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Rätsel einer Römerschlacht

Die Fachwelt war verblüfft: Bei Northeim, am Westrand des Harzes, haben Archäologen ein Schlachtfeld entdeckt, das sich bisher in die Geschichtsschreibung nicht einordnen lässt. Eine römische Armee soll dort gegen einheimische Germanen gekämpft haben - dabei dachte man, die Germanen hätten Rom in der Schlacht am Teutoburger Wald ein für alle Mal aus dem Land geworfen. Und dann tauchten rund 250 Jahre später doch wieder Legionäre tief in Germanien auf?

Von Matthias Hennies | 18.12.2008
    Der Hang im Kiefernwald zeigt ein rätselhaftes Bild. Im schlammigen Boden zwischen den schlanken, hohen Stämmen stecken Stäbe, dicht an dicht, auf denen gelbe Tennisbälle sitzen.

    Dieses Rätsel kann Michael Geschwinde leicht lösen: Jeder gelbe Ball markiert eine Stelle, an der man römische Geschoss-Spitzen gefunden hat, erklärt der Braunschweiger Bezirksarchäologe.

    "Wir haben hier in der Mitte Katapultgeschosse und Pfeilspitzen, die wir geborgen haben. Auf den beiden Flanken haben wir ein ganz anderes Befundbild, dort sind Sandalennägel und Speerspitzen gefunden worden und auch Pfeilspitzen."

    An dem Berghang bei Northeim, am Westrand des Harzes, lässt sich anhand dieser Funde eine Schlacht aus der Antike rekonstruieren - bis in die Einzelheiten. Man erkennt den Anmarschweg der Legionen und ihre Kampftaktik gegen den Feind, der ihnen den Durchzug verwehrte: Massiver Beschuss in der Mitte, Infanterieangriffe auf den Flanken. Eine lange Spur von Nägeln, die aus Sandalensohlen herausgefallen sind, zeigt schließlich, wo es den Römern gelang, sich den Abzug ins angrenzende Flusstal freizukämpfen.

    "Das was hier stattgefunden hat, hat vielleicht eine halbe Stunde oder eine Stunde gedauert. Aber das ist hier perfekt eingefroren. Und das ist ganz und gar ungewöhnlich. Wir haben dazu aus dieser Zeit aus Mitteleuropa keine Parallele."

    Vollkommen überraschend sind Ort und Zeit der Schlacht: Bisher waren die Historiker überzeugt, dass das römische Engagement in Germanien nach der katastrophalen Niederlage im Jahr neun endete. Das Imperium raffte sich in den Jahren 15 bis 16 noch zu einem Rachefeldzug auf, kümmerte sich danach aber nie mehr um das Land zwischen Rhein und Elbe - so dachte man. Doch nun findet sich eine Unmenge römischer Waffen tief im Germanenland, und sie stammen offensichtlich aus dem 3. Jahrhundert - rund 250 Jahre nach der Schlacht am Teutoburger Wald!

    An der Datierung besteht kein Zweifel: Eine Münze, die am Berghang zutage kam, wurde Ende des zweiten Jahrhunderts geprägt. Und die liegengebliebenen Waffen sprechen ebenfalls eine eindeutige Sprache: Formen wie die dreiflügeligen Pfeilspitzen kennt man nur aus dem dritten Jahrhundert. Ist also zu dieser Zeit wieder eine römische Armee durchs Germanenland gezogen? Oder waren die römischen Waffen und Geräte vielleicht Beutegut - und einheimische Stämme kämpften damit?

    "Unmöglich", sagen die Wissenschaftler. Sie haben zahllose Eisenspitzen der schweren Lanzen gefunden, die mit Katapulten verschossen wurden. Und Germanen hatten keine Katapulte. Zudem konnten sie Ausrüstungstücke aus dem schweren Boden bergen, mit denen kein Germane etwas anfangen konnte: Zeltheringe zum Beispiel, oder eiserne Beschläge von Reisewagen.

    Verwirrend bleibt, dass man keine Spur von den Gegnern der Römer fand: Weder Waffen noch Ausrüstung. Doch das ist nicht neu. Germanen erweisen sich heute oft als geisterhaft. Dr. Geschwinde verweist auf die Ausgrabungen in Kalkriese bei Osnabrück, auf dem großen Schlachtfeld, auf dem vermutlich im Jahr neun drei Legionen vernichtet wurden.

    "Das Problem mit den fehlenden germanischen Funden kennen wir aus Kalkriese, da fehlen sie auch. Und ein Großteil des Fundmaterial ist noch gar nicht restauriert. Lassen Sie uns einfach mal abwarten, was da alles noch zutage kommt."

    Vermutlich haben die Germanen nach dem Kampf alles Gerät eingesammelt, das noch brauchbar war - außer den Waffen der Römer. Und das ist wieder erstaunlich, denn römische Waffen waren immer eine willkommene Beute! Selbst wenn man sie nicht mehr benutzen konnte, pflegte man das wertvolle Metall einzuschmelzen.
    Offen ist schließlich auch noch die Frage, warum sich bisher keine Knochen gefunden haben. Auf dem Schlachtfeld von Kalkriese zum Beispiel sind zahllose Knochen von Gefallenen ans Licht gekommen, oft mit charakteristischen Hiebverletzungen.

    "Wenn die Toten nicht bestattet worden sind und auf der Oberfläche rumgelegen haben, dann sind sie binnen einiger Jahre, Jahrzehnte vergangen, von Tieren auseinander gerissen worden, es ist immer die Frage, hat es jemanden gegeben, der sich die Mühe gemacht hat, die Toten hier zu bestatten."

    Ob auch hier auf dem Berghang Gefallene bestattet worden sind, wird sich im kommenden Frühjahr zeigen, wenn systematische Ausgrabungen beginnen.

    Die Historiker hingegen können sich schon jetzt mit der rätselhaften Römerschlacht befassen: Zwei fast vergessene antike Texte berichten nämlich von römischen Feldzügen in Germanien während des dritten Jahrhunderts. Wegen ihrer schlechten Überlieferung hat man diese Quellen bisher nicht ernst genommen. Das neu gefundene Schlachtfeld wirft nun die Frage auf, ob sie vielleicht doch erhellen können, aus welchem Anlass und mit welchem Ziel die Legionäre am Harzrand entlang zogen, Hunderte von Meilen von der Grenze des Römischen Reiches entfernt.