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Radiolexikon: Scheuermannsche Krankheit

Immer wieder diagnostizieren Ärzte Fehlentwicklungen der Wirbelsäule durch langes gebeugtes Sitzen – der sogenannte Schneiderbuckel. Wenn es ganz schlimm wird, hilft nur noch ein Besuch beim Orthopäden, denn dann möglicherweise die Diagnose Scheuermannsche Krankheit stellt.

Von Mirko Smiljanic | 04.01.2011
    Vor allem Jugendliche leiden unter der Wachstumsstörung
    Vor allem Jugendliche leiden unter der Wachstumsstörung (Stock.XCHNG / Beatriz Chaim)
    Universitätsklinik Ulm, Fitness-Center. Maschinen für den Muskelaufbau und für Dehnübungen, fürs Ausdauertraining und Gewebestraffungen.

    "Wir befinden uns hier in unserem Therapiezentrum, ein Raum, der ausgestattet ist, um die der Scheuermanschen Erkrankung zugrunde liegenden muskulären Dysbalancen zielgerichtet anzugehen."

    Dr. Rainer Eckhardt, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am Uniklinikum Ulm.

    "Wir haben dieses Therapiezentrum ganz bewusst so eingerichtet, dass man an einzelnen Stationen zielgerichtet die Muskulatur trainieren kann, haben dazu eine Rückenstraße hier stehen, die computergesteuert misst, wie die muskulären Verhältnisse Rumpfvorderseite zu Rumpfrückseite sind, um hier Unterschiede erst einmal messtechnisch festzulegen, um dann in einem Trainingsprogramm, Therapieprogramm das anzugehen, damit die Rückstreckmuskulatur dort gezielt auftrainiert werden kann."

    Die Scheuermannsche Krankheit beschrieb in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts erstmals der dänische Röntgenarzt Dr. Holger Werfel Scheuermann.

    "Er hat beschrieben eine jugendliche Wachstumstörung der Wirbelsäule."

    Professor Heiko Reichel, Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Ulm.

    "Die im Endstadium zu einer Buckelbildung insbesondere der Brustwirbelsäule führt, die mitunter schmerzhaft sein kann, den Jugendlichen vielleicht noch nicht so sehr plagt, aber im Alter doch durchaus Probleme machen kann."
    Bis zu 30 Prozent der Bevölkerung leiden an der Scheurmannschen Krankheit, wobei männliche Jugendliche vier bis fünf Mal häufiger betroffen sind als junge Frauen. Das sind allerdings nur grobe Schätzungen, die tatsächlichen Zahlen kennt niemand. Viele Jugendliche entwickeln als Folge einer normalen Haltungsschwäche ebenfalls einen Rundrücken beziehungsweise eine Kyphose. Physiologisch normale Kyphosen von krankhaften – dem Morbus Schermann –zu unterscheiden, ist vor allem im Anfangsstadium der Krankheit schwierig. Ausgangspunkt des Morbus Scheurmann ist die Wirbelsäule.

    "Die Wirbelsäule wächst schief, und zwar so, dass sie in den vorderen Anteilen weniger wächst als in den hinteren Anteilen, und das führt zu einer Buckelbildung, zu einer Kyphosierung der Wirbelsäule, weshalb das zum Beispiel auch im Volksmund als Schneiderbuckel, Sitzbuckel, Lehrlingsbuckel bezeichnet wird."

    "Junge, sitzt gerade", sagt dann die Mutter, erzählt vielleicht von Besenstielen, die man früher im Kreuz getragen hat, bis sie merkt, dass der Junge sich gar nicht mehr gerade aufrichten kann. Diese Stadium nennen Orthopäden "fixierte Kyphose".

    Wer die Ursachen der Scheuermannschen Krankheit verstehen will, der muss die Mechanismen des Längenwachstums kennen. Kinder und Jugendliche wachsen in die Länge, weil bei den Wirbelkörpern die untere und obere knorpelige Platten sich nach unten und oben ausdehnen.

    "Bei der Scheuermannschen Erkrankung ist es so, das vordere Anteil dieser knorpelige Platte im Wachstum gehemmt ist und praktisch nur der hintere Anteil stärker wächst und damit der Wirbelkörper in eine Keilform hinein wächst. Und wenn das lange Zeit nicht bemerkt wird, wenn dieses Fehlwachstum nicht korrigiert wird, zum Beispiel durch Krankengymnastik, durch entsprechende Turnübungen oder im Extremfall durch eine Korsettbehandlung, dann kommt es im Extremfall zu einer fixierten Kyphose, also eine fixierte Buckelbildung."

    Warum die knorpeligen Platten plötzlich einseitig wachsen, ist unklar. Die Genetik spielt nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Wichtiger sind falsche Verhaltensweisen. Zwangshaltungen in jungen Jahren können zum Morbus Scheurmann führen, langes Sitzen in der Schule etwa, das Tragen schwerer Taschen aber auch Leistungssport. Kritisch sind Rudern und Radfahren.

    Universitätsklinik Ulm, Fitness-Center. Eine junge Patientin mit einem noch nicht ganz aus ausgeprägtem Morbus Scheurmann hat sich auf eine der Trainingsmaschinen gesetzt.
    "Sie müssen sich jetzt auf diesen Platz positionieren, wichtig ist, dass Sie bei entsprechender Gewichtsbelastung dann die Rückenstreckmuskulatur trainieren, um ein Überwiegen der Beugemuskulatur zu verhindern."

    Rainer Eckhardt justiert die Position des Sitzes, alles muss millimetergenau stimmen.

    "Die Messpunkte sind im Grunde die Drehachse, das heißt, wir haben ne Drehachse, die sich im Bereich der Becken-Hüftschaufel befindet, um dort eine flächige Auflage des Rückens an einem Widerstand zu haben, vielleicht können Sie mal demonstrieren, wie man sich dann bewegen kann."

    Langsam beugt sich die Patientin auf und ab, während im gleichen Rhythmus auf einem Monitor Diagrammsäulen auf- und abschnellen, ...

    "Gut, das ist eine sehr angenehme Übung!"

    Die Scheuermannsche Krankheit entwickelt sich bei Mädchen zwischen dem 11. und dem 15. Lebensjahr und bei Jungen zwischen dem 12. bis 17. Lebensjahr. In diesen Phase entscheidet sich, ob der krumme Rücken auf Dauer erhalten bleibt, oder ob Orthopäden ihn richten können. Grundsätzlich gilt: Je früher die Therapie beginnt, desto höher sind die Erfolgschancen.

    "Wenn das in der Phase der Plastizität der Wirbelsäule, also das Wachstum der Wirbelsäule, noch erkannt wird, dann kann man ein solches Fehlwachstum noch steuern, das heißt, ich kann Einfluss nehmen, dass die vorderen Anteile der Wirbelsäule wieder stärker wachsen, dann kann ich zumindest das Ausmaß des Morbus Scheuermann reduzieren. Wenn das aber erst zu einem Zeitpunkt erkannt wird, wo das Wachstum der Wirbelsäule im Wesentlichen abgeschlossen ist, also sprich bei Jugendlichen von 18, 19, 20, dann kann ich wachstumslenkend nicht mehr eingreifen, dann kann ich nur noch Muskeln kräftigen, umkrümmend einwirken, dass er also nicht in dieser Fehlhaltung verharrt, soweit das möglich ist."

    Mit den Jahren werden die Patienten immer steifer, was wiederum zu Abnutzungserscheinungen der Wirbelkörper führt. In diesem Stadium bleibt nur noch eine Therapie: lebenslange Muskelkräftigung! Damit es soweit erst gar nicht kommt, hilft nur eines: Liebe Eltern, schaut Euch Eure Kinder an!

    "Also, die Eltern sollten erst einmal bei einem wachsenden Jugendlichen, wenn er sehr schnell in die Höhe schießt, darauf achten, dass er eine aufrechte Körperhaltung einnehmen kann. Wenn sie den Verdacht haben, dass er ständig mit einem Buckel da sitzt, mit einem Buckel steht und sich das nicht mehr so richtig passiv aufrichten lässt, dann wäre es wichtig, dass man zeitnah einen Orthopäden, einen Kinderorthopäden am besten aufsucht.

    Bei dieser Bewegung sollte man den Rücken möglichst gerade halten, sollte einen guten flächigen Druck auf das Gerät bringen, vielleicht können Sie das Mal machen, einfach nach hinten sich bewegen und dort gegen drücken und dabei auf den Kopf gerade auszuhalten, soweit das geht, damit will mitgestreckter der Wirbelsäule den Widerstand aufbauen."

    20 Mal drückt sie den Rücken nach hinten, zwanzig mal nach vorne.

    "Das tut manchen schon weh, es haben manche auch schon erzählt, dass es ihnen wehtut, bei den ersten paar Mal, aber dann im Nachhinein doch als sehr angenehm empfunden wird."