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Préludes - aber nicht von Chopin

Stephan König ist nicht nur Dirigent und Orchesterleiter, sondern auch Komponist und sein eigener Interpret. Seine "12 Préludes für Klavier" charakterisiert der Künstler selbst als "Jazz-inspirierte Klangbilder".

Von Bert Noglik | 28.11.2010
    Beim Wort "Prélude" denkt man an wohl in erster Linie an Komponisten wie Frederic Chopin und kaum an Stücke eines Musikers, der auch im Jazz zu Hause ist. Dies zu ändern ist nun Stephan König angetreten, Komponist und Pianist aus Leipzig, der "12 Préludes für Klavier" eingespielt hat. "Jazzinspirierte Klangbilder", die ich Ihnen nun vorstellen möchte. Am Mikrophon begrüßt Sie Bert Noglik.

    Stephan König: 12 Préludes für Klavier
    Friedrich Hofmeister Musikverlag,
    9790203400103, LC 09175
    Track 1: Préludes Nr. 1


    Das erste von 12 Préludes für Klavier von Stephan König. Der Komponist als sein eigener Interpret. Überdies ist er Dirigent und Orchesterleiter, im Jazz auch mit seinem Trio und als Solo-Pianist unterwegs - multiaktiv und umtriebig. Stephan König, Jahrgang 1963, bringt mit seinem Ensemble "artenfaltung" sensible Klangkonstruktionen zur Aufführung, und er spannt mit dem von ihm geleiteten "LeipJAZZig Orkester" einen Bogen von Duke Ellington bis zu Michael Jackson - sich Musik unterschiedlicher Provenienz individuell aneignend. Er schrieb zahlreiche kammermusikalische Werke ebenso wie Kompositionen für Klavier Orchester. Seit langem fühlt er sich in beiden Welten beheimatet, in der Welt der Klassik und in der des Jazz - Bereiche für die man so ungeschickte Begriffe wie E- und U-Musik erfunden hat - als ob es in der so genannten ernsten Musik nichts zu lachen und in der Unterhaltungsmusik partout keine seriösen Künstler gäbe. Die beiden Bereiche, schreibt Stephan König im Begleittext zu seinen 12 Préludes "haben sich nun schon so weit voneinander entfernt, dass man über den Abgrund bereits Brücken schlagen muss, um herüber zu kommen - 'crossover'. Mich interessiert aber nicht diese Brücke", so Stephan König, "sondern der Weg unten im Tal - das, was die beiden Bereiche wirklich verbindet."

    Stephan König: 12 Préludes für Klavier
    Track 2: Préludes Nr. 2


    Stephan König mit dem Préludes Nr. 2 aus den "12 Préludes für Klavier", die der Komponist als "jazzinspirierte Klangbilder" charakterisiert. Dies so zu empfinden setzt eine aufgeklärte Vorstellung vom Jazz voraus, die europäische Ausdrucksformen selbstverständlich mit einbezieht. Stephan König verzichtet darauf, seine Stücke von vordergründigen Jazzcharakteristika wie Swing-Rhythmik oder Blue Notes dominieren zu lassen. Seine Bezugspunkte liegen eher bei Bill Evans mit seinen harmonischen Finessen als beim Harlem-Stride-Piano eines Art Tatum, der freilich zu seiner Zeit durchaus auch die Kunst der klassischen Klaviervirtuosen assimiliert hatte. Immer, wenn sich Jazzpiano solistisch verfeinerte, nahm es Anleihen bei der europäischen Tradition auf - das gilt für Jelly Roll Morton ebenso wie für Keith Jarrett. Im Unterschied zu Jazzpianisten, die ihre Stücke vor allem aus der Improvisation heraus entwickeln, ging Stephan König bei den 12 Préludes vom Primat des Kompositorischen aus. Erst nachdem er die Stücke notenschriftlich fixiert hatte, begann er mit deren pianistischer Realisierung. Er hätte, sagt der Pianist, die Feinheiten und Binnenstrukturen so nur im Prozess des Komponierens entwerfen können. Und damit wird klar, dass das Verständnis von Jazzkomposition hier mehr und etwas anderes bedeutet als das eines Themenlieferanten für eine Jam Session.

    Stephan König: 12 Préludes für Klavier
    Track 3: Préludes Nr. 3


    Préludes Nr. 3 von Stephan König - eines der 12 Préludes, die er für die CD eingespielt hat und die parallel als Notenausgabe veröffentlicht wurden. Bei seiner Lehrtätigkeit - Stephan König unterrichtet an der Leipziger Musikhochschule - ist ihm immer wieder bewusst geworden, wie stark die Spielhaltungen von Studenten, die sich für die Klassik und jenen, die sich für den Jazz entschieden haben, noch immer differieren. Die 12 Préludes hat Stephan König nicht in erster Linie für Unterrichtszwecke geschrieben. Aber ihm ist aufgefallen, dass es nur wenig geeignetes Notenmaterial gibt, und er hofft, dass der Zyklus mit jazzinspirierten Stücken dazu beitragen kann, diese Lücke zu schließen. Hier und da finden sich in der Notenausgabe Hinweise darauf, dass und wie an den entsprechenden Stellen variiert beziehungsweise improvisiert werden könnte. Das freilich ist eine Frage des Feelings wie auch einer mit dem Jazz vertrauten Musikpädagogik. Denn die adäquate Phrasierung der Stücke erschließt sich nicht unmittelbar aus dem Notentext. Stephan König ist froh darüber, dass es beides gibt - die gedruckten Noten und die klingende CD. Doch das Album hält nur eine von vielen Möglichen Aufführungsmodi fest. Mehr noch als viele andere Stücke sind die "12 Préludes" vor allem für das Live-Musizieren geschaffen, das ihnen immer wieder neue Nuancen zu entlocken vermag. Strephan König mit Préludes Nr. 9.
    Stephan König: 12 Préludes für Klavier
    Track 9: Préludes Nr. 9


    Die 12 Préludes für Klavier von Stephan König erwecken hier und da Assoziationen zu den großen Préludes-Komponisten, zu Frédéric Chopin, Alexander Skrjabin, Sergej Rachmaninow, Claude Debussy oder Olivier Messiaen, auch zu Klavierstücken von Béla Bartók oder George Gershwin. Oftmals ähnelt der Vortrag eher einem "tempo rubato" als einer dem Jazzverständnis entsprechenden Phrasierung. Doch dies sind keine Qualitätskriterien, zumal sich die Übergänge bekanntlich als fließend erweisen und einige Stücke aus dem "Mikrokosmos" von Béla Bartók mehr Swing enthalten als mancher der "Children's Songs" von Chick Corea. Stephan Königs "Préludes für Klavier" erweisen sich als durchtränkt mit der Erfahrung europäischer Tradition und verzichten auf allzu vordergründige Annäherung an die Jazz-Idiomatik, sind allerdings so ohne den Einfluss des Jazz auch nicht denkbar. Keine Klangeskapaden in Richtung Atonalität á la Cecil Taylor oder Alexander von Schlippenbach, keine treibenden Harmoniefolgen à la McCoy Tyner, keine kantigen Asymmetrien à la Thelonious Monk. Stattdessen eine Sublimierung in auskomponierten Stücken und eine Suche - wie es Stephan König formuliert hat - da unten im Tal nach Verbindungslinien zwischen den in der Praxis vielfach voneinander entfremdeten Musizierbereichen. Vielleicht kein Zufall, dass diese Stücke in Leipzig entstanden sind - eine Stadt, die solche Mentalitäten hervorbringt oder anzieht - Pianisten/Komponisten wie David Timm oder den aus New York zugereisten Richie Beirach. Préludes Nr. 11 aus den 12 Préludes von Stephan König.

    CD Stephan König: 12 Préludes für Klavier
    Track 7: Préludes Nr. 7


    Eine der "12 Préludes für Klavier" von Stephan König, entstanden zwischen Juli und September vergangenen Jahres. Wie schon die historischen Modelle, etwa die Préludes von Frédéric Chopin, bedürfen auch diese, sich zum Zyklus fügenden unterschiedlich angelegten Charakterstücke keiner weiteren Titel oder Inhaltsangaben. Sie verweisen nicht mehr auf eine anschließende Fuge, wie einst bei Johann Sebastian Bach. Das Vorspiel, emanzipiert sich zum Ereignis und ist sich selbst genug.

    CD Stephan König: 12 Préludes für Klavier
    Track 12: Préludes


    "12 Préludes für Klavier" von Stephan König - das Album wurde vom Friedrich Hofmeister Verlag Leipzig veröffentlicht, ebenso wie die Notenausgabe. So können Sie nun nach Belieben hören oder, wenn Sie über fortgeschrittene pianistische Fähigkeiten verfügen, auch selbst versuchen, die jazzinspirierten Stücke zum Klingen zu bringen. Dass sie zu dem einen oder anderen in dieser oft hektischen Vorweihnachtszeit die Muße haben mögen, wünscht Ihnen Bert Noglik.

    Stephan König: 12 Préludes für Klavier
    Friedrich Hofmeister Musikverlag,
    9790203400103, LC 09175