Archiv


Prostitution im Irak

Seit dem Einmarsch der US-Truppen im Jahr 2003 sind immer mehr Mädchen und Frauen im Irak alltäglich zu Opfern krimineller Banden. Sie werden in die Prostitution gezwungen und im illegalen Menschenhandel verschachert. Die Organisation Norwegian Church Aid hat dazu einen Lagebericht erstellen lassen.

Von Suzanne Krause |
    Lange Jahre blickten Frauen aus Nahost voll Neid auf den Irak: dessen Bürgerinnen hatten seit den 1950er-Jahren viel gesetzlich garantierte Freiheit im beruflichen wie im privaten Leben. Inzwischen überwiegt in der Region das Mitleid mit den Irakerinnen. Denn ihre Freiräume sind rasant geschrumpft. Das berichtet Malka Marcovich, Expertin für Frauenhandel bei der Nichtregierungsorganisation Coalition Against Trafficking in Women. Sie hat in den vergangenen zwei Jahren die Lage im Irak studiert und den Bericht für Norwegian Church Aid erstellt.

    "Was mich erschüttert hat, sind Fälle wie der: Da verliebt sich eine Studentin in einen jungen, scheinbar seriösen Mann. Doch Geschlechtsverkehr vor der Ehe ist strikt verboten. Die einzige Möglichkeit, miteinander intim werden zu können, besteht darin, eine sogenannte Vergnügungsehe zu schließen, eine Ehe auf Zeit. Doch dann filmt der Bräutigam den Liebesakt mit seinem Handy und im Anschluss erpresst er das Mädchen. Er droht, wenn sie nicht für ihn anschaffen geht, wird er mit den Aufnahmen zu ihrer Familie gehen."

    Fünfzig Seiten umfasst der Lagebericht, den Malka Marcovich erstellte. Der Titel: Geschlechtsbedingte Gewalt, Sexhandel und Prostitution im Irak. Er listet weitere Gründe für den Aufschwung der Prostitution im Irak auf, allem vorweg die extreme wirtschaftliche Not im Land. 30 Jahre Krieg und bewaffnete Konflikte im Irak haben drei Millionen Frauen, häufig Mütter, zu Witwen gemacht. Die Mehrheit ist völlig mittellos.

    Besorgniserregend ist auch, dass sogenannte Ehrenmorde vehement zunehmen. Erste Zielscheibe: Mädchen, junge Frauen, die mit angeblich sittenwidrigem Verhalten die Familienehre beschmutzen. Auf der Flucht vor Morddrohungen der eigenen Familie landet manche in den Armen eines Bordellwirts. Denn Schutzeinrichtungen für Frauen sind im Irak absolute Mangelware. Malka Marcovich sammelte diese Zeugenberichte von irakischen Frauenrechtlerinnen. Bei Treffen, die die norwegische Hilfsorganisation aus Sicherheitsgründen außerhalb des Irak veranstaltete.

    "Wir haben von Anfang an beschlossen, dass die Treffen vertraulich sind. Denn für manche irakische Teilnehmerin ist es riskant, über Frauenhandel in ihrem Land zu sprechen. Ein Jahr lang haben Irakerinnen Informationen zusammengetragen - im Untergrund. Da sind erstmals Frauen im Land selbst aktiv geworden. Manche wollten mir ihre Erkenntnisse nur unter vier Augen mitteilen, aus Sicherheitsgründen."

    Wie viele Mädchen und Frauen in der Prostitution oder im Netz von kriminellen Frauenhändlern stranden, weiß keiner genau zu beziffern. Offiziell gelten 2000 Irakerinnen als verschollen, so die Irakerin Faheema Razij. Sie ist Soziologin an der Universität Bagdad und arbeitet über den Frauenhandel.

    "Es gibt keine offiziellen Zahlen. Aber wir wissen, der Frauenhandel nimmt zu. Immer mehr Frauen werden auch über die Grenze verschoben. Für unsere wissenschaftliche Arbeit sind wir ausnahmslos auf die Statistiken der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen angewiesen. Von unserer Regierung bekommen wir keine Auskünfte. Es ist gefährlich, da Fragen zu stellen, denn Prostitution ist in unserem Land ein Tabu."

    Der erste, der an diesem Tabu kratzte, war ein Frauenverein aus dem Nordirak, dem kurdischen Landesteil. Dessen Mitarbeiterinnen kümmern sich um Frauen im Gefängnis und veröffentlichten vor knapp drei Jahren eine soziologische Studie. Der ist zu entnehmen: Der Hauptgrund, warum Frauen heute im nordirakischen Suleymania im Knast landen, ist die Prostitution. Doch die angeblichen Täterinnen, so Mitarbeiterin Deedar, seien vielfach nur Opfer, die Opfer krimineller Menschenhändler:

    "Unser Bericht ist wie eine Bombe eingeschlagen. Wir brachten Dinge ans Tageslicht, die lange Zeit im Dunkeln lagen. Wir deckten auf, dass auch Politiker und Würdenträger ihre Hände im illegalen Frauenhandel haben. Alle waren schockiert. Und dann wurde unser Verein bedroht. Und die Vorsitzende musste nach Deutschland flüchten."

    Dass auch scheinbare Ehrenmänner in diesem kriminellen Menschenhandel kräftig mitmischen, erstaunt Malka Marcovich wenig. Weil das Phänomen weltweit anzutreffen ist. Und weil gerade im Irak auch der ehemalige Machthaber Saddam Hussein zu Beginn seines Regimes ganze Dörfer zu Stätten der Lust hatte ausbauen lassen - in denen er und sein Stab häufig zu Gast waren. Als sich Saddam Hussein dann in den 1990er-Jahren aus politischen Gründen den religiösen Fundamentalisten annäherte, befahl er eine große Säuberungsaktion. Über diese Aktion liegen Marcovich erschütternde Zeugenaussagen vor. Darin berichten die Befragten, wie Milizen in nächtlichen Aktionen Frauen aus den Bordellen zerrten und auf dem Marktplatz abstachen.

    Seit dieser Säuberungsaktion steht im Irak auf Prostitution die Todesstrafe. Ein Grund, warum bis heute ein Großteil der Bevölkerung glaubt, dass Frauen, die sich prostituieren, Verbrecherinnen sind. Und keine Opfer. Malka Marcovich:

    "In den Medien im Irak und im Ausland sieht man häufig Schlagzeilen wie: Mutter verkauft ihre Tochter. Da werden die Frauen stigmatisiert. Doch die Wahrheit ist eine andere im Irak, wie überall dort, wo Männer sehr viel Macht haben und wo das Thema Sexualität tabu ist. Die Prostitution wird von Männern für Männer organisiert. Sichtbar gemacht werden hingegen einzig weibliche Zuhälter und in der Prostitution versklavte Frauen. Und wenn die Medien über einen Haftbefehl wegen Zuhälterei im Irak berichten, geht es immer um eine Bordellmutter, nie um einen männlichen Zuhälter."

    Bei der Regierung in Bagdad liegt derzeit ein Gesetz gegen Menschenhandel in der Schublade. Rachel Eapen Paul war es möglich, Einsicht zu nehmen. Sie ist Leiterin des Irakprogramms der Norwegian Church Aid und macht Lobbyarbeit gegen kriminellen Frauenhandel. Im Gesetzentwurf aus Bagdad gehe es nur um Strafen für die Menschenhändler, kritisiert sie und fordert:

    "Es ist unabdingbar, bei diesem Thema auch die Stimmen von Opfern und von Frauenvereinen einfließen zu lassen. Viel zu oft geht es nur um Strafen für die Menschenhändler. Die Opfer werden einfach vergessen. So geht manche gleich dem nächsten kriminellen Netzwerk in die Fänge. Mit den Treffen rund um unseren Irakbericht wollten wir auch bei den Frauenrechtlerinnen dafür ein Bewusstsein schaffen, dass auch sie eine wichtige Rolle spielen müssen. Indem sie sich für bessere Gesetze engagieren und sich um die Frauen kümmern, die Opfer wurden."

    Rachel Eapen Paul will, dass die Irakerinnen aus ihrer Opferrolle herausfinden. Dass sie ihre Belange selbst in die Hand nehmen. Ein ehrgeiziges Ziel, das weiß auch Rachel Eapen Paul aus ihren täglichen Kontakten in den Irak. "Denn dort sind heute gerade Anwältinnen, die für ihre Klientinnen Rechte einklagen, Aktivistinnen, die weiblichen Opfern von Gewalt beistehen, die erste Zielscheibe von Anschlägen, schreibt die Europäische Union vergangenen November in einer Erklärung zur Lage der Menschenrechte im Irak.