"Tesla kommt nach Grünheide. Berlin, Brandenburg, Grünheide werden in einem Atemzug genannt, wie Shanghai und Nevada. Hier kommt der Größenwahn durch. Wir verlieren unsere Lebensräume. Wir verlieren unsere Identität."
Die Stimmung im brandenburgischen Grünheide am südöstlichen Stadtrand von Berlin ist gereizt. Der US-Elektroautohersteller Tesla will dort – in einer waldreichen Gegend, umgeben von Seen, am Rand des idyllischen Berliner Urstromtals – seine erste Autofabrik in Europa bauen.[*] Nach der anfänglichen Euphorie kippt die Stimmung. Die Menschen sind verunsichert, besorgt - und protestieren gegen die Industrieansiedlung. Ursprünglich hatte man am Samstag mit 50 bis 100 Demonstranten gerechnet, gekommen sind etwa 250 Menschen. Mehr als das Doppelte.
Aufgeheizte Stimmung
"Wir machen uns Sorgen, um unser Grundwasser, um unser Wasser überhaupt. Ist alles nicht geklärt. Ist alles unausgegoren und meinen, geht gar nicht….und warum macht man das nicht in der Lausitz, wo keine Flächen abgeholzt werden müssen… Arbeitslose gibt’s dort jede Menge.
"Man muss Industrie-Strukturen schaffen, klar. Mir geht’s um die Verfahrensweise. Der Öffentlichkeit wird nur häppchenweise erzählt, was passieren soll."
"Geheim verhandelt – Umwelt verschandelt" oder "Trinkwasser statt Tesla" steht auf Protest-Plakaten, die Menschen haben Trillerpfeifen im Mund. Die Stimmung ist aufgeheizt.
Für mächtige Irritationen sorgt der immense Wasserverbrauch, den der US-Autobauer für sein Autowerk in Grünheide angemeldet hat. Es ist die Rede - laut Projektbeschreibung - von einem jährlichen Wasserverbrauch, der am Ende dem Bedarf einer 60.000 Einwohner großen Stadt entspreche. Das passe nicht mit der problematischen Wassersituation vor Ort zusammen, sagen die Anwohner. Zudem sei die Gegend ein Wasserschutzgebiet. Und: Die Region sei massiv von Austrocknung betroffen. Im letzten Jahr wurde man schon - wegen des Wassermangels - zum sparsamen Umgang mit Wasser aufgefordert, erzählt Frank Gersdorf, Vertriebsmitarbeiter und Organisator der Tesla-kritischen und wie er betont - parteiübergreifenden - Proteste in Grünheide.
"Elektroautos kann man produzieren, aber der Standort in einem Wasserschutzgebiet ist der denkbar ungünstigste." Daher sei Grünheide im Landkreis Oder-Spree völlig ungeeignet, sagt der 55-Jährige Gersdorf.
"Wir blockieren keine Fortschritte, nur an diesen Ort passt die Autofabrik nicht hin."
Bis zu 8.000 Arbeitsplätze
Die Menschen fühlen sich vor den Kopf gestoßen, sagt Gersdorf noch. Auch weil die Öffentlichkeit erst dann von dem Projekt erfahren habe, als alles schon in trocknen Tüchern war, wie sie sagen.
2021 sollen in Grünheide die ersten Autos vom Band rollen. Experten gehen davon aus, dass bis zu 8.000 gut bezahlte Industriearbeitsplätze direkt vor Ort entstehen. Brandenburgs SPD-Wirtschaftsminister Jörg Steinbach kann mit den Protesten daher wenig anfangen. In der "Märkischen Oderzeitung" moniert er die Skepsis, die Brandenburgs Wirtschaftskraft gefährden könne. Ähnlich sieht es sein Kollege, der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Helmut Barthel.
"Wenn ich mir jetzt in Grünheide angucke, wie groß das Protestpotential vor Ort ist, sollte man das durchaus ernst nehmen, aber man sollte es nicht überbewerten."
Grünheide ist gespalten. Denn während auf dem Marktplatz die Kritiker demonstrieren, versammelten sich am Samstag am anderen Ende des Ortes die Befürworter. Sie nennen sich "Grünheide für Future" und "Gestalten statt verhindern". Zu deren Kundgebung sind 30, 40 Leute gekommen. Wer will, dass in Zukunft in Grünheide noch Menschen leben, der müsse das Autowerk unterstützen. Ohne Wenn und Aber, sagt Roland Gastell, ein Anwalt aus Berlin, der in Grünheide lebt.
"Weil es eine Riesenchance darstellt. Nicht nur für Grünheide und Berlin, sondern für ganz Deutschland. Das sollte man nicht zerreden."
Ein Informationsbüro im Auftrag von Tesla
Der Frieden in Grünheide: Er ist dahin, es kommt auch schon mal zu Wort-Scharmützeln, wenn sich Gegner und Befürworter begegnen. Und das wird jetzt künftig öfters passieren. Denn beide Seiten haben angekündigt, jetzt all-samstäglich durch den Ort zu marschieren.
Man hat den Eindruck, dass das dem US-Autobauer Tesla nicht gefällt. Weshalb das Unternehmen nun in die Offensive geht und vergangenen Donnerstag ein Informationsbüro in einem kleinen Ladenlokal eröffnet hat. Mit dem Makel, dass keiner der öffentlichkeitsscheuen Tesla-Verantwortlichen vor Ort war.
Reporter: "Ich hätte gern jemand von Tesla gesprochen…
Mitarbeiterin: "Niemand da."
Reporter: "Wieso?"
Mitarbeiterin: "Wir sind von Tesla beauftragt, aber Tesla ist nicht hier. Wir sind nur im Auftrag von Tesla da."
Das werde sich in Zukunft auch nicht ändern, sagt die Anfang 30-Jährige Lilian Stein noch. Eine zugewandte und charmante Frau, ausgebildet in Sachen Umweltkommunikation. Sie könne jedoch versichern, ergänzt sie, dass jeder, der ins Büro komme, auch eine Antwort auf seine Fragen erhalte. Wenn nicht sofort, dann zumindest so schnell wie möglich.
Bürger fordern Antworten von Tesla
Die besorgten Anwohner sind enttäuscht. Zu gern hätten sie mit den Tesla-Verantwortlichen persönlich gesprochen. Denn Blockierer – sagen sie immer wieder – Blockierer wollen viele der Grünheider nicht sein. Sie möchten eben nur ein paar Antworten haben, auf ein paar konkrete Fragen, wie sie sagen.
"Wir wurden ausschließlich auf die Unterlagen der Umweltverträglichkeitsprüfung verwiesen, die jetzt im Rathaus ausliegen. Mehr konnten uns die Mitarbeiter hier auch nicht sagen."
Für die Brandenburger Landesregierung ist die Ansiedlung des US- Elektroautoherstellers Chefsache. Bedenken, dass Brandenburg des Öfteren in der Vergangenheit Großprojekte bzw. Industrieansiedlungen in den Sand gesetzt habe, von derlei Unkenrufen will SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke nichts hören.
"Da muss man draus lernen, man muss besser werden. Vor allen Dingen ist es ganz entscheidend, dass die Kräfte auf dieses Projekt konzentriert werden. Auch in den Ministerien, dass man nicht einfach sagt, ich gebe das einfach weiter und irgendwann wird schon was passieren. Also wir brauchen jetzt Druck, brauchen Engagement. Aber ich sehe das bei den handelnden Personen. Einen besseren Start für diese Landesregierung hätte es nicht geben können. Und alle können gleich beweisen, dass sie gut sind."
[*] Wir haben den Text leicht geändert, um deutlich zu machen, dass es die Firma Tesla ist, die in Europa ihre erste Autofabrik baut.