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Präsidentschaftswahlen auf den Philippinen
Ein Kraftmeier als Hoffnungsträger

Am 9. Mai wird auf den Philippinen ein neuer Präsident gewählt. Ein Kandidat fällt im Wahlkampf besonders auf: Rodrigo Duterte, Bürgermeisters von Davao, macht immer wieder Schlagzeilen mit markigen Sprüchen und verbalen Entgleisungen. Dennoch ist es gerade er, der bei den Menschen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft weckt.

Von Holger Senzel | 07.05.2016
    Der philipinische Präsidentschaftskandidat Davao City Mayor Rodrigo Duterte.
    Der philipinische Präsidentschaftskandidat Davao City Mayor Rodrigo Duterte. (picture alliance / dpa / Mark R. Cristino)
    Lautsprecherwagen mit eigens komponierten Wahlkampfsongs quälen sich durch den Dauerstau der philippinischen Hauptstadt. Viele Pendler stehen frühmorgens um vier auf, um vor der Rushhour zur Arbeit zu kommen in dem 13-Millionen-Moloch. Rund um die gläsernen Bürotürme der Banken und Callcenter sind Holz- und Blechhütten planlos gewuchert. Werbeplakate für Hautaufheller und Politiker: "Das Königreich Jesu Christi unterstützt Duterte" – verkündet ein Banner.
    Ein Auftritt wie ein Popstar
    Die Auftritte des 71-Jährigen gleichen Popkonzerten, Dutertes Fans kreischen sich hysterisch in Ekstase. Und statt über Politik zu reden, singt der Favorit dieser Präsidentschaftswahlen gern bei den Auftritten in überfüllten Stadien.
    Der Mann mit dem grobknochigen Bauerngesicht schrieb kürzlich sogar internationale Schlagzeilen. Auf einer Wahlkampfveranstaltung sagte der Bürgermeister der Millionenstadt Davao unter dem Gelächter seiner Anhänger über eine missbrauchte Missionarin: "Ich war wütend, dass sie vergewaltigt wurde. Doch sie war so schön. Der Bürgermeister hätte der Erste sein sollen."
    Anti-Politiker mit großen Versprechen
    Seiner Popularität auf den Philippinen hat das nicht geschadet, ebenso wenig wie andere verbale Ausfälle. Den USA und Australien droht er mit Abbruch der diplomatischen Beziehungen, Papst Franziskus beschimpft er als "Hurensohn". Ein Anti-Politiker, keiner aus dem politischen Establishment. Ein philippinischer Trump gewissermaßen. Rodrigo Duerte hat versprochen aufzuräumen im Lande. Innerhalb von sechs Monaten will er die Kriminalität bekämpfen – die Drogenbarone vor allem. Und wenn sie sich wehren, der Gewalt nicht abschwören, dann rufe er seiner Polizei zu: "Tötet sie alle!"
    In einer der tristen Vorstädte Manilas wohnt die 26-jährige Lehrerin Joy Tolentino. Mit ihrem siebenjährigen Sohn lebt sie in zwei winzigen Zimmern, die vollgestopft sind mit Plüschtieren, Plastikkruzifixen und Heiligenbildern; ein Ventilator verquirlt die heiße Luft. Gut 15.000 Pesos verdient sie im Monat – knapp 300 Euro – damit gehört sie zur unteren Mittelschicht. Armut, sagt auch sie auf Frage nach dem größten Problem der Philippinen, mit all ihren Auswirkungen. Und deshalb wählt sie am Montag Duerte:
    "Wir müssen doch jeden Tag Angst haben, dass unsere Kinder ermordet oder vergewaltigt werden. Oder drogensüchtig, weil drei Häuser weiter eine Drogenbande wohnt. Es gibt in vielen Gegenden kein Gesetz. Duterte will das ändern, er will die Kriminellen hinrichten. Das finde ich gut."
    Sinnbild philippinischer Gesellschaft
    Vor den Restaurants in Manila stehen Wachleute mit Revolvern an der Hüfte; an den Eingängen der Shoppingmalls Röntgenschleusen. Die Wohlhabenden schützen sich, nur wenige hundert Meter entfernt herrscht das Gesetz der Straße. Ein Sinnbild philippinischer Gesellschaft. Eine Politikerkaste, die sich vor allem um sich selbst kümmert. Ihre Pfründe, ihren Einfluss, ihre Gefolgschaft. Regierungswechsel heißt vor allem, dass die Macht von einer Politiker-Dynastie, zu einer anderen wechselt, aber keine Veränderung. Korruption ist allgegenwärtig, aber kein Thema für die Wähler, glaubt Politologieprofessor Popoy de Vera:
    "Das ist nicht schwarz oder weiß. So nach dem Motto: Der eine Kandidat ist korrupt und der andere sauber. Meistens sind ja alle Clans korrupt, und die Frage, wer mehr und wer weniger korrupt ist, interessiert die Leute nicht besonders. Insofern: Nein, Korruption ist für die meisten Wähler kein großes Thema, sondern das tägliche Überleben. Das ist eine Elitedemokratie hier. Ja, wir haben Wahlen, und die Beteiligung daran ist auf den Philippinen sehr viel höher als in anderen Demokratien.
    Aber die Menschen haben nicht wirklich eine Wahl, sondern bloß die Entscheidung zwischen der einen oder der anderen politischen Dynastie. Das politische System bleibt dasselbe. Die politischen Dynastien kontrollieren die Politik und die Wirtschaft und für die Armen fallen ein paar Krümel vom Tisch."
    Mit leisen Tönen gegen einen politischen Kraftmeier
    Gegen den politischen Kraftmeier Duterte kommen die leisen Töne einer Grace Poe kaum an, dabei galt sie noch bis vor kurzem aus aussichtsreichste Kandidatin für die Nachfolge Benigno Aquinos. Poe ist die Adoptivtochter eines berühmten philippinischen Schauspielers, der in seinen Filmen meist als Underdog gegen die Mächtigen und für die Armen und Unterdrückten kämpfte. Die 47-Jährige sieht darin ein Vermächtnis für ihre Politik:
    "Wir sind geduldige Menschen. Wir wurden verletzt, aber wir halten das aus. Auch wenn kranke Menschen sich keinen Arzt leisten können. Auch wenn Opfer keine Hilfe bekommen. Wo ist der Staat, wenn man ihn mal braucht? Jeder sollte medizinische Versorgung bekommen. Niemand alleingelassen werden, der Hilfe braucht. Lasst uns zusammen stehen und die Philippinen reparieren."
    Mit einer simplen Botschaft zum Erfolg
    Grace Poe hat ein konkretes Programm. Rodrigo Duterte eine simple Botschaft: Alles wird anders. Das bringt ihn vermutlich ins Amt, aber die Enttäuschung seiner Wähler könnte umso drastischer ausfallen, wenn auch er nichts zu ändern vermag, an der Armut im Lande. Oder am Erstarken der islamistischen Abu-Sayaf-Terroristen, die Ausländer als Geiseln nehmen.
    Nicht mehr als ein Übergangskandidat
    Duterte ist ein Übergangskandidat, vermuten politische Beobachter, derweil sich eine andere altbekannte Politikerfamilie schon warmläuft. Imelda Marcos, 86-jährige Witwe des Ex-Diktators, kandidiert für den Kongress. Marcos' Sohn Ferdinand jr. wird aller Voraussicht nach am Montag zum neuen Vizepräsidenten gewählt. Viele Analysten glauben, dass dann im Jahre 2022 der neue Präsident der Philippinen wieder Ferdinand Marcos heißen könnte.
    Die Lehrerin Joy Tolentino hofft vor allem auf eine bessere Zukunft für ihren Sohn. Damit er sich nicht in einem der Callcenter verdingen muss – wo gutausgebildete philippinische Akademiker für Niedriglöhne die Beschwerden von Kunden aus aller Welt beantworten. Oder zum Geldverdienen ins Ausland gehen muss, so wie zwölf Millionen seiner Landsleute. Ich möchte, dass er auf niemanden hören, sich niemandem ausliefern muss, sagt die 26-Jährige, ich möchte, dass er mal ein Boss wird.