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Premier in Bedrängnis

Voraussichtlich im Mai 2010 findet in Großbritannien die nächste Unterhauswahl statt. Kaum ein politischer Beobachter gibt Premierminister Gordon Brown angesichts schlechter Umfragewerte und einem desaströsen Presseecho eine Chance. Doch auch beim Labour-Parteitag in Brighton könnte an seinem Stuhl gesägt werden.

Von Martin Zagatta | 28.09.2009
    Dass Angela Merkel weiterregieren kann, gehört auch zu den Top-Meldungen in der BBC. Auf größeres Interesse stößt das allerdings nicht auf der Insel. Schließlich kämpft eigene Regierungschef nicht um einen neuen Partner, sondern um sein politisches Überleben – und das mit schlechten Aussichten: Der Labour-Parteitag in Brighton ist der letzte vor der Unterhauswahl im nächsten Frühjahr und wohl auch der letzte, den Gordon Brown als Premierminister erleben wird. Davon jedenfalls geht auch George Pascoe-Watson aus, der Chefredakteur des Massenblatts "Sun":

    "Die britische Öffentlichkeit und zweifellos die Leser der 'Sun' haben genug von Gordon Brown. Die Leute halten ihn nicht mehr für fähig, das Land zu regieren."

    In Umfragen liegt die Labour-Partei fast aussichtslos 15 Prozentpunkte hinter der konservativen Opposition zurück. Gordon Brown ist demnach zu einem der unbeliebtesten Premierminister aller Zeiten geworden, seine Abwahl nur noch eine Frage der Zeit. Dass seine Partei ihn vorzeitig stürzt, steht nicht mehr zur Debatte, seit Brown eine Revolte von unzufriedenen Labour-Abgeordneten im Sommer niedergeschlagen hat. Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen sind aber auch jetzt zum Parteitag wieder laut geworden.

    "Unsere Führung ist schwach, unsicher und lässt Weitblick vermissen. Und schlimmer noch als die Unbeliebtheit ist","

    … so bemängelt der frühere Innenminister Charles Clarke,

    ""dass die Labour-Partei kein Vertrauen mehr genießt, genau in einer Zeit, in der Vertrauen unentbehrlich ist."

    Der wachsende Unmut über den Afghanistankrieg, der Spesenskandal im Londoner Parlament und weil Gordon Brown zehn Jahre lang Finanzminister war, bevor er von Tony Blair das Amt des Premierministers übernommen hat, deshalb sehen viele seiner Landsleute in ihm auch den Schuldigen für die Finanz- und Wirtschaftskrise, für eine Neuverschuldung von umgerechnet 200 Milliarden Euro, für die sprunghaft angestiegene Zahl der Arbeitslosen. Die Labour-Partei wirkt ratlos und so, wie Schatzkanzler Darling gestern eingeräumt hat, als habe sie ihren Lebenswillen verloren. Untergangsstimmung, der sich Gordon Brown in Brighton jetzt noch einmal entgegenstemmen will.

    Ein solcher Rückschlag sei auch eine Herausforderung, eine Möglichkeit für Verbesserungen, so der Premierminister zum Auftakt des Parteitages, und er werde sich nicht geschlagen geben.

    Aber laut Umfragen geht selbst die Mehrheit der Labour-Anhänger von einem Erdrutschsieg der Opposition aus, sollte die Regierungspartei tatsächlich mit dem unbeliebten Premierminister in die Wahl ziehen. Zeitungen wie die "Times" mutmaßen deshalb auch, er könne doch noch zurücktreten, aus "gesundheitlichen Gründen". Der Schotte könnte darauf verweisen, dass er bei einem Rugby-Unfall in seiner Jugend ein Auge verloren hat und mit dem anderen zunehmend schlechter sehe – Spekulationen, die Brown jetzt aber entrüstet zurückgewiesen hat: Nein - sein Sehvermögen habe sich nicht verschlechtert und er könne den Job machen.

    Und so hat Gordon Brown Bundeskanzlerin Merkel bei seiner Gratulation zu ihrem Wahlsieg jetzt auch versichert, er freue sich auf die Fortsetzung der engen Arbeitsbeziehung.