Archiv


Pulverfass Kurdistan

Die Spannungen im türkischen Kurdengebiet wachsen. Wiederholten Angriffen der kurdischen PKK-Rebellen, die sich in Nordirak verschanzt haben, begegnet die Türkei mit Militäreinsätzen im Grenzgebiet. Susanne Güsten berichtet.

    Die türkische Armee lässt die Panzer rollen - und zwar unmittelbar an der Grenze zum Irak, in der südostanatolischen Stadt Cizre. Schießübungen habe der Panzerverband auf dem Tagesplan gehabt, ließen die Militärs verlauten. Doch es war mehr als ein Routinemanöver, das da stattfand: Die türkische Armee wollte dem Nachbarn im Süden ihre Stärke demonstrieren. Weitere Truppenverbände aus dem Westen der Türkei werden derzeit ins Grenzgebiet zu Irak verlegt, wie türkische Medien berichten. Einzelne Eliteneinheiten sollen bereits zu ersten Kommandoaktionen die Grenze überschritten haben.

    Bereitet die Türkei einen Einmarsch in Nordirak vor? Gespannt wartet das Land auf einen Auftritt von Generalstabschef Yasar Büyükanit, der für heute eine seltene Pressekonferenz in Ankara angekündigt hat. Murat Yetkin, Bürochef der Zeitung "Radikal" in Ankara und einer der besten Kenner der türkischen Sicherheits- und Außenpolitik, geht davon aus, dass General Büyükanit beim Thema Irak Pflöcke einschlagen wird:

    "'"Es wird beim Briefing des Generalstabschefs voraussichtlich um genau dieses Thema gehen. Der Generalstabschef hat dazu ja schon mehrfach deutliche Warnungen ausgesprochen, zuletzt bei seinem Besuch in Washington. Es ist zu erwarten, dass er sich heute dazu äußert.""

    Ein Auslöser der Eskalation sind verstärkte Angriffe der Kurdenrebellen von der PKK, die sich in Nordirak verschanzt haben und nach dem Ende des harten Winters in den Bergen wieder auf türkischen Boden vordringen. Mehr als zwei Dutzend türkische Soldaten und Rebellen starben alleine in den vergangenen Tagen bei Kämpfen im türkischen Südosten. Zusätzlichen Zündstoff lieferten jetzt Äußerungen des nordirakischen Kurdenpolitikers Barzani im Streit um die erdölreiche Stadt Kirkuk in Nordirak. Die Türkei argwöhnt, dass die irakischen Kurden sich Kirkuk sichern wollen, um damit einen unabhängigen Kurdenstaat gründen zu können. Barzani, der Regionalpräsident des irakischen Kurdengebietes, weist den türkischen Einspruch dagegen als inakzeptabel zurück. Wenn sich die Türkei in Kirkuk einmische, dann werde er die türkischen Kurden gegen Ankara aufstacheln, sagte er kürzlich.

    Barzanis Worte schlugen in Ankara ein wie eine Bombe. Ministerpräsident Erdogan sagte, Barzani habe sich im Ton vergriffen und werde "einen hohen Preis" dafür zahlen. In einer formellen Protestnote an Irak erklärte die türkische Regierung, sie behalte sich das Recht vor, Soldaten nach Nordirak zu schicken. Auch der Nationale Sicherheitsrat der Türkei, der aus Regierung, Armee und Staatspräsident besteht, drohte in dieser Woche indirekt mit einem Einmarsch ins Nachbarland. Im türkischen Fernsehen las ein Sprecher den Zuschauern den Kernsatz aus der Erklärung des Sicherheitsrates vor:

    "Der Sicherheitsrat befasste sich mit den Maßnahmen, die Irak gegen die Terrorgefahr ergreifen muss, die unserem Land von Nordirak her droht. Nach der Protestnote, die der irakischen Regierung übermittelt wurde, beriet der Sicherheitsrat über die nächsten politischen, wirtschaftlichen und anderen Maßnahmen."

    "Andere Maßnahmen" - jedem in der Türkei ist klar, dass damit eine Militärintervention der Türken im Irak gemeint ist. Ankara gibt der irakischen Regierung nur noch wenige Wochen Zeit, um eine Militärintervention zu vermeiden. Was die Türkei von den Irakern erwartet, erläutert der Journalist Murat Yetkin:

    "Es gibt einige Maßnahmen, die die Iraker sofort ergreifen müssen. Diese wurden in der Protestnote genannt und auch von Außenminister Gül. Dazu gehört, dass die Iraker die PKK-nahe Partei in Irak verbieten und deren Vertretungen schließt und dass ein gemeinsamer Plan zur Terrorbekämpfung ausgearbeitet wird."

    Doch das reicht möglicherweise nicht mehr aus, um die Türkei zu besänftigen. Murat Yetkin glaubt, dass die irakische Regierung vor allem Kurdenpolitiker wie Barzani in die Schranken weisen muss, wenn weitere Spannungen abgewendet werden sollen.

    "Dass der irakische Staatschef Talabani nach Barzanis jüngsten Äußerungen sofort den türkischen Ministerpräsidenten anrief, um die Situation zu entschärfen, zeigt, dass Talabani die Realitäten sehr viel besser versteht als Barzani. Durch seine neuesten Äußerungen hat Barzani gezeigt, dass er das immer noch nicht verstanden hat. Vielleicht muss die Türkei noch ein, zwei Schritte weiter gehen, damit er es endlich begreift."