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Popstar an den Tasten

Er tritt in der Sesamstraße auf, bei Talkshows in Europa und den USA, und bei "Wetten, dass..?" war er auch schon. In diesen Tagen führt ihn eine Tournee mit Freiluftkonzerten nach Hannover, Hanau, Stuttgart, nach Salem, Köln und Berlin. In der Parallelwelt des Internet kann man ihn als gezeichnete Figur erleben: wie er von Kontinent zu Kontinent jettet, mit dem Hubschrauber zu einem Konzert einfliegt, und natürlich bei seiner Hauptbeschäftigung, dem Klavierspielen. Er ist 24 Jahre alt, könnte die virtuelle Erfindung einer Werbeagentur sein und wird von seiner Plattenfirma vermarktet wie ein Popstar: die Rede ist vom chinesischen Pianisten Lang Lang.

Von Ludwig Rink |
    Und diese Plattenfirma, die Deutsche Grammophon Gesellschaft, hat pünktlich zum erneuten Europa-Trip ihres Lieblings eine weitere Lang-Lang-CD veröffentlicht: Er spielt die Klavierkonzerte 1 und 4 von Ludwig van Beethoven, und zwar zusammen mit dem Orchestre de Paris, bei dem seit längerem Christoph Eschenbach der Chef ist. Glaubt man der Plattenfirma, dann ist diese erste Beethoven-Aufnahme des Pianisten lang erwartet, glaubt man Christoph Eschenbach, dann wurde "Lang Lang geboren, um Beethoven zu spielen".

    " Musikbeispiel: Ludwig van Beethoven - 1. Satz (Ausschnitt) aus: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1
    Lang Lang, Klavier, Orchestre de Paris, Leitung: Christoph Eschenbach "

    Wer Lang Lang im Konzert erlebt hat weiß, dass man sich seinem jugendlichen Charme kaum entziehen kann. Durch sein ausgesprochen virtuoses Spiel, aber auch durch sein ganzes Auftreten nimmt er für sich ein. Selbst eine missglückte Passage kann man dort beim Zuschauen überhören, weil seine Gestik so suggestiv, seine Mimik so mitempfindend ist. Seine Begeisterung für die Schönheit des jeweils Gespielten steckt an, und so ist er zweifellos ein Botschafter, der der Klassik neue, jüngere Hörerschichten erschließen kann. Lang Lang spielt immer mit einer großen Portion Gefühl. Die empfindet der eine als gerade richtig und besonders schön, ein anderer aber vielleicht schon als zu dick aufgetragen. Kritiker jedenfalls kreiden ihm an, dass der persönliche Gestaltungswille ihm bisweilen wichtiger zu sein scheint als der aufgeschriebene Notentext, dass vor lauter Emotionen im Detail auch schon mal der Überblick über das Ganze verloren geht. Auch bei den Beethoven-Konzerten gibt es solche Stellen, wo man rufen möchte: Nun mach schon, verweile nicht, weiter geht's! Zum Beispiel an folgender Stelle im Rondo des 1. Klavierkonzertes, wo Lang Lang auch noch durch zusätzliche Hervorhebungen den Spielfluss zu kurzzeitigem Stocken bringt und bei einem Lauf viel zu viel Pedal benutzt:

    " Musikbeispiel: Ludwig van Beethoven - 3. Satz (Ausschnitt) aus: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1
    Lang Lang, Klavier, Orchestre de Paris, Leitung: Christoph Eschenbach "

    Zum Vergleich dieselbe Stelle aus einer CD mit Alfred Brendel und den Wiener Philharmonikern: viel mehr Eleganz, natürlich-perlende Spielfreude. Übrigens macht sich das stete Verweilen und Auskosten auch in der Länge dieses Satzes bemerkbar: Lang Lang braucht auf ca. neun Minuten eine halbe Minute länger als Brendel.

    " Musikbeispiel: Ludwig van Beethoven - 3. Satz (Ausschnitt) aus: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1
    Alfred Brendel, Klavier, Wiener Philharmoniker, Leitung: Simon Rattle "

    Auch die Triller-Orgie des seltsamen 2. Satzes des G-Dur-Konzertes möchte ich Ihnen aus beiden Interpretationen gegenüberstellen. Den Anfang macht diesmal Alfred Brendel: Klar und deutlich, nuancenreich, keine Lautstärke-Exzesse, organische Übergänge was Tempo und Dynamik betrifft.

    " Musikbeispiel: Ludwig van Beethoven - 2. Satz (Ausschnitt) aus: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4
    Alfred Brendel, Klavier, Wiener Philharmoniker, Leitung: Simon Rattle "

    Lang Lang dagegen mit deutlich mystischerem Pedal-Nebel, auftrumpfendem Fortissimo und manchmal seltsam uneinheitlichem Anschlag:

    " Musikbeispiel: Ludwig van Beethoven - 2. Satz (Ausschnitt) aus: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4
    Lang Lang, Klavier, Orchestre de Paris, Leitung: Christoph Eschenbach "

    Solistisch mag dieses extreme Nachhören jedes einzelnen musikalischen Gedankens ja noch möglich sein, im Zusammenspiel mit einem ganzen Orchester jedoch stellt es den jeweiligen Dirigenten vor große Probleme. Zum Glück entstand die vorliegende CD offensichtlich nicht als Live-Mitschnitt, sondern als regelrechte Produktion, wo das Miteinander immer mal wieder neu justiert und die Freiheiten des Solisten mit den Erfordernissen der Gruppe in Einklang gebracht werden können. Vermutlich dürfte hier die größte Herausforderung für den Dirigenten Christoph Eschenbach gelegen haben, nicht nur das Tempo und das Zusammenspiel zu koordinieren, sondern auch für ähnliche Artikulation und Phrasierung zu sorgen. Ich könnte mir vorstellen, dass ein so engagierter, heißblütiger Musiker wie Lang Lang auch immer mal wieder aus dem Moment heraus aus der vorher verabredeten Interpretationslinie auszubrechen versucht, was die oft unschöne Folge haben kann, dass dann das gleiche musikalische Material bei ihm anders klingt als kurz darauf beim Orchester. Solche Stellen sind bei dieser Produktion aus der Pariser Salle Pleyel zum Glück selten, zu spüren ist jedoch noch etwas von dem dompteur-ähnlichen Kraftakt, mit dem der Dirigent das Temperament des Solisten zu bändigen versteht - es gibt andere Aufnahmen der Beethoven-Klavierkonzerte, die leichtfüßiger, fließender und organischer daherkommen. Dennoch: Lang Lang ist nach dem wüsten Virtuosenfeuerwerk spätromantischer Klavierkonzerte bei der Wiener Klassik angekommen, und auch diesen vor allem musikalisch schwierigen Prüfstein meistert er alles in allem mit Bravour.

    " Musikbeispiel: Ludwig van Beethoven - Finale aus: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4
    Lang Lang, Klavier, Orchestre de Paris, Leitung: Christoph Eschenbach "

    Die Neue Platte - heute mit der Neuaufnahme zweier Beethoven-Klavierkonzerte mit dem Chinesischen Pianisten Lang Lang und dem Orchestre de Paris unter der Leitung von Christoph Eschenbach, einer CD, die beim Label Deutsche Grammophon erschienen ist. Zuletzt erklang der Schluss-Satz, das Rondo, aus Beethovens 4. Klavierkonzert. Im Studio verabschiedet sich Ludwig Rink.

    CD :
    Titel: Beethoven - Klavierkonzerte Nr. 1 & 4
    Solist: Lang Lang, Klavier
    Orchester: Orchestre de Paris
    Leitung: Christoph Eschenbach
    Label: Deutsche Grammophon / Universal
    Labelcode: LC 00173
    Bestellnr.: 477 6719