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Pressefreiheit in Äthiopien
Kritischer Journalismus trotz Internetblockaden

Äthiopien ist in der Rangliste der Pressefreiheit zuletzt um 40 Plätze aufgestiegen. Die Regierung blockiert zwar immer noch das Internet und verweigert Journalisten den Zugang zu Informationen. Doch immerhin können sie jetzt relativ frei darüber berichten.

Von Livia Giuliani und Kolja Unger | 09.10.2019
In einem schmalen, langgezogenen Raum eines Regierungsgebäudes in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba drängen sich etliche Journalisten mit TV- und Fotokameras.
In einem Regierungsgebäude in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba warten Journalisten auf eine Pressekonferenz (imago/ Alexander Shcherbak/TASS )
Neben einem Zeitungsstand im Uni-Viertel der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba sitzen Männer und Frauen unterschiedlichen Alters. Sie lesen Zeitung und bilden einen Ruhepol inmitten des trubeligen Großstadtgeschehens.
Seit Abiy Ahmed Premierminister ist, gibt es viele neue Zeitungen. Eine entsteht nicht weit vom Stand im noch improvisiert wirkenden Büro des Journalisten Befeqadu Hailu. Er ist Medienaktivist, Blogger und seit kurzem auch Redakteur:
"Ich arbeite an einer Wochenzeitung mit dem Titel 'Addis Maleda', der neue Morgen. Diese Ausgabe ist letzten Samstag erschienen. Im Nachrichtenteil gibt es einen Beitrag über das neue Wahlgesetz.
Kein nachhaltiger Wandel
Seit Abiy Ahmed Premierminister ist, kann Befeqadu Hailu neue Gesetze analysieren, seine Meinung frei äußern und drucken. Bis vor einem Jahr noch sperrte die Regierung immer wieder seine Blogs. Blogs, in denen er die Politik dazu aufforderte, die Verfassung zu respektieren.
Auch Fasika Tadesse hat seit letztem Jahr zunächst einen Wandel beobachtet. Sie ist die Chefredakteurin des "Addis Fortune", eines wöchentlich erscheinenden, englischsprachigen Magazins mit Wirtschaftsschwerpunkt:
"Nach Abiys Amtsantritt haben der Fernsehsender 'Ethiopian Television' und andere Staatsmedien zunächst viel kritischer berichtet, als man es gewohnt war. Mittlerweile sind sie wieder zu ihrer früheren Routine zurückgekehrt."
In der Redaktion der privaten Wirtschaftszeitung hat sich seit Abiy Ahmeds Amtsantritt nichts geändert. Beim "Addis Fortune" herrscht 'business as usual'. Reporter kommen, schreiben ihre Artikel, gehen. Der Vertrieb verschickt Angebote für Abonnements.
Im Konferenzraum hält Fasika Tadesse stolz ein Handbuch hoch, das mit Wasserzeichen versehen ist: "Wenn ich eine Geschichte schreibe, muss ich alle Richtlinien berücksichtigen. Jede Geschichte, die wir veröffentlichen, ist verifiziert und ausgewogen."
"Regierungsinstitutionen haben Informationen verweigert"
Mit diesen Richtlinien möchte die Chefredakteurin sich von anderen Medien abgrenzen. Wer journalistisch sauber arbeite, habe auch keine Repressionen der Regierung zu befürchten. Nur ist sauber arbeiten in Äthiopien nicht immer so leicht. Denn obwohl der "Addis Fortune" nicht besonders regierungskritisch ist, hat auch er Probleme, an Informationen zu kommen.
Nach dem Absturz der Boeing 737 Max im März schlugen ihre Rechercheversuche fehl: "Ich habe diverse Regierungsinstitutionen einschließlich der 'Ethiopian Airline' nach Informationen gefragt, aber sie haben sie uns verweigert." Trotz mehrfacher Nachfragen hat Fasika Tadesse bis heute diesbezüglich keine Auskünfte erhalten.
Die Journalistin Fasika Tadesse sitzt an einem langen Konferenztisch und blickt in die Kamera.
Die Journalistin Fasika Tadesse, Chefredakteurin von "Addis Fortune" (Deutschlandradio/ Kolja Unger)
Eine weitere Herausforderung trat im Juni auf. Es wurden Attentate verübt auf einen hochrangigen General und den Regierungschef der Amhara-Region. Fasika Tadessee war eine der letzten, die mit dem mutmaßlichen Täter, General Asaminew Tsige, telefonierte. Kurz danach wurde er von äthiopischen Sicherheitskräften auf der Flucht erschossen.
Regierung kann das Internet jederzeit einschränken
Einen Tag nach dem Putschversuch in der Amhara-Region wurde das Internet blockiert - in ganz Äthiopien. Und das nicht zum ersten Mal dieses Jahr. Für den Blogger und Journalisten Befeqadu Hailu gibt es dafür keine Rechtfertigung:
"Die Regierung hätte sich entschuldigen müssen, hat das aber nicht getan."
In Äthiopien gibt es nur einzige Telekommunikationsgesellschaft, die "Ethio-Telecom". Sie ist Staatseigentum und die einzige Internetanbieterin. Auf Wunsch der Regierung kann das Internet jederzeit abgestellt werden.
Mittlerweile funktioniert es wieder, aber bis heute limitiert. Manche Seiten wie Facebook sind immer noch gesperrt. Die meisten benutzen deshalb einen VPN-Server. Das ist eine Verschlüsselungstechnik, mit der sie die Sperre umgehen können. Gerade Facebook ist für die politische Blogging-Community in Äthiopien nämlich die zentrale Plattform.
Dabei haben nicht einmal 10 Prozent der Bevölkerung Internetzugang. Befeqadu Hailu meint, dass der Einfluss von Internetaktivismus trotzdem immens sei. Wer die Posts liest, erzählt sie denen weiter, die keinen Zugang zum Internet haben. Umso wichtiger, weiterzubloggen – trotz der desolaten Internetversorgung. Denn Blogger, sagt er, haben schon längst die Funktion von Journalisten eingenommen:
"Die professionellen Journalisten wurden ja verfolgt und hatten Angst. Also wechselten sie ihren Beruf, gingen ins Exil oder zensierten sich selbst. Leute, die mutig genug waren, die aktivistisch genug waren, die haben die Medien übernommen."
Sprache der Berichterstattung ist entscheidend
Im Gegensatz zu Chefredakteurin Fasika Tadesse schreibt Befeqadu Hailu aus Prinzip auf Amharisch. Nur so erreiche man ein größeres Publikum.
"Die englischsprachige Berichterstattung hat keine große Reichweite und greift so die Regierung nicht an. Aber wenn man auf Amharisch schreibt, dann erreicht man die einfache Bevölkerung."
Seine Posts auf Amharisch versteht er als notwendige Fürsorge für Äthiopien. Er freut sich über die zunehmende Demokratisierung, seitdem Abiy Ahmed Ministerpräsident Premierminister ist. Gleichzeitig machen ihn die anstehenden Parlamentswahlen nervös. Ob der Zustand relativer Pressefreiheit sich über diese Wahl hinweg halten lässt, hängt nicht zuletzt an medialen Aktivisten wie Befeqadu Hailu.