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Prozess um Mafia-Morde in Duisburg beginnt

Im August 2007 wurden in einem Duisburger Restaurant sechs Männer ermordet. Das Restaurant war nur der entfernte Schauplatz einer alten Fehde zweier 'Ndrangheta-Mafia-Clans im idyllisch gelegenen San Luca. Dort herrscht angesichts des heutigen Prozessbeginns angespannte Ruhe.

Von Karl Hofmann | 11.07.2011
    Buonamico, guter Freund, heißt der wilde Gebirgsfluss, der am Santuario der Madonna di Polsi vorbeiführt. Einen guten Freund könnte Wächter Paolo wohl gebrauchen. Denn außer ihm gibt es keine einzige Menschenseele weit und breit. Verlassen liegen das Kloster und die kleine Kirche inmitten der unzugänglichen Berglandschaft des Aspromonte.

    "Früher wohnten hier Familien , es gab sogar ein Postamt und einen Telegrafen. Zum großen Fest müssen Sie kommen, das ist am 2. September."

    Geschützt von der vieltausendköpfigen Menge der Wallfahrer treffen sich an diesem Tag hier auch die Bosse der ''Ndrangheta, weiß Staatsanwalt Nicola Gratteri:

    "San Luca ist die Mamma, der wichtigste Ort für die 'Ndrangheta. Jedes Jahr, am 2. September, kommen hier ihre Vertreter aus aller Welt zusammen , um den Capo Crimine, das Oberhaupt, zu bestimmen. Der Chef des Verbrechens ist derjenige, der die Regeln, die zwölf geheimen Tafeln der 'Ndrangheta, hütet und der über die Unternehmen der Organisation entscheidet."

    Zum Leidwesen von Bürgermeister Sebastiano Giorgi, auch dies ein Name, den in der seit Jahrhunderten verschwägerten Gemeinschaft von San Luca gleichzeitig auch ein Mafiaclan trägt:

    "San Luca besteht nicht nur aus der 'Ndrangheta. Die Leute am Ort arbeiten fleißig, sind anständig und bemühen jeden Tag aufs Neue, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu vermitteln, eine Zukunft ohne 'Ndrangheta."

    In dem Plastikschwimmbecken auf der sonnenüberfluteten Terrasse auf der Hofseite spielt vergnügt ein knappes Dutzend Kinder. Sie gehören zur Familie Strangio. Ihre Väter sind alle im Gefängnis. Zusammen mit dem Onkel Francesco werden sie der Teilnahme am Blutbad von Duisburg im August 2007 beschuldigt. Dabei sind sie alle unschuldig, sagt Giovannis ältere Schwester, Aurelia Strangio:

    "Die Tat von Duisburg hat viel Staub aufgewirbelt und betrifft zwei unterschiedliche Länder, deshalb ist es ein politischer Fall geworden. Hier geht es längst nicht mehr nur darum, dass fünf, sechs Personen umgebracht wurden, sondern dass man beweisen kann, wie gut der Staat in Italien funktioniert. Und die wirklich Schuldigen zu finden, interessiert niemanden."
    Das Verfahren hätte in Deutschland stattfinden sollen, dort wäre es mangels Beweisen gar nicht erst zur Anklage gegen ihren Bruder gekommen.

    "Sogar die Polizei in Deutschland hat gesagt, Giovanni sei ein sehr höflicher Junge. Alle haben sie nur Gutes über ihn gesagt."

    Die Anklage sei lückenhaft. Versteckt hätten sich die Männer aus Angst vor der ungerechten Mordanklage. Staatsanwalt Nicola Gratteri glaubt dagegen, dass seine Beweise für eine lebenslange Haftstrafe der acht Angeklagten ausreichen. Dass die Mafia im Falle einer Verurteilung noch wütender werden könnte, ficht ihn nicht an:

    "Ich habe seit 1989 Leibwächter. Und die Gefahr nimmt ständig zu. Aber ich kann mich nicht mehr meiner Aufgabe entziehen. Ich würde mich sonst als Feigling fühlen."

    In San Luca herrscht gespannte Erwartung. Und einvernehmliches Schweigen. Ortspriester Don Pino hält sich in ausgewogener Distanz.

    "Bis zum Urteil gilt es Respekt zu haben vor den Richtern, damit sie unbeeinflusst entscheiden können. Auch gegenüber den Familien, die das Urteil betreffen wird."

    Dabei schwingt wohl auch die Sorge mit, dass nach dem Urteil in San Luca wieder ein Krieg zwischen den Clans ausbrechen könnte.