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Portugiesen in Hamburg
Eine neue Heimat rund um den Michel

In Hamburg leben 9.000 Portugiesen, mehr als in irgendeiner anderen deutschen Stadt. Ein Anwerbeabkommen lockte vor 50 Jahren viele Südeuropäer in die Hansestadt. Das Leben hierzulande war für sie nicht immer einfach.

Von Axel Schröder | 10.06.2014
    Eine Hamburger Fahne weht im Wind
    9.000 Portugiesen leben in Hamburg - einige von ihnen kamen vor 50 Jahren in die Hansestadt (picture alliance / dpa)
    Dicht an dicht stehen die Gäste im prächtigen "Bürgermeistersaal" des Hamburger Rathauses. Von der hohen Decke hängt ein wagenradgroßer, goldener Kronleuchter. Die meisten Gäste haben portugiesische Wurzeln, vorn am Pult steht Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, hält die Festrede. Spricht über die Probleme der ersten sogenannten "Gastarbeiter" aus Portugal, die vor 50 Jahren nach Hamburg kamen. Über ihren Beitrag zum Wirtschaftswachstum Deutschlands.
    "Ich freue mich, dass es jetzt so leicht möglich ist, zum Beispiel nach Hamburg zu kommen und hier ein Geschäft zu eröffnen. Und das all die Vorschriften der Vergangenheit Vergangenheit sind."
    Weit vorn im Publikum steht die 71-jährige Adelina Almeida Sedas. Eine kleine Frau mit dichten schwarzen Locken, im Sommerkleid. Nach der Feierstunde sitzt sie im "David", ihrem portugiesischen Stammcafé im Hamburger Grindelviertel. Vor sich ein großes Glas Kakao. Scholz' Rede hat ihr gefallen, auch wenn viele Aspekte nicht darin vorkamen. Zum Beispiel, dass viele Portugiesen nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus politischen Gründen ihr Land verlassen haben. So wie sie und ihr Mann, die beide in der Studentenbewegung aktiv waren. Und gegen den damals herrschenden autoritären Regierungschef António de Oliveira Salazar protestierten.
    "Mir passierte im Grunde genommen nicht viel. Aber mein Mann wäre dann direkt nach Afrika gegangen. In den Krieg gegangen. Damals war der Kolonialkrieg voll im Gange. Und gerade diejenigen, die aus politischen Gründen in der Studentenbewegung waren, die brauchten nicht lange, um nach Afrika zu kommen. Die wurden sofort über Nacht weggeschickt."
    1964, mit 21 Jahren flüchtete sie mit ihrem Mann und dem einjährigen Sohn über die Pyrenäen erst nach Frankreich, von dort aus weiter nach Deutschland, nach Hamburg. Und beantragte politisches Asyl in der Bundesrepublik. In dem Land, das den Autokraten Salazar zehn Jahre zuvor mit dem höchsten Orden, dem Großkreuz der Bundesrepublik ausgezeichnet hatte. Die deutschen Behörden lehnten den Asylantrag von Adelina Alemeida Sedas und ihrem Mann ab, zehn Jahre lang mussten die beiden alle sechs Monate ihre Aufenthaltserlaubnis verlängern.
    "Sie können sich vorstellen, was das bedeutet, wenn man eine Familie hat und weiß, alle sechs Monate muss man wieder hin marschieren. Das war schon eine bittere Erfahrung!"
    Keine "Gastarbeiter"
    Besser erging es denjenigen, die mit Erlaubnis der portugiesischen Regierung das Land verlassen hatten. Sie bekamen eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, ihnen wurden Unterkünfte gestellt. Zum Beispiel in einfachen Baracken auf dem Gelände der Howaldts-Werke Deutsche Werft, wo sie als Schweißer arbeiteten. Die Männer waren unter sich, ihre Frauen zogen erst Jahre später hinterher. In vielen Fällen ließen sie ihre Kinder bei den Großeltern in Portugal zurück, denn für eine Wohnung für die ganze Familie fehlte das Geld. Und viele planten, nur wenige Jahre in Deutschland zu bleiben. Immerhin waren sie "Gastarbeiter". Diesen Begriff findet Adelina Almeida Sedas noch heute völlig unpassend. Die Portugiesin schüttelt den Kopf:
    "Unter ‚Gast' verstehe ich, das ist jemand, den man einlädt und ihm das Beste gibt. Das man ein Zuhause hat. Und hier hat man die Leute eingeladen, weil sie notwendig waren. Die waren eingeladen, um zu arbeiten! Und dann haben sie unter ganz schwierigen Verhältnissen gelebt."
    Sie selbst organisierte in den Siebzigerjahren Beratungsgespräche für die Neuankömmlinge aus Portugal, engagierte sich für die Betreuung ihrer Kinder, vermittelte Deutsch-Kurse, half bei der Wohnungssuche. Adelina Almeida Sedas nimmt den letzten Schluck Kakao, verabschiedet sich. Winkt rüber zum Chef des Cafés. David Dias ist 38 Jahre alt, aufgewachsen in Portugal. Mit 15 nahm ihn sein Vater, ein Fernfahrer, mit nach Hamburg, brachte ihn bei Freunden unter. Der junge David arbeitete als Tellerwäscher, wollte Geld zusammensparen für die erste Stereoanlage:
    "Ich wollte eigentlich nur drei Monate hier bleiben. Während der Schulferien. Und dann wieder zurück. Aber dann habe ich das hier alles gesehen und das hat mir sehr gut gefallen. Und dann bin hier geblieben."
    Zur Schule gegangen ist er in Deutschland nicht. Dazu hatte der 15-Jährige einfach keine Zeit:
    "Ich habe gearbeitet. Von morgens bis abends. Das war schwer."
    David Dias presst die Lippen zusammen, ernster Blick. Dann lächelt er. Vor zwölf Jahren eröffnete der Portugiese sein Café. Und die harten Zeiten, seine ersten Jahre, allein in Deutschland, sind fast vergessen.