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Proteine unter der Strahlenlupe

Physik. - Am Schweizerischen Paul-Scherrer-Institut nahe Zürich nahmen die Wissenschaftler am Mittwoch die so genannte "Synchrotron-Lichtquelle" in Betrieb. Die Anlage dient dazu, die komplizierte räumliche Struktur von Eiweiß-Molekülen exakt nachzuzeichnen. Besonders die Pharma-Industrie hat Interesse an solchen Erkenntnissen, denn aus der räumlichen Struktur eines Proteins lässt sich möglicherweise auch ein passender Wirkstoff erzeugen.

Von Thomas Wagner |
    Ein stählerner 280 Meter langer Ring, mit allerlei Spulen, Kabeln und Monitoren versehen, ist das "Herz" jener neuen Anlage im Schweizer Paul-Scherrer-Institut, von der sich vor allem die Pharmaforschung eine Fülle neuer Erkenntnisse verspricht, "Synchrotron-Lichtquelle" nennen die Experten den riesigen Stahlkreisel, in dem magnetische und elektrische Felder Elektronen auf unvorstellbaren Geschwindigkeiten beschleunigen.

    Diese Elektronen werden in einer Kreisbahn gehalten, indem sie eine Reihe von Magneten durchlaufen. Und wenn man so eine Anlage viel kleiner machen würde, dann fliegen sie aus der Kurve, genauso wie ein Auto: Wenn man versucht, eine knappe Kurve zu machen, dann geht es nicht.

    ...so Professor Friso van der Veen vom Paul-Scherrer-Institut, zuständig für den 280 Meter langen Ring und alles, was sonst noch zu dieser Synchrotron-Strahlquelle dazugehört. Die dient in erster Linie dazu, die räumliche Struktur von Protein-Molekülen zu analysieren. In dem Ring entsteht eine elektromagnetische Strahlung mit extrem kleinen Wellenlängen, vergleichbar den Röntgen- und den Gammastrahlen. Anhand der Beugungsmuster, die beim Auftreffen auf die Proben entstehen, lassen sich die räumlichen Strukturen der Proteine präzise rekonstruieren. Dazu müssen die Proteine aber erst kristallisiert werden, indem das Wasser, in dem sie gelöst sind, verdampft wird. Das allerdings, so die am Paul-Scherrer-Institut gewonnenen Erfahrungen, funktioniert nicht in jedem Fall. Professor Friso van der Veen:

    Es ist leider so, und das ist Murphys Gesetz, dass sich die interessantesten Proteine am schwierigsten kristallisieren lassen. Die Membranproteine sind ja da in einer nicht-wässrigen Umgebung. Und wenn man so ein Protein in eine wässrige Umgebung taucht und versucht, daraus ein Kristall zu machen, sagen die: Ich verabschiede mich, ich mache kein Kristall für Sie, weil die Wasser hassen.

    Damit könnten solche Membran-Proteine von der neuen Synchrotron-Lichtquelle nicht untersucht werden. Die Experten haben sich daher einen Trick ausgedacht: Sie analysieren Proben von mehreren Membran-Molekülen, die sie in künstliche Gitterstrukturen einbringen. Aber, so Professor van der Veen:

    Oft sind diese Gitterstrukturen nicht perfekt. Und dann hat man auch Schwierigkeiten, und da sieht man nicht so schöne Beugungsmuster, die dann auch schwieriger zu interpretieren sind mit entsprechend niedrigerer Auflösung. Aber das ist dann der Stand der Dinge.

    Die angewandte Pharmaforschung hat hingegen gute Erfahrungen mit der Protein-Kristallographie und mit Synchrotron-Strahllinien gemacht. Hans Widmer, Pharma-Forscher bei Novartis in Basel:

    Also ein Beispiel wäre Glivec, das ist ein Medikament gegen Leukämie, wo die Krankheit dadurch verursacht wird, dass ein Protein überaktiv ist, und man möchte diese Aktivität hemmen. Und Glivec wirkt so, dass es wie ein Keil in dieses Protein hineingeht und damit die Funktion dieses Proteins hemmt.

    Dazu mussten die Forscher aber erst einmal wissen, wo genau in der komplexen Struktur des Proteins der Wirkstoff ansetzen soll, um die hemmende Wirkung zu erzielen. Eine Analyse des Proteins mit einer Synchrotron-Strahlenquelle brachte die notwendigen Erkenntnisse. Die neue Schweizer Strahllinie unterscheidet sich von älteren Anlagen vor allem durch jenen Wert, den die Experten "Brillanz" nennen. Das entspricht, vereinfacht gesagt, der Helligkeit der Strahlquelle. Die neue Anlage kommt auf eine Brillanz, die zehn hoch 17 Mal über der eines herkömmlichen Röntgengerätes liegt; das ist eine zehn mit 17 Nullen. Je höher die Brillanz, desto höher die Schärfe des dreidimensionalen Molekülmusters. Nicht zuletzt dieser Spitzenwert, der erheblich über der Leistung vergleichbarer deutscher Anlagen wie beispielsweise DESY in Hamburg liegt, war für die deutsche Max-Planck-Gesellschaft ein wesentlicher Grund, sich an der Entwicklung finanziell zu beteiligen - das sichert für die kommenden Jahre Nutzungsrechte.