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Proteste in Rumänien
Vom Hörsaal auf die Protestmeile

Über zwei Wochen halten in Rumänien die Massenproteste gegen die Regierung an. Auch viele Studierende gehen auf die Straße. Sie fordern zwar wie alle anderen den Rücktritt der Regierung, die bei Nacht und Nebel korrupte Politiker amnestieren wollte. Aber viele hoffen auch auf Verbesserungen an den Unis.

Von Thomas Wagner | 13.02.2017
    Das Bild zeigt Hunderttausende Menschen, die am Abend des 05.02.2017 vor dem Parlamentspalast in der rumänischen Hauptstadt Bukarest gegen die sozialliberale Regierung demonstrieren. Es ist bereits dunkel, aber die von obenen gesehenen Massen sind angeleuchtet.
    Demonstrationen vor dem Parlamentspalast in der rumänischen Hauptstadt Bukarest. (dpa-bildfunk / AP / Darko Bandic)
    "Nu cetem si resitem." - zu deutsch: "Wir geben nicht auf, wir leisten weiter Widerstand." Abend für Abend die gleichen Sprechchöre in den großen rumänischen Städten.
    "Klar, ich hab da auch mitgemacht", sagt Radu Trubuika, der an der Universitatae de West Timisoara Physik studiert. Bei den Demos trifft er dieser Tage auf auffallend viele Kommilitonen.
    "Wir Studierende müssen zusammenhalten, dafür wird es höchste Zeit. Wir müssen unsere Interessen vertreten, über Fakultätsgrenzen hinweg. Wir müssen uns über Facebook zusammentun, über die Massenmedien. Wir müssen eine richtige Bewegung werden, ein starker Zusammenschluss der Studierenden."
    Denn so sehr die Demonstrierenden allabendlich für den Rücktritt der Regierung und gegen die Rücknahme der geplanten Amtsmissbrauchsamnestie auf die Straße gehen, so sehr brennt es vielen Studierenden auf den Nägeln, dass sich etwas verbessert an den Unis, betont Radu Trubuika:
    "Unsere Lehrmaterialien, unsere Ausstattung, unsere Uni-Labore müssten endlich mal an die Jetzt-Zeit angepasst werden. Wir arbeiten bislang noch mit uraltem Zeug. Und dann unsere Inhalte: Vieles, was wir an der Uni lernen, braucht man in den Fächern heute gar nicht mehr. Vieles von dem, was da noch auf den Vorlesungsplänen steht, ist heute längst nicht mehr möglich."
    Seminare wie vor Jahrzehnten
    Selbstständiges Erarbeiten von Wissen, Gruppen-Workshops - Fehlanzeige an vielen rumänischen Unis: Viele Vorlesungen und Seminare laufen von der Form noch so ab wie vor Jahrzehnten. Und dann gibt es da noch ein Thema, das längst noch nicht ganz gelöst ist:
    "Korruption? Natürlich, das gibt es leider noch, auch, wenn mir selber jetzt grade kein konkreter Fall bekannt ist."
    Dragos Samoila-Miruta arbeitet in der Studierendenorganisation Osut mit, legt aber auf eine Feststellung wert: War es noch vor Jahren gang und gebe, für gute Noten cash zu bezahlen oder in der subtileren Form die überteuerten Bücher eines Professors zu kaufen, so ist dies heute, zumindest an den staatlichen Unis, eher selten. Allerdings: An manchen der privaten Unis spiele Geld immer noch eine wichtigere Rolle als Wissen bei der Erteilung von Diplomen.
    "Da gibt es durchaus regelrechte Diplomfabriken unter den privaten Unis."
    Hoffnung auf eine bessere Zukunft
    Trotz der Probleme an den Hochschulen und im Land waren die meisten Studierenden bisher wenig politisch engagiert, sagt Renatte Loredana, die im dritten Semester an der West-Universität Temeswar Psychologie studiert.
    "Aber jetzt ist das anders: Viele Studierende sind zu den Protesten gegangen, auch ich war dabei. Aber noch wissen wir nicht, ob das zu irgendetwas führen wird."
    Inständig hoffen Renatte Loredena und viele weitere Studierende in Rumänien jetzt auf Verbesserungen, in ihrem eigenen Interesse und auch im Interesse ihres Landes. Denn viele Uni-Absolventen verabschiedeten sich in den vergangenen Jahren ins Ausland, weil sie zuhause, in Rumänien, keine Zukunftsperspektive sahen - ein, so sieht es Renatte Loredana, häufig erzwungener, unfreiwilliger Abschied von der Heimat:
    "Mein größer Wunsch wäre es, in meinem Land bleiben zu können. Allerdings: Ich studiere Psychologie. Und dafür gibt es hier einfach keine Arbeitsplätze in ausreichender Zahl. Und was sollen wir denn machen, wenn wir hier keine Zukunftsmöglichkeiten haben? Dann müssen wir eben fortgehen."