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Portugals Haushalt
Nur beim Militär spart Lissabon nicht

Portugals Ministerpräsident Pedro Passos Coelho will die Ausgaben erneut zurückfahren, um im kommenden Jahr erstmals seit der Finanzkrise wieder die Kriterien des EU-Stabilitätspakts zu erfüllen. Während der verabschiedete Haushalt bei Bildung und Sozialleistungen kräftig spart, wird das Verteidigungsbudget erhöht. Aus Furcht vor der Macht der Militärs?

Von Tilo Wagner | 03.11.2014
    Ana, die ihren vollständigen Namen nicht nennen will, hat vor ein paar Jahren in der Zentralverwaltung des Öffentlichen Dienstes in Lissabon Pläne für eine Staatsreform ausgearbeitet. Doch von einem Ressort, erzählt sie, musste sie die Finger lassen: Das Verteidigungsministerium erhielt eine Sonderbehandlung.
    Daran hat sich auch heute nicht viel geändert. Das Militär ist einer der wenigen Bereiche, in denen Portugal im kommenden Jahr nicht sparen will. Luís Costa Correia, ein ehemaliger Kapitän der portugiesischen Marine und später lange Jahre Mitarbeiter der Europäischen Kommission, hält das für ein falsches Zeichen, das die konservative Regierung damit setzt:
    "Der Status Quo wird beibehalten, nichts ändert sich. Eigentlich hatten alle erwartet, dass im Zuge einer breit angelegten Staatsreform auch das Verteidigungsbudget neu überdacht werden würde. Doch nun wird es auch im Militär keine Reform geben. Das Budget ist ein Zeichen der Kontinuität. Politisch gesehen, sagt die Regierung zu den Militärs: Keine Angst, es ändert sich nichts. Bleibt ruhig, macht keinen Aufstand."
    Nach Informationen der Weltbank gibt Portugal im Verhältnis zu seiner Wirtschaftsleistung mehr als doppelt so viel Geld für Verteidigung aus als das Nachbarland Spanien. Das ist auch eine Spätfolge des Kolonialkrieges, den das portugiesische Militär bis Mitte der 1970er-Jahre vor allem in Afrika führte und dabei bis zu 220.000 Soldaten beschäftigte: Die Rentenansprüche der ehemaligen Militärs drücken noch heute auf die Staatskasse. Und nicht zuletzt hat das Militär seit 1982 zwar keine direkte Einflussmöglichkeit mehr auf die Politik. Doch die wichtige Rolle, die portugiesische Offiziere in der Übergangsphase vom autoritären Regime zur Demokratie spielten, erlaubte ihnen, eine Reihe von Ansprüchen durchsetzen, die für einen demokratischen Staat in Europa eher ungewöhnlich sind. Das sagt der Historiker Luís Salgado de Matos:
    "Wir Portugiesen haben sehr lange in einer Diktatur gelebt, in der die Freiheiten beschränkt waren. Und als die Demokratie kam, schien sie uns irgendwie dafür entschädigen zu wollen und hat uns ein sehr großes Maß an Freiheiten geschenkt. Wir sind von einem Extrem ins andere gerutscht. Unsere Verfassung ist deshalb sehr liberal, und sie gibt den Militärs Rechte, die eigentlich nur zivilen Körperschaften zustehen sollten. In anderen europäischen Ländern können sich die Militärs zu Berufsverbänden zusammenschließen, aber hier in Portugal dürfen sie sogar auf die Straße gehen und demonstrieren. Das gibt ihnen natürlich eine viel größere gesellschaftliche Präsenz."
    Immer wieder Großdemonstrationen von Soldaten
    In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Großdemonstrationen von ehemaligen, aber auch aktiven Soldaten gegeben, die ihren Unmut über den Sparkurs der Regierung zum Ausdruck brachten. Die Berufsverbände wehren sich dagegen, dass die Regierung die gesetzlich geregelte Beförderung der Soldaten zwischenzeitlich gestoppt hat, um Kosten zu sparen. Tatsächlich scheint das portugiesische Beförderungssystem jedoch nicht immer effizient zu arbeiten: In Portugal sind durchschnittlich mehr hochrangige Offiziere aktiv als in anderen NATO-Mitgliedsstaaten.
    Diese jedoch, kritisiert der Verteidigungsexperte Costa Correia, würden ihre Aufgaben nicht erfüllen. Er wirft der Militärspitze vor, keine langfristige Strategie zu entwickeln, die die Aufgaben der portugiesischen Streitkräfte neu definiert, zum Beispiel durch eine Neuausrichtung auf den Schutz der riesigen Wirtschaftszone im Atlantik, über die Portugal exklusive Nutzungsrechte verfügt. Stattdessen, so Costa Correia, würden die Generäle ihren Einfluss geltend machen, um ihre persönliche Karriere zu fördern:
    "Die alte Garde in der Führungsspitze scheint immer noch in den gleichen alten Mustern zu denken. Sie fordert von der Politik, nichts zu verändern. Und sie schließt sich dabei auch den Forderungen der Berufsverbände an, die sich dafür stark machen, dass die Beförderungen weiter so durchgeführt werden wie gehabt. Dabei stützen sich die Militärs auf Gesetze, die immer noch nicht reformiert wurden."
    Die Regierung scheint den Forderungen nun nachgeben zu wollen und erhöht im kommenden Jahr sogar den Verteidigungsetat. Offenbar will sie verhindern, dass vor den Parlamentswahlen im Sommer 2015 ein neuer Konflikt mit den Militärs die Berufssoldaten auf die Barrikaden treibt.