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Psychotherapie im Dialog

Psychotherapeuten haben eine breite Palette von Methoden auf Lager. Doch sie dürfen nicht damit arbeiten. Das Therapeutengesetz beschränkt die Instrumentarien und legt klar fest: entweder Tiefenpsychologie oder Verhaltenstherapie. Mehr wird nicht bezahlt. Doch neuere Forschungen zeigen: diese Einschränkung ist kaum noch zeitgemäß. Letzte Woche war dies in Berlin Thema der Tagung 'Psychotherapie im Dialog'. Eingeladen hatten die Freie Universität und der Medizinverlag Thieme. Ihr Ziel: statt Grabenkämpfen verfeindeter Schulen soll das Wohl der Patienten wieder in den Mittelpunkt rücken.

William Vorsatz |
    Wer eine Psychotherapie beginnt, bekommt nicht unbedingt, was er wirklich braucht. Und auch später können Behandlung und Bedarf auseinander driften. Professor Wolfgang Senf, Direktor der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik in Essen:

    Mal ein Beispiel: Sie haben einen Patienten mit einer Brückenphobie? Und Sie fangen mit einer psychoanalytisch orientierten Therapie an. Und merken nach 20 Sitzungen, sie müssten eigentlich jetzt verhaltenstherapeutische Elemente einführen, dürfen sie das eigentlich nicht tun. Sie müssen erst die tiefenpsychologische Therapie zu Ende bringen, müssten dann offiziell zwei Jahre warten, und dürften dann wieder mit einer Verhaltenstherapie anfangen? Also was hier wie eine Karikatur klingt, ist leider eigentlich die Vorgabe.

    Noch vor einigen Jahren war die Situation ganz anders: die Krankenkassen erstatteten die Kosten für ein Sammelsurium an Therapien, neben den Medizinern profitierten auch die Psychologen. Folge: Nützliches wurde genauso bezahlt wie Umstrittenes. Die Ausgaben stiegen, ein neues Korsett musste her. Resultat der Verteilungskämpfe: nur die zwei etabliertesten Schulen sind übrig geblieben, Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie. Und die arbeiten bis heute auch noch eher gegen- als miteinander.

    ... und alles andere ist illegal so Professor Klaus Grawe, Psychotherapieforscher an der Universität Bern:

    Und dort ist ein Konfliktfeld. Weil die Psychotherapierichtlinien, diese gegenseitige Befruchtung und Vielfalt eher behindern als fördern. Dort gibt es einerseits Verbände, Funktionärsgruppen, Institutionen, die einer bestimmten Therapieschule verpflichtet sind, und ihr Wohlergehen daran gekoppelt sehen und auf der anderen Seite eben den Patienten mit seinem berechtigten Wusch nach der bestmöglichen Behandlung, und das wird nicht einfach entweder Verhaltenstherapie oder Psychoanalyse oder Gestalttherapie sein, sondern eine kreative Mixtur.

    Der Therapiealltag hinkt der Forschung hinterher. Kernspintomographen beispielsweise liefern neue Bilder vom arbeitenden Gehirn: Erkenntnisse darüber, wie unser Gedächtnis funktioniert und wie das Unbewusste uns steuert. Behandlungsmethoden, die noch vor ein paar Jahren als zu wenig erforscht galten, sind mittlerweile wissenschaftlich untermauert. Während Kliniken bereits einiges integrieren und auch abrechnen können, sind den Niedergelassenen die Hände gebunden. Die würden immer noch schwer operieren, wo eigentlich heutzutage ein minimal-invasiver Eingriff reiche, so die bildliche Klage des Mediziners Senf:

    Im Grunde genommen hat der Patient durchaus die Chance, in eine nicht angemessene Behandlung zu kommen. Also die Gefahr von Fehlbehandlungen nach heutigem Wissen ist durchaus gegeben.

    Und was kann der Patient tun, um dem zu entgehen? Sich vorab informieren. In den "Gelben Seiten" zum Beispiel nach "Psychotherapeuten" oder "Psychologischen Psychotherapeuten" suchen. Hinter diesen Bezeichnungen stecken nämlich staatlich reglementierte Zulassungen und entsprechende Ausbildungen. Anders der "Psychologe", ein ungeschützter Begriff. Und die Kassenärztliche Vereinigung beispielsweise oder der Psychotherapie-Informationsdienst PID in Bonn helfen telefonisch dabei, die richtigen Methoden zu finden. Beim Therapeuten schließlich sollte der Patient zunächst genau nachfragen. Das rät Dr. Steffen Flegel, Ausbildungsleiter der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie Münster:

    Denn eine Therapie kann ja über einen langen Zeitraum von ein zwei Jahren gehen, in dem Gespräch soll er sich über das Konzept informieren, über die Ziele, die der Therapeut mit ihm verfolgen könnte, über die Kosten, sollte sehr skeptisch sein, wenn es in der Wohnung des Therapeuten stattfindet, sollte sehr skeptisch sein, wenn der Therapeut eben nicht genau erklärt, wie seine therapeutische Arbeit läuft, und sollte sehr skeptisch sein, wenn der Therapeut grantig auf seine Fragen reagiert. Ein guter Therapeut ist bereit, transparent seine Arbeit darzustellen.

    Und auch später ist es für den Patienten wichtig, nicht Objekt, sondern Partner des Behandelnden zu sein.

    Ja, auch die Unzufriedenheit durchaus anzusprechen, denn manchmal resultiert ja eine Unzufriedenheit auch aus dem Problem heraus, weil man vielleicht andere Vorstellungen hat, und sich dann erklären lassen, woher möglicherweise das Stocken jetzt kommt, der Widerstand kommt, das ungute Gefühl kommt, und wenn man merkt, es ist wirklich das Verfahren, was nicht stimmig ist, dann auch den Therapeuten wechseln, das akzeptieren die Krankenkassen auch.

    Der Psychotherapie-Informationsdienst PID in Bonn hilft Ratsuchenden, einen Psychotherapeuten zu finden.

    Mo, Di, Do + Fr: 9-12 Mo + Do: 13-16 Uhr Tel: 0228-746699

    Beitrag als Real-Audio

    020910-Psychotherapie.ram