkt des teutonischen "Pop"-Konsums, brauchte man bloß eine schmale These, um das gesamte Feuilleton zum Juchzen zu bringen. Die These damals lautete: Kämen in einem Roman Markennamen vor, sei er gut, fehlten sie, sei er schlecht. Diese Geister haben die Pop-Avantgardisten und Affirmationsartisten zwei Jahrzehnte vorher bestimmt nicht gemeint, als sie sie riefen. Auf dem Titelbild unseres improvisierenden Trio-Bändchens prangt das schöne Hinterteil eines alten VW-Käfers, und das stimmt: Die hier in Rede stehenden Zeit- und Fahrgefühle sind vom Käfer geprägt worden, und es war noch nichts zu spüren von der Stromlinienförmigkeit einer Generation Golf. So steht das Buch mit dem Titel "Die Bundesrepublik Deutschland" glaubwürdig für eine etwas allgemeinere Orientierungslosigkeit.

    Frank Witzel, Klaus Walter, Thomas Meinecke: Die Bundesrepublik Deutschland. Edition Nautilus, Hamburg. 189 Seiten, 16 Euro