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Präsidentschaftswahl Österreich
FPÖ-Prozess um die Stichwahl

Die FPÖ gibt sich als schlechter Verlierer der Präsidentschaftswahl und ist vor das Verfassungsgericht gezogen. Die Auszählung sei nicht korrekt verlaufen, sagen die Rechtspopulisten. Alexander Van der Bellen, der Sieger der Wahl, muss bis Anfang Juli bangen. Dann fällt die Entscheidung - Neuwahlen ja oder nein.

Von Ralf Borchert | 24.06.2016
    Österreichs jetziger Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der Wahlverlierer Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ während einer Wahlsondersendung im Fernsehen.
    Österreichs vorläufiger Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der Wahlverlierer Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ. (picture alliance / dpa / Florian Wieser)
    Die Fassungslosigkeit, die in ganz Österreich herrscht, ist wohl bei ihm am größten: dem Mann, der Ende Mai als Wahlsieger ausgerufen wurde und sagte:
    "Ich beginne schon, mich einzufügen in diese neue Rolle als Bundespräsident der Republik Österreich."
    Alexander Van der Bellens Wahlsieg ist seit der Anfechtung durch die FPÖ nur noch vorläufig. Und der Appell seines Gegenkandidaten Norbert Hofer kurz nach der Wahl scheint Schaltjahre entfernt:
    "Ich möchte einfach die Österreicher bitten, jetzt nicht zu streiten. Wir sind alle Österreicher und wir müssen zusammenhalten."
    FPÖ zieht vor das Verfassungsgericht
    Vier Tage hat der Verfassungsgerichtshof nun Zeugen gehört, vor allem Wahlbezirksleiter und Beisitzer. Was da ausgesagt wurde, nennt der Verfassungsexperte Heinz Mayer unfassbar.
    "Also ich möchte nicht in der Haut der Verfassungsrichter stecken. Erstens einmal müssen sie sich tagelang anhören, was alles schiefläuft offenbar bei Behörden, wie schlampig der Umgang mit der Rechtsordnung ist, und wenn man sich anhört, was da passiert ist, und wenn man sich überlegt, dass das ja nicht die erste Wahl ist, die wahrscheinlich so abgehalten wurde, dann verschlägt es einem schon den Atem."
    Der Bürgermeister von Villach, der Sozialdemokrat Günter Albel musste wie viele andere Zeugen Fehler bei der Auszählung der Briefwahlstimmen eingestehen:
    "Schauen Sie, in ganz Österreich sind offensichtlich dieselben Fehler gemacht worden, so auch in Villach. Es ist wie in allen Bezirken zu früh ausgezählt worden, weil natürlich der Druck, der Wahlbehörden, der Landeswahlbehörden und auch der Medien ein großer war. Man wollte unbedingt so früh wie möglich fertig sein. Auch die Freiheitlichen haben Protokolle unterschrieben, die so nicht korrekt waren."
    Laut Wahlgesetz dürfen Briefwahlstimmen erst ab Montag, 9 Uhr ausgezählt werden. Tatsächlich passierte das vielerorts schon am Sonntag, oder die Wahlumschläge wurden zumindest vorab geöffnet. Trotzdem kann Karl Millonig, Wahlbeisitzer der Volkspartei ÖVP in Kärnten, die Gerichtsvorladung nicht verstehen:
    "Wir haben alle unterschrieben, es gab keine besonderen Vorkommnisse, und damit hat mich das gewundert, dass wir heute hier müssen auftauchen."
    Der grüne Wahlbeisitzer Wolfgang Essl aus Niederösterreich meint am Rande des Verfahrens schuldbewusst:
    "Es hat wahrscheinlich jeder sein gewisses Quentchen Schuld. Wahrscheinlich hätte ich auch eher noch kritischer sein müssen. Aber es ist eine Frage des Prozederes."
    Die Anwälte der FPÖ halten sich als klagende Partei während des laufenden Verfahrens mit Aussagen zurück. Für die Verfahrensanwältin der Grünen, Maria Windhager gilt nach wie vor, die gemachten Formfehler bedeuten doch noch keine Manipulation.
    "Wir haben sicher auch gesehen, dass manche Verfahrensregeln schlampig ausgelegt wurden in einigen Bezirken. Das hat sich aber, soweit wir das jetzt hier nachvollziehen konnten, nicht sozusagen darauf ausgewirkt, dass irgendeine Stimme nicht korrekt zugeordnet worden wäre. Und das ist für mich nach wie vor das Entscheidende."
    Moralisch okay, rechtlich schlimm
    Da sind andere Juristen anderer Meinung. Auch der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs Ludwig Adamovich. Seine Einschätzung ist derzeit besonders gefragt:
    "Von einem moralischen Standpunkt her gesehen ist es weniger schlimm. Von einem strikt rechtlichen Standpunkt ist es schlimmer, weil das halt ganz einfach so nicht geht. Es sind zwei Kriterien. Es muss eine Rechtswidrigkeit vorliegen. Und diese Rechtswidrigkeit muss von Einfluss auf das Wahlergebnis sein können - können."
    Das heißt, die Möglichkeit, dass Stimmen falsch zugeordnet wurden, reicht für eine Wahlwiederholung aus.
    "Keine Manipulationen, daher kein Einfluss auf das Wahlergebnis, das dürfte, nach dem was man bisher gehört hat, wohl auch richtig sein. Nur muss man sehen: Wenn es um die Anwendung von Vorschriften geht, die die Unabhängigkeit des Wahlvorganges sichern sollen, dann wird sehr streng interpretiert. Und man kann sich da so seinen Teil dazu denken."
    Der frühere Gerichtspräsident hält eine Wahlwiederholung also für wahrscheinlich. Voraussichtlich Anfang Juli fällt die Entscheidung. Als Termin für die neue Stichwahl wird Ende September oder Oktober gehandelt. Nach den Worten von Innenminister Wolfgang Sobotka, ÖVP, wäre dann ganz Österreich blamiert.
    "Schauen Sie, ich bin jahrelang, fast zwei Jahrzehnte in Wahlkommissionen gesessen. Und ich kann nur sagen, also es gab für uns nie etwas, wo wir nur einen Zweifel gelassen hätten oder schlampig mit dem umgegangen wären. Und daher hat mich dieses Vorgehen maßlos enttäuscht."
    Der frühere Verfassungsrichter Peter Jann meint dagegen, eine Neuwahl könne unter dem Strich auch positive Folgen haben:
    "Es kann durchaus positive Folgewirkung für das Land haben. Wenn Legendenbildungen hinterher vermieden werden. Und wenn im Großen und Ganzen akzeptiert wird, dass hier eine Instanz, wenn sie wollen eine Autorität vorhanden ist, die letztlich das entscheidet, dann glaube ich hat es für das Land gute Folgen."