"Niemand, der einen Fuß in die Frankfurter City setzte, entkam dem vielfach hinausgeschrienen "Es geht voran!". Immer unter meinem Fenster in der Frankfurter Rundschau vorbei, schallte es bei Demos ohrenbetäubend durch die Hochhausschluchten."
Mittendrin im Frankfurter Häuserkampf der 80er Jahre: ein junger Mann in Flohmarktkleidung. Er hat die Schule abgebrochen und arbeitet als Verkäufer im "Karl-Marx-Antiquariat". Aber er hat das gewisse Etwas:
"Als er auf der Bildfläche erschien, ist er der, auf den wir lange gewartet hatten. Joschka Fischer ist 35 Jahre. Er ist ein toller Hecht, er ist eine Lusche. Er ist cool, er ist uncool. Er ist radikal, er ist spießig. Er ist mutig, er ist feige. Er ist treu, er ist treulos. Er ist gerissen, er ist einfältig. Er ist zum Knuddeln, er ist zum Davonlaufen. Er kräht, wie der stärkste Hahn auf dem Hof. Er hatte uns gerade noch gefehlt. Er war unser Mann."
Als Joschka Fischer in der Frankfurter Sponti-Szene der 70er und 80er Jahre aktiv ist, ahnt niemand, dass aus der lokalen Berühmtheit im Schatten von Daniel Cohn-Bendit einmal ein Vizekanzler werden wird.
"Mit dem Tempo eines Videoclips drängte er ins Pantheon der Unsterblichkeit. Für das Publikum war Fischer großes Kino, zu Beginn ein Roadmovie, am Ende Staatstheater."
Der Journalist Jürgen Schreiber lässt diesen ganzen Weg Revue passieren. Er kannte Joschka Fischer lange. Sie waren keine Freunde, aber zu Beginn verbanden sie grüne Werte. Fischer vertritt sie als Parteikämpfer, Schreiber als Reporter für Horst Sterns Zeitschrift "natur".
Gleich vorweg: Das Buch "Meine Jahre mit Joschka" ist keine Biographie, nicht einmal annähernd.
"Ich habe, wenn Sie so wollen, eine lang gestreckte literarische Reportage geschrieben. Es ging mir mehr auch um ein Generationenbuch. Ich wollte also versuchen, die Stimmung und die Gefühle des Aufbruchs in den 80ger Jahren einzufangen."
Als die Grünen 1983 erstmals in den Bundestag einziehen, ist diese Aufbruchstimmung greifbar.
"Das war damals eine unglaublich aufregende Situation, der erste Einzug der Grünen in den Bundestag. Die sind ja von der Stadtmitte raus gelaufen ins Regierungsviertel, das war ja mehr so ein Umzug, um auf das Waldsterben aufmerksam zu machen, da haben sie Nadelbäume mitgetragen. Um auf die globalen Probleme aufmerksam zu machen, rollten sie einen Globus durch die Straßen. Das gab's Musik dazu. So was hatte Bonn ja noch nicht erlebt. ( ... ) Und für uns, die wir als Reporter offen waren für solche Dinge, war das natürlich aufregend, weil es wirklich so aussah, als würde - wie die Grünen das damals genannt haben - der Bundestag wirklich instand besetzt, das war ja der Begriff dafür."
Die Grünen verstanden sich damals als parlamentarischer Arm der Bewegung, sie wollten den Verteidigungshaushalt kürzen, und dann die Bundeswehr ganz abschaffen. Das waren Die Grünen einer Petra Kelly und eines Joseph Beuys. Aber Joschka Fischer wurde Fraktionsgeschäftsführer, saß im Managerstuhl mit den Füßen auf dem Tisch.
"Mir selber war er zu berufsjugendlich. Ich hatte eigentlich grundsätzlich was gegen Berufjugendliche. Der Fischer war für die Kleidung eigentlich zu alt und für die Sprüche, die er draufhatte, war er eigentlich auch zu alt. Aber so hat er sich natürlich schnell da in Bonn einen Namen gemacht und rückblickend kann man auch sagen: das war eine ziemlich gute Strategie."
Originalton Fischer:
"Ich wünsche gar nichts, ich wünsche Ihnen einen guten Tag, das ist das einzige, was ich wünsche, und jetzt gehe ich nach Hause."
Fischers aggressive, oft unwillige Art hat sich Schreiber zufolge über die Jahre nicht verändert.
Originalton Fischer, Vereidigung als hessischer Umweltminister:
"Ich schwöre ... .(nachgesprochen) Ich schwöre, dass ich das mir übertragene Amt unparteiisch nach bestem Wissen und Können verwalten sowie Verfassung und Gesetz in demokratischem Geiste befolgen und verteidigen werde."
1985 wird Joschka Fischer Umweltminister in Hessen. Seine Vereidigung in Turnschuhen ist legendär.
"Zum Schuhkauf ging ich mit. Wenn mich nicht alles täuscht, sind wir am Vortag unweit des Landtags im Sportgeschäft fündig geworden. Ein kurzfristiger Termin mit viel weniger Leuten, als dabei gewesen sein wollen. Er zahlte die 149 Mark per Scheck, musste sich aber nicht ausweisen. Das gab's noch nie. Kreditwürdigkeit war ein starkes Indiz für die Ankunft in der Gesellschaft, von Joschka freudig quittiert."
Der Kern der grünen Forderungen damals: der Rückbau der Startbahn West. Kurz darauf war Fischer qua Amt im Aufsichtsrat des Flughafens. Ankunft auch in der politischen Realität, konstatiert Autor Jürgen Schreiber.
"Als man sich besser kannte, fehlte im Geplänkel, halb Spaß, halb Ernst, nie Joschkas auf Dauer enervierende Anpflaumerei: "Du bist ein Fundi!". Wer ihm nicht hundert Pro ergeben war, fiel unweigerlich in diese Kategorie."
Bundestagswahl im September 1998, die rot-grüne Mehrheit steht. Schreiber erinnert sich daran, wie am Wahlabend eine kleine Gruppe von Grünen zu Fuß nach Bonn-Beuel geht. Für ihn eine Szene, die die Grünen veränderte.
"Dürfte man die Szene mit Musik unterlegen, müsste im Hintergrund unbedingt Fischers geliebtes 'The Times, They Are A-Changing' von Bob Dylan anschwellen."
"Ich bin denen dann über diese Brücke von Beuel aus entgegengelaufen. Und da kamen die dann alle an in diesen schwarzen Anzügen und dunklen Hemden, wie sich das halt auch so eingebürgert hatte. ( ... ) Alle wollten im Grunde aussehen wie Künstler und so kaschieren, dass sie jetzt wirklich ganz ganz normale Politiker geworden waren, die eigentlich gar keine Fantasie mehr entwickelten dann."
Als Joschka die alten Turnschuhe wieder auspackt und laufend abspeckt, sieht Schreiber das weniger als Zeichen von Selbstdisziplin denn als Kompensation.
"Mehr als ihm bewusst gewesen sein dürfte, trug seine Schinderei Züge einer Ersatzhandlung. Die Politik des dauernden Krisenmanagements bot kaum Erfolgserlebnisse. ( ... ) Sein folgender Bestseller hieß 'Mein langer Lauf zu mir selbst'. Treffender wäre 'Mein langer Lauf weg von mir selbst'."
Origianlton Fischer:
"Was macht in einem Satz einen Außenminister? Wir, nicht Pluralis Majestatis, sondern wir alle sorgen dafür, nicht allein, aber ganz entscheidend, dass die Deutschen an 365 Tagen im Jahr gut schlafen können."
Joschka Fischer ist jetzt Außenminister des Staates, den er früher abschaffen wollte. Schreiber konfrontiert den Leser mit dieser Entwicklung besonders eindrucksvoll, wenn er den Terrorismus-Prozess gegen Hans-Joachim Klein im Jahr 2000 beschreibt. Fischer sagt in der Verhandlung gegen den ehemaligen Kampfgefährten als Zeuge aus. Wenig später veröffentlicht Schreiber im Tagesspiegel ein Foto, das den jugendlichen Fischer vermummt beim Angriff auf einen Polizisten zeigt
"Diese Geschichte mit seiner Vergangenheit, die ist ja Gegenstand der Gerichtsverhandlung gegen den Terroristen Klein in Frankfurt gewesen. Das war sozusagen unausweichlich. Es war nur die Frage, wer traut sich zuerst. Und es hat andere Zeitungen gegeben, die kannten das Bild genauso, wie ich's gekannt hatte, weil's ja nun von einem Zuschauer aus dem Saal den Journalisten damals gezeigt wurde und ich hab dann dieses Foto mitgenommen, bin zur Überprüfung sofort ins Stadtarchiv Frankfurt gerannt und siehe da: tatsächlich hat es diese Broschüre mit dem bewussten Foto gegeben. Und wir haben das dann ganz sorgfältig alles überprüft. Ich habe Spontis in ganz Europa besucht, die mir das bestätigen, obwohl ich meinen Fischer natürlich auf diesem Foto erkannt habe. Aber das reicht ja nicht, wenn man einen Vizekanzler angreift."
Fischer selbst ist zu dieser Zeit in Afrika und lässt ausrichten, er verhalte sich dazu nicht. Für seine Recherchen erhielt Jürgen Schreiber den "Wächterpreis" der Tagespresse. Ist das Buch "Meine Jahre mit Joschka" auch eine bittere Abrechnung mit dem ehemaligen Weggefährten?
"Mein Buch ist überhaupt nicht bitter. Das nun doch ganz bestimmt nicht. Mein Buch hat einen melancholischen Grundton und das ist zum Teil auch wahnsinnig komisch, weil's halt so ganz tiefe Einblicke gibt in diesen Szene-Alltag, aus dem der Fischer ja kommt. ( ... ) Diese WG-Kultur und diese Dinge, das hat man ja alles vergessen, mittlerweile."
Schreibers Buch ist assoziativ, es erzählt seine Geschichten nicht chronologisch. Was wie eine Anekdote beginnt, lässt häufig die Pointe vermissen. Und das Buch bleibt nicht bei Joschka Fischer. Es enthält auch Kapitel über Joseph Beuys oder Rezzo Schlauch. Aber gerade deshalb ist es lohneswert für alle, die sich erinnern möchten.
"2006 spielen die Punk-Veteranen von "Fehlfarben" den Hit "Es geht voran" beim comeback auf ihrer Jubiläumsplatte neu ein. Zum Protest gegen den weiteren Ausbau des Frankfurter Flughafens zählt man tausend Demonstranten, nicht mehr hundertfünzigtausend."
Die Zeiten haben sich geändert. Und wie das geschah, das ist in diesen Buch ebenso poetisch wie unterhaltsam nachzulesen.
Jürgen Schreiber: Meine Jahre mit Joschka. Nachrichten von fetten und mageren Zeiten.
Econ Verlag Düsseldorf 2007. 205 Seiten, EUR 19,90
Mittendrin im Frankfurter Häuserkampf der 80er Jahre: ein junger Mann in Flohmarktkleidung. Er hat die Schule abgebrochen und arbeitet als Verkäufer im "Karl-Marx-Antiquariat". Aber er hat das gewisse Etwas:
"Als er auf der Bildfläche erschien, ist er der, auf den wir lange gewartet hatten. Joschka Fischer ist 35 Jahre. Er ist ein toller Hecht, er ist eine Lusche. Er ist cool, er ist uncool. Er ist radikal, er ist spießig. Er ist mutig, er ist feige. Er ist treu, er ist treulos. Er ist gerissen, er ist einfältig. Er ist zum Knuddeln, er ist zum Davonlaufen. Er kräht, wie der stärkste Hahn auf dem Hof. Er hatte uns gerade noch gefehlt. Er war unser Mann."
Als Joschka Fischer in der Frankfurter Sponti-Szene der 70er und 80er Jahre aktiv ist, ahnt niemand, dass aus der lokalen Berühmtheit im Schatten von Daniel Cohn-Bendit einmal ein Vizekanzler werden wird.
"Mit dem Tempo eines Videoclips drängte er ins Pantheon der Unsterblichkeit. Für das Publikum war Fischer großes Kino, zu Beginn ein Roadmovie, am Ende Staatstheater."
Der Journalist Jürgen Schreiber lässt diesen ganzen Weg Revue passieren. Er kannte Joschka Fischer lange. Sie waren keine Freunde, aber zu Beginn verbanden sie grüne Werte. Fischer vertritt sie als Parteikämpfer, Schreiber als Reporter für Horst Sterns Zeitschrift "natur".
Gleich vorweg: Das Buch "Meine Jahre mit Joschka" ist keine Biographie, nicht einmal annähernd.
"Ich habe, wenn Sie so wollen, eine lang gestreckte literarische Reportage geschrieben. Es ging mir mehr auch um ein Generationenbuch. Ich wollte also versuchen, die Stimmung und die Gefühle des Aufbruchs in den 80ger Jahren einzufangen."
Als die Grünen 1983 erstmals in den Bundestag einziehen, ist diese Aufbruchstimmung greifbar.
"Das war damals eine unglaublich aufregende Situation, der erste Einzug der Grünen in den Bundestag. Die sind ja von der Stadtmitte raus gelaufen ins Regierungsviertel, das war ja mehr so ein Umzug, um auf das Waldsterben aufmerksam zu machen, da haben sie Nadelbäume mitgetragen. Um auf die globalen Probleme aufmerksam zu machen, rollten sie einen Globus durch die Straßen. Das gab's Musik dazu. So was hatte Bonn ja noch nicht erlebt. ( ... ) Und für uns, die wir als Reporter offen waren für solche Dinge, war das natürlich aufregend, weil es wirklich so aussah, als würde - wie die Grünen das damals genannt haben - der Bundestag wirklich instand besetzt, das war ja der Begriff dafür."
Die Grünen verstanden sich damals als parlamentarischer Arm der Bewegung, sie wollten den Verteidigungshaushalt kürzen, und dann die Bundeswehr ganz abschaffen. Das waren Die Grünen einer Petra Kelly und eines Joseph Beuys. Aber Joschka Fischer wurde Fraktionsgeschäftsführer, saß im Managerstuhl mit den Füßen auf dem Tisch.
"Mir selber war er zu berufsjugendlich. Ich hatte eigentlich grundsätzlich was gegen Berufjugendliche. Der Fischer war für die Kleidung eigentlich zu alt und für die Sprüche, die er draufhatte, war er eigentlich auch zu alt. Aber so hat er sich natürlich schnell da in Bonn einen Namen gemacht und rückblickend kann man auch sagen: das war eine ziemlich gute Strategie."
Originalton Fischer:
"Ich wünsche gar nichts, ich wünsche Ihnen einen guten Tag, das ist das einzige, was ich wünsche, und jetzt gehe ich nach Hause."
Fischers aggressive, oft unwillige Art hat sich Schreiber zufolge über die Jahre nicht verändert.
Originalton Fischer, Vereidigung als hessischer Umweltminister:
"Ich schwöre ... .(nachgesprochen) Ich schwöre, dass ich das mir übertragene Amt unparteiisch nach bestem Wissen und Können verwalten sowie Verfassung und Gesetz in demokratischem Geiste befolgen und verteidigen werde."
1985 wird Joschka Fischer Umweltminister in Hessen. Seine Vereidigung in Turnschuhen ist legendär.
"Zum Schuhkauf ging ich mit. Wenn mich nicht alles täuscht, sind wir am Vortag unweit des Landtags im Sportgeschäft fündig geworden. Ein kurzfristiger Termin mit viel weniger Leuten, als dabei gewesen sein wollen. Er zahlte die 149 Mark per Scheck, musste sich aber nicht ausweisen. Das gab's noch nie. Kreditwürdigkeit war ein starkes Indiz für die Ankunft in der Gesellschaft, von Joschka freudig quittiert."
Der Kern der grünen Forderungen damals: der Rückbau der Startbahn West. Kurz darauf war Fischer qua Amt im Aufsichtsrat des Flughafens. Ankunft auch in der politischen Realität, konstatiert Autor Jürgen Schreiber.
"Als man sich besser kannte, fehlte im Geplänkel, halb Spaß, halb Ernst, nie Joschkas auf Dauer enervierende Anpflaumerei: "Du bist ein Fundi!". Wer ihm nicht hundert Pro ergeben war, fiel unweigerlich in diese Kategorie."
Bundestagswahl im September 1998, die rot-grüne Mehrheit steht. Schreiber erinnert sich daran, wie am Wahlabend eine kleine Gruppe von Grünen zu Fuß nach Bonn-Beuel geht. Für ihn eine Szene, die die Grünen veränderte.
"Dürfte man die Szene mit Musik unterlegen, müsste im Hintergrund unbedingt Fischers geliebtes 'The Times, They Are A-Changing' von Bob Dylan anschwellen."
"Ich bin denen dann über diese Brücke von Beuel aus entgegengelaufen. Und da kamen die dann alle an in diesen schwarzen Anzügen und dunklen Hemden, wie sich das halt auch so eingebürgert hatte. ( ... ) Alle wollten im Grunde aussehen wie Künstler und so kaschieren, dass sie jetzt wirklich ganz ganz normale Politiker geworden waren, die eigentlich gar keine Fantasie mehr entwickelten dann."
Als Joschka die alten Turnschuhe wieder auspackt und laufend abspeckt, sieht Schreiber das weniger als Zeichen von Selbstdisziplin denn als Kompensation.
"Mehr als ihm bewusst gewesen sein dürfte, trug seine Schinderei Züge einer Ersatzhandlung. Die Politik des dauernden Krisenmanagements bot kaum Erfolgserlebnisse. ( ... ) Sein folgender Bestseller hieß 'Mein langer Lauf zu mir selbst'. Treffender wäre 'Mein langer Lauf weg von mir selbst'."
Origianlton Fischer:
"Was macht in einem Satz einen Außenminister? Wir, nicht Pluralis Majestatis, sondern wir alle sorgen dafür, nicht allein, aber ganz entscheidend, dass die Deutschen an 365 Tagen im Jahr gut schlafen können."
Joschka Fischer ist jetzt Außenminister des Staates, den er früher abschaffen wollte. Schreiber konfrontiert den Leser mit dieser Entwicklung besonders eindrucksvoll, wenn er den Terrorismus-Prozess gegen Hans-Joachim Klein im Jahr 2000 beschreibt. Fischer sagt in der Verhandlung gegen den ehemaligen Kampfgefährten als Zeuge aus. Wenig später veröffentlicht Schreiber im Tagesspiegel ein Foto, das den jugendlichen Fischer vermummt beim Angriff auf einen Polizisten zeigt
"Diese Geschichte mit seiner Vergangenheit, die ist ja Gegenstand der Gerichtsverhandlung gegen den Terroristen Klein in Frankfurt gewesen. Das war sozusagen unausweichlich. Es war nur die Frage, wer traut sich zuerst. Und es hat andere Zeitungen gegeben, die kannten das Bild genauso, wie ich's gekannt hatte, weil's ja nun von einem Zuschauer aus dem Saal den Journalisten damals gezeigt wurde und ich hab dann dieses Foto mitgenommen, bin zur Überprüfung sofort ins Stadtarchiv Frankfurt gerannt und siehe da: tatsächlich hat es diese Broschüre mit dem bewussten Foto gegeben. Und wir haben das dann ganz sorgfältig alles überprüft. Ich habe Spontis in ganz Europa besucht, die mir das bestätigen, obwohl ich meinen Fischer natürlich auf diesem Foto erkannt habe. Aber das reicht ja nicht, wenn man einen Vizekanzler angreift."
Fischer selbst ist zu dieser Zeit in Afrika und lässt ausrichten, er verhalte sich dazu nicht. Für seine Recherchen erhielt Jürgen Schreiber den "Wächterpreis" der Tagespresse. Ist das Buch "Meine Jahre mit Joschka" auch eine bittere Abrechnung mit dem ehemaligen Weggefährten?
"Mein Buch ist überhaupt nicht bitter. Das nun doch ganz bestimmt nicht. Mein Buch hat einen melancholischen Grundton und das ist zum Teil auch wahnsinnig komisch, weil's halt so ganz tiefe Einblicke gibt in diesen Szene-Alltag, aus dem der Fischer ja kommt. ( ... ) Diese WG-Kultur und diese Dinge, das hat man ja alles vergessen, mittlerweile."
Schreibers Buch ist assoziativ, es erzählt seine Geschichten nicht chronologisch. Was wie eine Anekdote beginnt, lässt häufig die Pointe vermissen. Und das Buch bleibt nicht bei Joschka Fischer. Es enthält auch Kapitel über Joseph Beuys oder Rezzo Schlauch. Aber gerade deshalb ist es lohneswert für alle, die sich erinnern möchten.
"2006 spielen die Punk-Veteranen von "Fehlfarben" den Hit "Es geht voran" beim comeback auf ihrer Jubiläumsplatte neu ein. Zum Protest gegen den weiteren Ausbau des Frankfurter Flughafens zählt man tausend Demonstranten, nicht mehr hundertfünzigtausend."
Die Zeiten haben sich geändert. Und wie das geschah, das ist in diesen Buch ebenso poetisch wie unterhaltsam nachzulesen.
Jürgen Schreiber: Meine Jahre mit Joschka. Nachrichten von fetten und mageren Zeiten.
Econ Verlag Düsseldorf 2007. 205 Seiten, EUR 19,90