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Portugals innenpolitischer Kampf um eine Schuldenbremse

Nach Deutschland und Spanien will auch Portugal eine Schuldenbremse in der Verfassung verankern. Die liberal-konservative Regierung ist dafür auf die Unterstützung der Sozialisten angewiesen - die im Juni nach sechs Regierungsjahren in die Opposition gewählt wurden.

Von Tilo Wagner | 12.09.2011
    Mário Soares ist ein Urgestein portugiesischer und europäischer Politik. Der 86-jährige Gründervater der Sozialistischen Partei Portugals ist in den vergangenen Wochen immer wieder als zorniger Verteidiger eines solidarischeren Europas aufgefallen. Von einer Schuldenbremse hält der ehemalige Premierminister und Staatspräsident gar nichts:

    "Das macht in Portugal überhaupt keinen Sinn. Denn für die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Verfassung ist eine Zweidrittelmehrheit und damit die Unterstützung der Sozialisten notwendig. Die Sozialisten würden aber niemals dafür stimmen. Wir können doch nicht die Verfassung zerstören, die wir selbst geschrieben haben. Es ist doch ganz gleichgültig, ob sich ein Staat mehr oder weniger verschuldet. Wir brauchen vor allem Wirtschaftswachstum."

    Aufgrund seiner überragenden politischen Erfahrung nimmt Mário Soares in seiner Partei eine Sonderstellung ein. Seine Einschätzung zur Schuldenbremse mag weder die Meinung der Parteiführung noch der Fraktion widerspiegeln. Doch in einem Punkt geben politische Beobachter dem Ehrenmitglied der Sozialisten recht: Die liberal-konservative Regierungskoalition wird die Schuldenbremse als Türöffner benutzen, um die portugiesische Verfassung umzuschreiben. Premierminister Pedro Passos Coelho ist deshalb nicht undankbar über den politischen Druck aus Berlin, eine Obergrenze für die Verschuldung festzulegen, glaubt der Politikwissenschaftler Marco Lisi:

    "Die Regierung wird die Schuldenbremse zum Anlass nehmen, um die in der Verfassung festgeschriebene Garantie eines staatlichen Gesundheits- und Bildungssystems sowie andere soziale Errungenschaften der Nelkenrevolution aufzuweichen."

    Deshalb haben die regierende liberal-konservative PSD und die rechtskonservative Volkspartei die Idee einer Schuldenbremse bereits im Koalitionsvertrag erwähnt. Der Staatspräsident und ehemalige PSD-Vorsitzende Aníbal Cavaco Silva mischt sich kaum noch in die Belange der Regierung ein, seit die Sozialisten im Juni abgewählt wurden. Die Einführung der Schuldenbremse hängt deshalb vor allem von der Haltung von Portugals größter Oppositionspartei ab. Carlos Zorrinho, der mit hoher Wahrscheinlichkeit Mitte der Woche zum neuen Fraktionschef der Sozialisten gewählt wird, sagt, dass eine ausführliche Diskussion zwischen den sozialistischen Parlamentsabgeordneten noch aussteht. Für ihn ist jedoch klar:

    "Die Diskussion über die Schuldenbremse muss EU-weit geführt werden und sie muss folgenden Aspekt aufgreifen: Wenn sich die hoch verschuldeten Staaten verpflichten, über die bisherigen Kriterien heraus festzulegen, dann erwarten wir eine neue Form von Solidarität der anderen Staaten. Allgemein lässt sich feststellen, dass sowohl die Portugiesen als auch die gemäßigten portugiesischen Parteien neue Maßnahmen zur Eindämmung der Schulden befürworten. Ob das in Form einer Schuldenbremse passiert, lässt sich vonseiten der Sozialisten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen."

    Die abwartende Haltung der Sozialisten ist nachvollziehbar. Mit dem ehemaligen Premierminister José Sócrates hat ein Sozialist das Reform- und Sparprogramm mit der EU, dem IWF und der Europäischen Zentralbank ausgehandelt und unterschrieben. Das erschwert nun die Arbeit in der Opposition, sagt Marco Lisi:

    "Die Sozialisten müssen sich an der Arbeit der Regierung orientieren. Sollte die Regierung, so wie es sich jetzt abzeichnet, mit ihrem Reform- und Sparkurs über die mit den internationalen Organisationen vereinbarten Ziele hinausgehen, dann haben es die Sozialisten leichter. Sie können die Maßnahmen als zu neoliberal kritisieren und dabei auf das Reform- und Sparprogramm verweisen."

    In dem Programm, das Portugal als Gegenleistung für ein 78 Milliarden schweres Rettungspaket in den kommenden zweieinhalb Jahren umsetzen soll, steht nichts von einer Schuldenbremse. Deshalb hängt vieles davon ab, ob die Sozialisten die Diskussion um Schuldenbremse und Verfassungsänderung nutzen werden, um ihr eigenständiges politisches Profil in der laufenden Legislaturperiode nachhaltig zu schärfen.

    Deutschlandradio aktuell vom 8. April 2011: 80 Milliarden Euro für Portugal - EU spannt erneut den Rettungsschirm auf