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Profit oder Moral?

Nach dem Überfall der Japaner auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbour im Dezember 1941 erklärte auch das nationalsozialistische Deutschland den Vereinigten Staaten den Krieg. Die USA nahmen postwendend den Fehdehandschuh auf und schlugen mit all ihrem Potential zurück. Zu ihrer Wirtschaftsmacht gehörten schon seit den zwanziger, dreißiger Jahren auch Beteiligungen an ausländischen Konzernen und Firmen.

Von Tillmann Bendikowski |
    Die deutsche Adam Opel AG zum Beispiel war während der Nazi-Herrschaft eine 100-prozentige Tochter des US-Konzerns General Motors. Die spannende Frage liegt nahe: Wie verhielt sich das General-Motors-Management gegenüber der NS-Diktatur? Was war wichtiger – Profit oder Moral? - Wie und in welchem Umfang auch diese Fragen den US-Historiker Henry Ashby Turner interessiert haben, versucht unser Rezensent Tillmann Bendikowski zu beantworten. Er hat Turners Arbeit mit dem Titel: "General Motors und die Nazis. Das Ringen um Opel" für uns gelesen:

    " Hell schwingen die Klänge eines Fanfarenmarsches durch die große, festlich geschmückte Halle des Opel-Bahnhofs von Rüsselsheim, wo sonst die Räder rotieren, wo sonst die Riemen schwirren, die Hämmer klopfen und die Schweißmaschinen kreischen – da ist heute festliche Musik. Einmarsch der Werksfahnen, der Werksscharen zur 75-Jahr-Feier. 16 Quadratmeter groß war der Kuhstall, auf dem 1862 Adam von Opel sein großes Werk begann, und das – begünstigt vom Schicksal – wuchs wie kein zweites. "
    So festlich man sich in diesen Augusttagen des Jahres 1937 auch gab – richtig ausgelassen war die Stimmung nicht. Gut, die Adam Opel AG hatte einen imponierenden Aufstieg hinter sich: von kleinsten Anfängen – eben jenem erwähnten Kuhstall – bis zum größten Automobilbauer Europas. Doch das Unternehmen war seit 1929 im Besitz der amerikanischen General Motors Corporation, was für das nationale Empfinden strammer Nazis schwer erträglich war. Und auch die Besitzer in den USA hatten ihre Sorgen: Zwar machte ihr Ableger beeindruckende Umsätze, doch eine restriktive deutsche Devisenpolitik verhinderte seit Jahren die Abschöpfung der Gewinne. Und so machte der Vertreter der Amerikaner bei der Geburtstagsfeier 1937 gute Miene zum bösen Spiel:

    "Der Vizepräsident der General Motors Cooperation, Mister Grand aus New York, einer der führenden Männer in der Welt, was das Automobilwesen anbetrifft. (...) Mister Grand führte aus: (...) Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um meiner Bewunderung für den fortschrittlichen Geist ihrer führenden Männer Ausdruck zu geben, der die Erfolge der letzten vier Jahre möglich gemacht hat. "
    Beifall für die Nazis: Ehrliche Anerkennung oder strategisches Lob? Antworten auf diese und andere Fragen will der amerikanische Historiker Henry Ashby Turner in seinem Buch über die Beziehung zwischen General Motors und dem Dritten Reich geben. Kritik am Konzern hatte es schon immer gegeben: Er habe mit den Nazis gemeinsame Sache gemacht und sei ihnen als williger Rüstungspartner dienstbar gewesen. Turner ist da deutlich zurückhaltender: Er sieht General Motors als Opfer der Verhältnisse und rückt die potenzielle Bedrohung des amerikanischen Besitzes in den Mittelpunkt seiner Darstellung.

    Anschaulich beschreibt er etwa die Versuche des örtlichen Gauleiters, Zugriff auf Opel zu nehmen – die guten Kontakte der General-Motors-Führung nach Berlin, vor allem ins Wirtschaftsministerium, konnten solche Begehrlichkeiten indes abwehren. Aber ansonsten wollte General Motors von Politik nichts wissen, glaubt man Alfred P. Sloan, dem Präsidenten des Konzerns. Er notierte 1939 in einem internen Schreiben:

    Ein weltweit tätiger internationaler Konzern sollte seine Unternehmungen auf rein geschäftlicher Ebene betreiben, ohne Rücksicht auf die politischen Ansichten seines Managements oder der Staaten, in denen er tätig ist.
    Doch heraushalten konnte sich der Konzern aus den Machenschaften des Dritten Reiches nicht. Turner zeigt, wie stark Opel im NS-Wirtschaftssystem verankert war. Auch wenn die Rüsselsheimer das Rennen um den Bau des "Volkswagen" verloren hatten, profitierte Opel von der steigenden Nachfrage nach Fahrzeugen. Und bald wurde die Wehrmacht zum willkommenen Kunden. Zuerst lieferte Opel Lastwagen, und schon vor Kriegsbeginn Teile für den Flugzeugbau. Aber, so der Autor, die Verstrickung in die eigentliche Kriegsproduktion sei gewissermaßen zwangsweise geschehen:

    Als Hitler im September 1939 seine Armee in Marsch setzte, waren die General-Motors-Manager in Rüsselsheim keineswegs bereit, auf Kriegsproduktion umzustellen, sondern versuchten vielmehr, sich entsprechenden Forderungen der Nationalsozialisten zu entziehen und die Umrüstung des Rüsselsheimer Hauptwerks zu vermeiden. Auf sich selbst gestellt, taten sie, was sie konnten, um die Opel AG aus der Kriegsproduktion herauszuhalten. Erst Zwang in Form der ernstzunehmenden Drohung, das Werk werde konfisziert, bewegte sie zum Einlenken.
    Doch wie ernst waren diese Drohungen wirklich? Das bleibt unklar, weil der Autor es unterlässt, die Politik des NS-Regimes gegenüber ausländischen Eigentümern zu analysieren. Unerlässlich wäre etwa ein Blick auf andere ausländische Eigentümer gewesen. Weil dieser Zusammenhang fehlt, bleiben Turners Bewertungen zuweilen unbefriedigend.

    Mit der deutschen Kriegserklärung an die USA verloren die amerikanischen Besitzer endgültig den Zugriff auf Opel, bald wurde das Werk als feindliches Vermögen unter Kuratel gestellt. Und weil die Beschäftigung von Zwangsarbeitern erst nach diesem Zeitpunkt einsetzte – im Herbst 1944 schließlich ein Viertel der Rüsselsheimer Beschäftigten – spricht Turner General Motors an diesem Punkt von jeder Mitschuld frei. Verwerflich findet der Autor indes, dass der Konzern nach 1945 seine einstigen Devisenbestände zurückforderte – denn diese wurden auch mit der Beteiligung am Krieg und mit Zwangsarbeit verdient. Es bleibt die einzige Kritik des Autors an General Motors.

    Turners Verteidigungsschrift kann nur begrenzt überzeugen. Interessant sind sicherlich einige Archivfunde, doch in seiner Darstellung bleibt er seltsam unpräzise. Man hat nach der Lektüre den Eindruck, dass der Autor schon irgendwie Recht hat mit seinen Thesen, aber so richtig einleuchtend erscheinen die Ableitungen dann doch nicht. So mag das Buch ein interessanter Beitrag zur Geschichte ausländischer Konzerne im Dritten Reich sein. Doch das letzte Wort über General Motors, Opel und die Nazis dürfte damit noch nicht gesprochen sein.

    Tillmann Bendikowski war das - zu: Henry Ashby Turner: "General Motors und die Nazis. Das Ringen um Opel", Econ Verlag, Berlin. - 304 Seiten zum Preis von 18 Euro.