
Madonna will es. Peaches will es. White Noise machen es. Die Popmusik ist voll davon – Schneller Sex, romantischer Sex, kein Sex. Das Feuer der Frau, Wollust, Sex zu Dritt.
"Das ist gewissermaßen eine pornografische Fantasie, die Franz Zappa da betreibt. In den 70er Jahren gab es eben eine bestimmte Form von Männern, die Franz Zappa gehört haben. Das waren Typen mit langen Haaren, die irgendwie nicht an Frauen rankamen und den ganzen Abend nur über Frank Zappa sprechen konnten. Und für die war so ein Song natürlich: Hey, der macht nicht nur eine rum, sondern irgendwie auch seine Schwester – boah, toll."
Haru Specks ist DJ, Plattensammler, selbst ernannter Pop-Experte und der Vinylprediger. Seine Kanzel ist der Plattenspieler, seine Bibel die Popmusik. So steht er im Club und interpretiert Songs. Zum Beispiel zum Thema Sex.
Musik voller sexistischer Anspielungen
"Es geht im Blues los und endet bei Jacques Palminger. Und da kann man schon stark ablesen, wie Sex in der Gesellschaft transportiert und reflektiert und diskutiert wurde. Wie verändert sich unser Verhältnis zu Sex eben auch? Und das ist mit fast jedem Thema möglich. Musik ist wie eine Zeitkapsel, ich kann einen Song aus den 70er Jahren nehmen, warum hat das so gut funktioniert? Warum war das so beliebt? Warum wurde das so oft gekauft? Was hat die Menschen daran interessiert oder berührt?"
Specks meint, in den 60ern und 70ern war die Popmusik voller Männerfantasien. Da ließ Lee Hazlewood Nancy Sinatra von ihrem Feuer singen, das er mit ihr teilen will. Die Frau: nur eine Figur in Männerträumen, die Musik voller sexistischer Anspielungen. Ab den 80ern findet er Musikerinnen, die aus eigenen Stücken ganz offen über ihre weibliche Lust singen. Beispielhaft legt er Madonna mit "Justify my love" oder Grace Jones mit "Pull Up To The Bumper" auf.
"Offensichtlich geht es um mehr als nur schwarze große Limousinen. Es geht offensichtlich um Sex. Sie wollte das auch klar damit ausdrucken. Im Gegensatz zu den 70ern gab es in den 80ern schon eine Emanzipation von den Frauen."
Textbüchlein für die Fangemeinde
Specks Vinylpredigt ist 15 Musikstücke lang. Wenn er dazwischen kleine Anekdoten auspackt, schmunzelt das Publikum, zeigt sich aber eher verhalten und passiv, liest nur die Songtexte im Heftchen mit, das jeder Zuschauer der Vinylpredigt bekommt. Um besser zu verstehen, was Eartha Kitt, Rod Stewart oder Nick Cave über Sex singen.
"Ich finde das extrem befreiend im Vergleich zu einem Serge Gainsbourg oder Lee Hazlewood, die doch irgendwie die kleinen Mädchen in die Kiste bekommen. Die Realität ist aber irgendwie: Bist ein alter Sack und du kriegst keine mehr einfach."
Weil er chronologisch vorgeht, entsteht im Laufe des Abends eine Idee, wie die Gesellschaft zum Sex steht. Nicht vollständig oder wissenschaftlich - nur ein kleiner subjektiver Ausschnitt, der immer zeigt, dass Pop nicht bloß Unterhaltungsmusik ist. Specks hat noch 19 weitere Predigten in der Schublade – er fragt nach der Liebe, dem Tod, der Illusion der Beschleunigung, dem Leiden oder nach dem Protest.
"In der Hoffnung auch junge Bands zu inspirieren, mal über den ganzen Befindlichkeitskram, den man heute hört, über Mein-Fahrrad-ist-Kaputt, Meine-Freundin-hat-mich-Verlassen. Vielleicht mal einen Schritt weiter zu kommen."
Zuschauer von Erstsemestern bis Silver-Agern
Früher war alles besser? So schlimm ist es nun auch wieder nicht, meint Specks. Aber man kann den Jungen ja auch mal alte Hits zeigen und den Älteren die neuen Songs. Tatsächlich sitzen im Publikum Silver-Ager neben Erstsemestern, die dem DJ Haru Specks genau zuhören, wenn er seine Platte auflegt.
"Das war auf jeden Fall auch ein Ziel von mir, die Leute vom Beschallen zum Zuhören zu bringen, weil ich denke: Musik ist eine großartige Kunst, das ist zu schade, um einfach nur beim Joggen zu beschallen, so eine Schallglocke im Zug über sich zu setzen, um sich abzuschotten. Musik kann viel mehr. Und Künstler haben was zu sagen, die haben eine Aussage, und mit der beschäftigt sich kaum noch jemand."
Haru Specks schon. Seine Viniylpredigt ist ein kleiner Gegenentwurf zur digitalen Beschleunigung. Er zwingt zum Zuhören. Damit keine Missverständnisse entstehen und jeder weiß, dass es bei "Pull it to the Bumper" nicht nur um Limousinen geht, sondern auch um: Sex.