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Qual der Wahl

Bei den Präsidentschaftswahlen 2004 bescherten evangelikale Christen George Bush einen überraschenden Wahlsieg. Inzwischen sind viele bitter enttäuscht vom Präsidenten und seiner republikanischen Partei. Die Evangelikalen könnten bei den Kongresswahlen am Dienstag das Zünglein an der Waage sein.

Von Maya Dähne | 04.11.2006
    Sonntagmorgen, 9 Uhr. Gottesdienst in Potter’s House Church of God in Columbus, Ohio. Der Altarraum erinnert an eine riesige Turnhalle. Mehrere hundert Gläubige wiegen sich mit geschlossenen Augen im Takt der Musik. Mit dem Mikrofon in der linken und der Bibel in der rechten Hand predigt Gast-Pastor Steve Lorentz aus dem Alten Testament.

    Die simple Botschaft: Es gibt nur zwei Wege: den richtigen und den falschen - nicht nur in der Bibel sondern auch in der Politik. Bei den Präsidentschaftswahlen im November 2004 war für die Mehrheit der evangelikalen Christen klar, welche Partei auf dem richtigen Weg ist. 78 Prozent gaben den Republikanern und George Bush damals ihre Stimme, begeistert von öffentlichen Glaubensbekenntnissen und klaren Aussagen zu Abtreibung und Schwulenehe. Heute, zwei Jahre später, sind viele konservative Christen ernüchtert. Jerry Davis ist stellvertretender Pastor der Potter’s House Church of God.

    "Keine der beiden Parteien repräsentiert meine christlichen Überzeugungen. Die Republikaner könnten mehr für die Armen tun, und die Demokraten sind auf dem Holzweg in Sachen Abtreibung und Rechte für Homosexuelle."

    Auch Gemeindemitglied Carlos Roberson ist noch unentschlossen, wem er am Wahltag seine Stimme geben soll.

    "Ich bin ein Mann Gottes und glaube nicht an Republikaner oder Demokraten. Mich interessiert, wer von den Kandidaten eine persönliche Beziehung zu Gott hat."

    Roberson hat in den vergangenen Wochen diverse Wahlkampfveranstaltungen besucht und ernsthaft versucht, sich ein Bild von den Kandidaten zu machen. Das Schlimmste ist, sagt er, wenn Politiker, egal welcher Partei, lautstark und öffentlich mit ihrem Glauben hausieren gehen.

    "Die sollen mir bloß nicht mehr kommen mit ihrem Getue. Sie stehen da auf dem Podium, erzählen, wie oft sie beten und geben vor, eine Beziehung zu Gott zu haben - alles nur, um Wählerstimmen von Gläubigen einzufangen. Schluss damit!"

    Und es sind nicht nur Gemeindemitglieder an der Basis, die zunehmend unzufrieden sind mit der Politik. David Kuo war zweieinhalb Jahre lang Präsident Bushs Berater im Weißen Haus, zuständig für religiöse Wohltätigkeitsgruppen, die so genannten "Faith Based Initatives." Kuo fühlt sich und die Evangelikalen von den Republikanern missbraucht. Nützliche Idioten, Stimmvieh seien sie gewesen, sagt er.

    "Christen wurde weiß gemacht, dass George Bush nicht nur Präsident, sondern auch so eine Art Pastor der Nation ist. Das war eine ganz gezielte Taktik, die fatal ist. Denn wenn Menschen glauben, ihr Präsident ist ihr Priester, können sie ihm gegenüber nicht mehr kritisch, objektiv oder unabhängig sein."

    David Kuo, selbst streng gläubiger Christ, geht in seinem gerade erschienen Buch "Tempting Faith" vor allem mit Bushs Wahlkampfstrategen hart ins Gericht. Sie wüssten ganz genau, dass konservative Christen nicht nur politisch wichtig, sondern vor allem sehr einfach zu manipulieren seien, so Kuo.

    "Christen vertrauen ihrem christlichen Präsidenten beinahe blind. Das gilt nicht nur für die prominenten Anführer der Evangelikalen, sondern vor allem für die christlichen Mütter und Väter an der Basis. George W. Bush kann einfach nichts verkehrt machen."

    Acht Milliarden Dollar hatte Bush den unterschiedlichsten Wohltätigkeitsgruppen 2004 versprochen und im Gegenzug die Stimmen vieler Christen bekommen. Eingelöst hat der Präsident bis heute nur wenig von seinen Versprechen. Im Grunde sei es auch nie ernsthaft um die Anliegen der Evangelikalen gegangen, kritisiert der ehemalige Bush-Vertraute und gottesfürchtige Christ Kuo und ruft zum Kreuzzug auf. Evangelikale Christen sollten eine Art politische Fastenkur machen, fordert er.

    "Inzwischen sind Evangelikale bereits so sehr in die Politik verstrickt, dass George W. Bush und Jesus untrennbar zu sein scheinen. Ich glaube es wäre an der Zeit, sich für eine Weile aus der Politik zurückzuziehen und sich um die wirklich Bedürftigen, die Armen zu kümmern."

    Solche Forderungen sind vor allem eins: Eine willkommene Wahlkampfhilfe für die Demokraten. Entweder enttäuschte konservative Christen bleiben diesmal tatsächlich zu Hause, oder sie wählen demokratisch, so die Hoffnung. Erstmals gehen demokratische Kandidaten gezielt auf Stimmenfang bei traditionell konservativen Christen, sagt Michael Cromartie, Vizepräsident des Ethics and Public Policy Center in Washington.

    "Demokratische Wahlkampfstrategen haben plötzlich festgestellt: Oh Gott, unsere Partei muss die religiösen Wähler ansprechen. Also fangen sie an, eine religiöse Sprache zu verwenden. Wenn allerdings kein echter Glaube dahinter ist, wird diese Taktik nicht funktionieren."

    Michael Cromartie bezweifelt, dass die Demokraten die von den Republikanern enttäuschten konservativen Wähler auf ihre Seite ziehen können. Die zentralen politischen Anliegen der evangelikalen Christen seien schlicht nicht deckungsgleich mit denen der demokratischen Partei.

    "Konservative Christen wollen, dass die Ehe auf die Partnerschaft zwischen Mann und Frau beschränkt bleibt, also keine gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Außerdem steht das Verbot von Stammzellenforschung und Abtreibung ganz oben auf ihrer Liste. Bei diesen moralischen und ethischen Fragen wünschen sich evangelikale Christen Politiker mit einem moralischen Kompass, denen sie vertrauen können."

    Und diesen Kompass findet die Mehrheit der Evangelikalen nach wie vor eher bei den Republikanern als bei den Demokraten, vermutet der Experte, zumal einige Forderungen der konservativen Christen von der Bush-Regierung sehr wohl umgesetzt wurden, zum Beispiel als der Präsident die Wunschkandidaten der Konservativen an den Obersten Gerichtshof berief. Allerdings hätten viele Christen eine völlig überzogene Erwartungshaltung an die Politik, so Cromartie.

    "Irgendwie glauben sie, dass das Reich Gottes an Bord der Airforce One kommt. Und das wird einfach nicht passieren! Politik ist ein zäher, langsamer Prozess. Und Ergebnisse sind oft kaum messbar. Aber gerade religiöse Menschen bringen ihre Begeisterung oft mit in die Politik und sind enttäuscht, wenn sich die Dinge nicht über Nacht verändern."

    Ryan Hicks weiß genau, dass Politik viel mit Beharrlichkeit und Geduld zu tun hat. Deshalb macht sich der 19-Jährige nach dem Gottesdienst in der Potter’s House Church of God auf den Weg zum örtlichen Wahlkampfbüro der Republikaner. Als Freiwilliger verteilt er dort Wahlwerbung und ruft unentschlossene Wähler zu Hause an. Es ist wichtig, dass vor allem wir Christen bei dieser Wahl nicht zu Hause bleiben, sagt er.

    "Ich glaube an die Ehe zwischen Mann und Frau, an moralische Werte. Und ich werde alles tun, um diese Anliegen durchzusetzen."