"Sie halten mich für eine Person, die ihnen hilft, an das Land zu glauben oder an diese Demokratie zu glauben."
Sagt Joachim Gauck. Und so sieht sie aus, die Zukunft unseres Landes: Joachim Gauck, 72 Jahre, Otto Rehagel, 73 Jahre, um nur zwei bedeutende Personalien der letzten vierzehn Tage zu nennen. Während Otto Rehagel den Fußballbundesligisten Hertha BSC vor dem Abstieg retten soll, kommen auf den rüstigen Rentner Joachim Gauck voraussichtlich größere Aufgaben zu: Er soll dem Amt des Bundespräsidenten neuen Glanz verleihen.
Beide sind Protagonisten einer neuen Entwicklung: Beide ziehen eine Tätigkeit in der Mitte der Gesellschaft dem wohlverdienten Rentnerdasein vor. Und sie sind nicht allein. Immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft wollen auch im höheren Lebensalter aktiv sein.
Hintergrund ist die enorme Verlängerung des menschlichen Lebens, die Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung, die ja in den letzten hundert Jahren etwa bei dreißig Jahren liegt in den modernen Industrienationen.
Nicht nur die Lebenserwartung verlängert sich, die Menschen sind im Durchschnitt auch länger fit, was Folgen für die Lebensgestaltung hat:
"Dann hat man sich Gedanken gemacht, was bedeutet es eigentlich für den Lebensverlauf, und können wir festhalten an dieser Strenggliederigkeit Bildung ganz gehäuft am Anfang, Arbeit ganz gehäuft in der Mitte und dann ganz viel Freizeit und Privatleben am Ende des Lebens."
Professorin Ursula Staudinger, Gründungsdekanin des Centers für Lebenslanges Lernen, Jacobs University Bremen.
"Und man kam eigentlich dazu, dass das weder für den Einzelnen noch für das Gemeinwesen gewinnbringend ist, wenn man diese gewonnenen Jahre einfach hinten anhängt und dadurch die Zeit, die der Einzelne im Privatleben damit ohne nennenswerte soziale Partizipation und Sichtbarkeit verbringt, belassen würde. "
Das wiederum führte zu der Erkenntnis:
"Es müsste uns gelingen, diese drei Lebensbereiche, also Bildung, Arbeit und Privatleben über den Lebensverlauf stärker miteinander zu verschränken. Und dadurch könnte man für vielerlei Problemstellungen des modernen Lebens, sei es zum Beispiel die Balance zwischen Arbeit und Privatleben auch Lösungsansätze finden oder auch für die Herausforderung, dass durch schnellen wirtschaftlichen Wandel die Lernerfordernisse und die Wechselerfordernisse im Berufsleben sich ja auch erhöht haben und weiter hoch bleiben werden."
Diese Erkenntnis ist nicht neu, bekommt aber neue Brisanz durch eine aktuelle Untersuchung aus den USA, die jetzt auch in deutscher Übersetzung vorliegt.
Die Psychologen Professor Howard Friedman und Professor Leslie Martin von der University of California haben eine Studie weitergeführt, die weltweit einmalig sein dürfte und mehrere Wissenschaftlergenerationen beschäftigt hat:
Howard Friedman:
"Es ist die erste wissenschaftliche Untersuchung, die Menschen von ihrer Kindheit an begleitet hat, beginnend 1921 und dann ihr ganzes Leben lang, während ihrer ersten Schuljahre, als sie erwachsen wurden, als sie heirateten, eigene Kinder hatten, Karriere machten, alt wurden, um zu sehen, warum einige Menschen gesund blieben, lang lebten und andere vom gesunden Weg abkamen und vorzeitig starben."
Ursula Staudinger:
"Die Terman-Study hat einen zentralen Stellenwert in der Entwicklungspsychologie, weil sie Pionierarbeit geleistet hat. Sie begann ja in den 20er-Jahren und hat damit das Fenster geöffnet, sich dafür zu interessieren, Menschen wirklich ein Leben lang zu begleiten und zu verstehen, warum sich bestimmte Menschen so und andere anders entwickeln."
Und sie hat neue Erkenntnisse geliefert, denn der Studie zufolge stimmen einige Vorurteile über ein erfolgreiches langes Leben nicht mit der Realität überein, meint Leslie Martin:
"Den größten Einfluss auf ein langes Leben hat "Gewissenhaftigkeit". Eine gewissenhafte Person ist verlässlich und organisiert, umsichtig, vorausschauend und ausdauernd. Wenn diese Menschen etwas beginnen, bleiben sie dabei. Es klingt nach einer langweiligen Person, aber das stimmt nicht. Gewissenhafte Menschen tendieren zu stabilen Ehen, sie sind im Job stabiler, sie mögen ihre Arbeit oder sind sogar begeistert von ihr. Es ist dieses Muster, das eine ganze Reihe menschlicher Verhaltensweisen umfasst, das diese Personen kennzeichnet."
Ein weiterer Befund der Untersuchung könnte der Diskussion um die Rente mit 67 oder gar die um eine Flexibilisierung der Arbeitszeit weiter befeuern: Stress in Maßen ist nicht etwa lebensverkürzend, denn anscheinend werden nicht unbedingt die Menschen, die im Alter Berufstätigkeit meiden, dafür mit einem langen Leben belohnt.
Howard Friedman:
"Wir haben herausgefunden, dass Verhaltensweisen wie "take it easy”, "arbeite nicht so hart", "stress dich nicht", dass diese Verhaltensweisen nicht produktiv sind. Wir fanden heraus, dass Menschen sich nicht zu Tode arbeiten, sie arbeiten für ein längeres Leben. Menschen, die sich für ihren Beruf einsetzen, hart arbeiten, dabei bleiben und erfolgreich sind, bleiben länger am Leben, weil sie sonst ihre sozialen Kontakte und ihre Freunde verlieren und den Grund, morgens aufzustehen. Wenn man seine Arbeit liebt, sollte man weiter arbeiten."
Einschränkend gibt die Entwicklungspsychologin Ursula Staudinger zu bedenken:
"Man muss aber auch verstehen, dass die Terman-Study eine ganz bestimmte Stichprobe hatte, von Anfang an, denn Lewis Terman hat sich interessiert für besonders begabte Kinder und dann, noch hinzukommend von der Gegend aus, wo sie rekrutiert wurden, das war eben eine privilegierte Mittelklassestichprobe und aus der wiederum heraus dann noch die besonders Begabten."
Ein heikles Thema, denn die privilegierte Mittelklasse hat per se schon eine höhere Lebenserwartung, weil sie gesünder lebt. Die Forschung - so Ursula Staudinger - ist in dem Punkt nicht ganz eindeutig. So gäbe es Studien, die festgestellt hätten, dass es unabhängig von der Schichtzugehörigkeit zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt, wenn Menschen gegen ihren Willen in den Vorruhestand gedrängt werden
Andererseits profitierten kranke Menschen von einem vorzeitigen Ruhestand und krankmachende Arbeitsplätze verlängern nicht die Lebenserwartung.
"Was man aber schon sagen kann, ist, dass wir wissen aus der kognitiven Trainingsforschung, dass der menschliche Geist durch Herausforderungen und immer wieder die Notwendigkeit, sich immer wieder mit neuen kognitiven Aufgaben zu beschäftigen, aktiv und flexibel und fit gehalten wird."
Davon ausgehend haben Wissenschaftler gefragt, wie es denn aussieht mit unterschiedlichen Berufen und wie sich die unterschiedlichen Berufstätigkeiten auf die geistige Leistungsfähigkeit auswirkt.
"Es gibt jetzt auch aus epidemiologischen Studien immer mehr Hinweise, die uns zeigen, dass es so zu sein scheint, dass unabhängig, und das ist ganz wichtig, unabhängig vom intellektuellen Leistungsniveau oder auch dem Bildungsabschluss in Abhängigkeit von dem Abwechslungsgehalt einer Berufslaufbahn, es hohe Wahrscheinlichkeit hat, dass sich dies positiv auf die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter auswirkt. Wir führen auch in Bremen eine Studie durch, wo wir untersuchen wollen, ob das nicht nur den Verlauf, also das Niveau der geistigen Leistungsfähigkeit im Alter beeinflusst, sondern die Grundadaptivität des Gehirns, also wie gut wir in der Lage sind, uns an Neues wieder anzupassen und damit fertig zu werden. Und das hat dann wiederum auch Konsequenzen für die Persönlichkeit, also wie widerstandsfähig werden wir auch. Und da gibt es also erste Hinweise, dass es da einen Zusammenhang gibt mit Berufstätigkeit und der Art der Berufstätigkeit."
Bei der Beurteilung der Ergebnisse der Terman Studie sollte auch berücksichtigt werden, dass jede menschliche Entwicklung von den historischen Umständen abhängig ist: Wenn jemand in den 1920 Jahren aufwuchs, prägten ihn andere Umstände während Kindheit und Jugend als einen Menschen, der im Jahr 2000 geboren wurde.
Deshalb versuchen Wissenschaftler seit den 1950er Jahren durch systematische Verknüpfung von einzelnen Studien, die Entwicklungsprozesse verschiedener Geburtsjahrgänge zu vergleichen. Sie wollen herausfinden, welchen Einfluss beispielsweise historische Umstände im Vergleich zu dem Einfluss des kalendarischen Alters haben.
Das stellten auch die beiden amerikanischen Wissenschaftler fest: Studienteilnehmer, die während des Zweiten Weltkriegs an der Front in Japan oder Europa gekämpft hatten, erreichten - auch wenn sie weitgehend unverletzt blieben - seltener ein hohes Alter als die Daheimgebliebenen.
Aber auch einschneidende Erlebnisse in der Biografie beeinflussten das Lebensalter:
Leslie Martin:
"Wenn man eine Scheidung erlebt hat, erhöht das Sterberisiko. Das war für uns ein Schock. Glückliche, langlebige Ehen fördern ein langes Leben. Aber auch das überzeugte Singleleben ist - insbesondere für Frauen - genauso gut."
Neben gesellschaftlichen und biografischen Effekten spielen auch persönliche Entscheidungen eine große Rolle, ob Menschen gesund altern. Zu der Zeit, als die meisten Teilnehmer der Terman Studie lebten, gab es noch keine Fitness Welle. Die Konsequenz, die Leslie Martin - selbst Marathon-Läuferin - aus ihren Ergebnissen zieht:
"Ich würde sicherlich nicht sagen, wenn sie joggen lernen, sollten sie damit aufhören. Oder wenn sie Hammerwerfen mögen, sollten sie das weitermachen! Aber die Sache ist die: Wir wissen, dass wir aktiv sein sollten aber viele sind das nicht, weil sie Dinge ausprobieren, die nicht zu ihnen passen oder ihnen keinen Spaß machen. So langweilen sie sich und hören auf. Was wir empfehlen ist, dass Leute etwas finden, was ihnen Spaß macht, ob das jetzt Gartenarbeiten oder Wandern oder Tennis oder Waldspaziergänge sind oder was auch immer. Das sind dann die Dinge, die sie dann auch wirklich tun."
Was letztendlich zu einem langen, gesunden Leben führt? Die Trias aus Lebensumständen, eigenen Entscheidungen und Handeln und die biologische Ausstattung. Das sind die Faktoren - so Professor Ursula Staudinger - die Erfolg und Misserfolg der menschlichen Entwicklung erklären.
"Besonders spannend aus der jüngsten Vergangenheit ist, dass wir jetzt aus der molekularen Biologie anfangen zu begreifen, dass das, was wir früher dachten, dass es gesetzt ist, nämlich unsere biologische Ausstattung, die genetische Ausstattung, die wir von unseren Eltern mitbekommen, dass sie eben nicht so gesetzt ist, wie wir das früher dachten."
So lassen sich bestimmte Erbinformationen durch unser Verhalten beeinflussen, Gene können aktiviert oder unterdrückt, Alterungsprozesse beschleunigt oder hinausgezögert werden
"Das beginnen wir erst zu begreifen, aber dadurch wird natürlich noch mal deutlicher, dass wir eine ganz enge Verzahnung zu gewärtigen haben zwischen den Lebensumständen und der Biologie, die in unserem Organismus eingebaut ist."
Howard Friedman, Leslie Martin, Die Long
Life Formel, Die wahren Gründe für ein langes und glückliches Leben, Beltz Verlag, Weinheim Basel, 2012
Sagt Joachim Gauck. Und so sieht sie aus, die Zukunft unseres Landes: Joachim Gauck, 72 Jahre, Otto Rehagel, 73 Jahre, um nur zwei bedeutende Personalien der letzten vierzehn Tage zu nennen. Während Otto Rehagel den Fußballbundesligisten Hertha BSC vor dem Abstieg retten soll, kommen auf den rüstigen Rentner Joachim Gauck voraussichtlich größere Aufgaben zu: Er soll dem Amt des Bundespräsidenten neuen Glanz verleihen.
Beide sind Protagonisten einer neuen Entwicklung: Beide ziehen eine Tätigkeit in der Mitte der Gesellschaft dem wohlverdienten Rentnerdasein vor. Und sie sind nicht allein. Immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft wollen auch im höheren Lebensalter aktiv sein.
Hintergrund ist die enorme Verlängerung des menschlichen Lebens, die Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung, die ja in den letzten hundert Jahren etwa bei dreißig Jahren liegt in den modernen Industrienationen.
Nicht nur die Lebenserwartung verlängert sich, die Menschen sind im Durchschnitt auch länger fit, was Folgen für die Lebensgestaltung hat:
"Dann hat man sich Gedanken gemacht, was bedeutet es eigentlich für den Lebensverlauf, und können wir festhalten an dieser Strenggliederigkeit Bildung ganz gehäuft am Anfang, Arbeit ganz gehäuft in der Mitte und dann ganz viel Freizeit und Privatleben am Ende des Lebens."
Professorin Ursula Staudinger, Gründungsdekanin des Centers für Lebenslanges Lernen, Jacobs University Bremen.
"Und man kam eigentlich dazu, dass das weder für den Einzelnen noch für das Gemeinwesen gewinnbringend ist, wenn man diese gewonnenen Jahre einfach hinten anhängt und dadurch die Zeit, die der Einzelne im Privatleben damit ohne nennenswerte soziale Partizipation und Sichtbarkeit verbringt, belassen würde. "
Das wiederum führte zu der Erkenntnis:
"Es müsste uns gelingen, diese drei Lebensbereiche, also Bildung, Arbeit und Privatleben über den Lebensverlauf stärker miteinander zu verschränken. Und dadurch könnte man für vielerlei Problemstellungen des modernen Lebens, sei es zum Beispiel die Balance zwischen Arbeit und Privatleben auch Lösungsansätze finden oder auch für die Herausforderung, dass durch schnellen wirtschaftlichen Wandel die Lernerfordernisse und die Wechselerfordernisse im Berufsleben sich ja auch erhöht haben und weiter hoch bleiben werden."
Diese Erkenntnis ist nicht neu, bekommt aber neue Brisanz durch eine aktuelle Untersuchung aus den USA, die jetzt auch in deutscher Übersetzung vorliegt.
Die Psychologen Professor Howard Friedman und Professor Leslie Martin von der University of California haben eine Studie weitergeführt, die weltweit einmalig sein dürfte und mehrere Wissenschaftlergenerationen beschäftigt hat:
Howard Friedman:
"Es ist die erste wissenschaftliche Untersuchung, die Menschen von ihrer Kindheit an begleitet hat, beginnend 1921 und dann ihr ganzes Leben lang, während ihrer ersten Schuljahre, als sie erwachsen wurden, als sie heirateten, eigene Kinder hatten, Karriere machten, alt wurden, um zu sehen, warum einige Menschen gesund blieben, lang lebten und andere vom gesunden Weg abkamen und vorzeitig starben."
Ursula Staudinger:
"Die Terman-Study hat einen zentralen Stellenwert in der Entwicklungspsychologie, weil sie Pionierarbeit geleistet hat. Sie begann ja in den 20er-Jahren und hat damit das Fenster geöffnet, sich dafür zu interessieren, Menschen wirklich ein Leben lang zu begleiten und zu verstehen, warum sich bestimmte Menschen so und andere anders entwickeln."
Und sie hat neue Erkenntnisse geliefert, denn der Studie zufolge stimmen einige Vorurteile über ein erfolgreiches langes Leben nicht mit der Realität überein, meint Leslie Martin:
"Den größten Einfluss auf ein langes Leben hat "Gewissenhaftigkeit". Eine gewissenhafte Person ist verlässlich und organisiert, umsichtig, vorausschauend und ausdauernd. Wenn diese Menschen etwas beginnen, bleiben sie dabei. Es klingt nach einer langweiligen Person, aber das stimmt nicht. Gewissenhafte Menschen tendieren zu stabilen Ehen, sie sind im Job stabiler, sie mögen ihre Arbeit oder sind sogar begeistert von ihr. Es ist dieses Muster, das eine ganze Reihe menschlicher Verhaltensweisen umfasst, das diese Personen kennzeichnet."
Ein weiterer Befund der Untersuchung könnte der Diskussion um die Rente mit 67 oder gar die um eine Flexibilisierung der Arbeitszeit weiter befeuern: Stress in Maßen ist nicht etwa lebensverkürzend, denn anscheinend werden nicht unbedingt die Menschen, die im Alter Berufstätigkeit meiden, dafür mit einem langen Leben belohnt.
Howard Friedman:
"Wir haben herausgefunden, dass Verhaltensweisen wie "take it easy”, "arbeite nicht so hart", "stress dich nicht", dass diese Verhaltensweisen nicht produktiv sind. Wir fanden heraus, dass Menschen sich nicht zu Tode arbeiten, sie arbeiten für ein längeres Leben. Menschen, die sich für ihren Beruf einsetzen, hart arbeiten, dabei bleiben und erfolgreich sind, bleiben länger am Leben, weil sie sonst ihre sozialen Kontakte und ihre Freunde verlieren und den Grund, morgens aufzustehen. Wenn man seine Arbeit liebt, sollte man weiter arbeiten."
Einschränkend gibt die Entwicklungspsychologin Ursula Staudinger zu bedenken:
"Man muss aber auch verstehen, dass die Terman-Study eine ganz bestimmte Stichprobe hatte, von Anfang an, denn Lewis Terman hat sich interessiert für besonders begabte Kinder und dann, noch hinzukommend von der Gegend aus, wo sie rekrutiert wurden, das war eben eine privilegierte Mittelklassestichprobe und aus der wiederum heraus dann noch die besonders Begabten."
Ein heikles Thema, denn die privilegierte Mittelklasse hat per se schon eine höhere Lebenserwartung, weil sie gesünder lebt. Die Forschung - so Ursula Staudinger - ist in dem Punkt nicht ganz eindeutig. So gäbe es Studien, die festgestellt hätten, dass es unabhängig von der Schichtzugehörigkeit zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt, wenn Menschen gegen ihren Willen in den Vorruhestand gedrängt werden
Andererseits profitierten kranke Menschen von einem vorzeitigen Ruhestand und krankmachende Arbeitsplätze verlängern nicht die Lebenserwartung.
"Was man aber schon sagen kann, ist, dass wir wissen aus der kognitiven Trainingsforschung, dass der menschliche Geist durch Herausforderungen und immer wieder die Notwendigkeit, sich immer wieder mit neuen kognitiven Aufgaben zu beschäftigen, aktiv und flexibel und fit gehalten wird."
Davon ausgehend haben Wissenschaftler gefragt, wie es denn aussieht mit unterschiedlichen Berufen und wie sich die unterschiedlichen Berufstätigkeiten auf die geistige Leistungsfähigkeit auswirkt.
"Es gibt jetzt auch aus epidemiologischen Studien immer mehr Hinweise, die uns zeigen, dass es so zu sein scheint, dass unabhängig, und das ist ganz wichtig, unabhängig vom intellektuellen Leistungsniveau oder auch dem Bildungsabschluss in Abhängigkeit von dem Abwechslungsgehalt einer Berufslaufbahn, es hohe Wahrscheinlichkeit hat, dass sich dies positiv auf die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter auswirkt. Wir führen auch in Bremen eine Studie durch, wo wir untersuchen wollen, ob das nicht nur den Verlauf, also das Niveau der geistigen Leistungsfähigkeit im Alter beeinflusst, sondern die Grundadaptivität des Gehirns, also wie gut wir in der Lage sind, uns an Neues wieder anzupassen und damit fertig zu werden. Und das hat dann wiederum auch Konsequenzen für die Persönlichkeit, also wie widerstandsfähig werden wir auch. Und da gibt es also erste Hinweise, dass es da einen Zusammenhang gibt mit Berufstätigkeit und der Art der Berufstätigkeit."
Bei der Beurteilung der Ergebnisse der Terman Studie sollte auch berücksichtigt werden, dass jede menschliche Entwicklung von den historischen Umständen abhängig ist: Wenn jemand in den 1920 Jahren aufwuchs, prägten ihn andere Umstände während Kindheit und Jugend als einen Menschen, der im Jahr 2000 geboren wurde.
Deshalb versuchen Wissenschaftler seit den 1950er Jahren durch systematische Verknüpfung von einzelnen Studien, die Entwicklungsprozesse verschiedener Geburtsjahrgänge zu vergleichen. Sie wollen herausfinden, welchen Einfluss beispielsweise historische Umstände im Vergleich zu dem Einfluss des kalendarischen Alters haben.
Das stellten auch die beiden amerikanischen Wissenschaftler fest: Studienteilnehmer, die während des Zweiten Weltkriegs an der Front in Japan oder Europa gekämpft hatten, erreichten - auch wenn sie weitgehend unverletzt blieben - seltener ein hohes Alter als die Daheimgebliebenen.
Aber auch einschneidende Erlebnisse in der Biografie beeinflussten das Lebensalter:
Leslie Martin:
"Wenn man eine Scheidung erlebt hat, erhöht das Sterberisiko. Das war für uns ein Schock. Glückliche, langlebige Ehen fördern ein langes Leben. Aber auch das überzeugte Singleleben ist - insbesondere für Frauen - genauso gut."
Neben gesellschaftlichen und biografischen Effekten spielen auch persönliche Entscheidungen eine große Rolle, ob Menschen gesund altern. Zu der Zeit, als die meisten Teilnehmer der Terman Studie lebten, gab es noch keine Fitness Welle. Die Konsequenz, die Leslie Martin - selbst Marathon-Läuferin - aus ihren Ergebnissen zieht:
"Ich würde sicherlich nicht sagen, wenn sie joggen lernen, sollten sie damit aufhören. Oder wenn sie Hammerwerfen mögen, sollten sie das weitermachen! Aber die Sache ist die: Wir wissen, dass wir aktiv sein sollten aber viele sind das nicht, weil sie Dinge ausprobieren, die nicht zu ihnen passen oder ihnen keinen Spaß machen. So langweilen sie sich und hören auf. Was wir empfehlen ist, dass Leute etwas finden, was ihnen Spaß macht, ob das jetzt Gartenarbeiten oder Wandern oder Tennis oder Waldspaziergänge sind oder was auch immer. Das sind dann die Dinge, die sie dann auch wirklich tun."
Was letztendlich zu einem langen, gesunden Leben führt? Die Trias aus Lebensumständen, eigenen Entscheidungen und Handeln und die biologische Ausstattung. Das sind die Faktoren - so Professor Ursula Staudinger - die Erfolg und Misserfolg der menschlichen Entwicklung erklären.
"Besonders spannend aus der jüngsten Vergangenheit ist, dass wir jetzt aus der molekularen Biologie anfangen zu begreifen, dass das, was wir früher dachten, dass es gesetzt ist, nämlich unsere biologische Ausstattung, die genetische Ausstattung, die wir von unseren Eltern mitbekommen, dass sie eben nicht so gesetzt ist, wie wir das früher dachten."
So lassen sich bestimmte Erbinformationen durch unser Verhalten beeinflussen, Gene können aktiviert oder unterdrückt, Alterungsprozesse beschleunigt oder hinausgezögert werden
"Das beginnen wir erst zu begreifen, aber dadurch wird natürlich noch mal deutlicher, dass wir eine ganz enge Verzahnung zu gewärtigen haben zwischen den Lebensumständen und der Biologie, die in unserem Organismus eingebaut ist."
Howard Friedman, Leslie Martin, Die Long
Life Formel, Die wahren Gründe für ein langes und glückliches Leben, Beltz Verlag, Weinheim Basel, 2012