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Rätselhafte Schwäne

Medizin. - Professor Franz Bairlein, Direktor des Instituts für Vogelforschung "Vogelwarte Helgoland" in Wilhelmshaven, hat angesichts der Vogelgrippefälle auf Rügen die konsequente Stallpflicht für Geflügel begrüßt. Ein Übergreifen des Virus auf Hausgeflügel müsse unterbunden werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen sich an Wildvögeln infizieren, sei hingegen außerordentlich gering, betonte Bairlein im Gespräch mit Uli Blumenthal.

Moderation: Uli Blumenthal |
    Blumenthal: Am 8. Februar 2006 hatten Urlauber an der Wittower Fähre auf der Ostsseeinsel Rügen vier tote Schwäne gefunden. Eine Woche später ist die Gewissheit außerordentlich hoch, dass die Vogelgrippe auch Deutschland erreicht hat. Die endgültige Bestätigung, dass zwei der vier toten Höckerschwäne mit dem H5N1-Virus infiziert waren, wird für Donnerstag erwartet. Inzwischen ist von insgesamt 100 toten Schwänen auf Rügen die Rede. Was bedeuten die Vogelgrippe-Befunde auf Rügen für die Verbreitung von H5N1? Darüber möchte ich mit Professor Franz Bairlein sprechen, er ist Direktor des Instituts für Vogelforschung "Vogelwarte Helgoland" in Wilhelmshaven. Herr Bairlein, welche Schlussfolgerungen über die Verbreitungswege und die Gefährlichkeit von H5N1 muss man aus den toten Schwänen ziehen?

    Franz Bairlein: Wir müssen erst einmal feststellen, dass zum einen diese Ausbruchsfälle ein Hinweis sind, dass wir die große Angst, die bisher vor Zugvögeln geschürt worden ist, sehr viel neutraler sehen müssen. Denn zurzeit gibt es nirgendwo ein Vogelzuggeschehen, was eben die ehemals bekannten Ausflugsgebiete mit Rügen verbindet. Jetzt haben wir auf Rügen diese Fälle, und wenn die sich bestätigen - wir müssen sie sehr, sehr ernst nehmen: Zugvögel können aktuell nicht die Überträger gewesen sein, die es kurzfristig in das Gelände gebracht haben. Insofern nehmen wir an, dass uns die toten Schwäne ein Signal dafür geben, dass es eben in den Wildpopulationen bereits ein Reservoir an Grippeviren gibt, nicht nur der nicht direkt pathogenen, sondern möglicherweise auch der hoch pathogenen. Dass wir das jetzt erst entdecken, in dieser Jahreszeit, dass liegt höchstwahrscheinlich daran, dass wir in jedem Jahr nach einem strengen Winter relativ viele Todesfälle gerade auch unter Schwänen haben. In der Vergangenheit haben wir sie einfach nicht genug angeschaut. Heute, wo wir alle sensibilisiert sind, glücklicherweise, gegenüber Vogelgrippe, nehmen wir diese wahr, wir untersuchen sie und entdecken dabei eben das Vogelgrippevirus, was aber möglicherweise schon seit längerem in diesen Beständen vorhanden ist.

    Blumenthal: Heißt das aber auch, wenn wir die Schwäne als Reservoir von pathogenen Viren ansehen müssen, dass wir da auch eine Mutation erlebt haben, die jetzt bei den Schwänen tödlich geendet ist?

    Bairlein: Ich will nicht zwingend ableiten, dass die Schwäne, die jetzt tot gefunden werden, an der Grippe gestorben sind. Sie können ja gestorben sein an der zu dieser Jahreszeit üblichen Nahrungsknappheit, an Nahrungsmangel. Wir untersuchen sie jetzt und entdecken darin eben dann Vogelgrippeviren. Also die Tatsache, dass wir jetzt tote Vögel finden, ist nicht zwingend ein Beleg dafür, dass sie an der Grippe verstorben sind. Aber sie tragen diese. Und jetzt muss man sich natürlich fragen: Wie weit ist der Schwan eine Indikation, ein Anzeiger? Da kann man durchaus annehmen, dass er uns bereits anzeigt, dass wir in anderen Wasservogelbeständen möglicherweise schon seit längerem dieses Grippevirus haben, was aber nicht wirklich sofort tödlich ist, sondern erst dann, wenn es eben jahreszeitlich zu Flaschenhalssituationen in der Ernährung kommt.

    Blumenthal: Gibt es denn so etwas wie eine Auffälligkeit, die man an solchen Tieren beobachten kann? Bei BSE haben wir gelernt, dass diese Tiere sich nicht kontrolliert bewegen können, zuckende Gliedmaßen haben. Kann man einen Schwan oder einem anderen Wasservogel, Wildvogel, irgendwie ansehen, dass er von einem solchen Virus befallen ist?

    Bairlein: Also man kann Wasservögeln draußen ansehen, wenn sie sich krank fühlen, wenn sie krank sind. Sie haben dann in der Regel kein glattes Gefieder mehr, sie sitzen aufgeplustert am Ufer. Mit solchen Symptomen kann man erkennen, ob ein Vogel krank ist. Ein ganz typisches, im Gelände auffälliges Merkmal für die Vogelgrippe gibt es so nicht, so einfach nicht. Man kann es erkennen beispielsweise an Schnabelverfärbungen, an Verfärbungen der nackten Hautteile und ähnliches, aber da muss man schon sehr genau hinschauen.

    Blumenthal: Jetzt soll die Stallpflicht eingeführt werden. Was bedeutet das eigentlich? Wir haben die Wasser- und die Wildvögel, die anderen Geflügeltiere werden eingestallt, und was bedeutet das für die Übertragung unter den Tieren, aber auch für mögliche Übertragungswege Tier-Mensch?

    Bairlein: Ich glaube, das Wichtigste, was wir dabei trennen müssen, ist die Übertragung Tier-Mensch und das andere, Tier-Tier, nämlich aus möglicherweise doch infizierten Wildbeständen hinein in die Geflügelbestände. Hier ist es absolut konsequent, dass wir eine Aufstallung machen, damit wir das Risiko, dass es zum Kontakt hinein zu Hausgeflügelbeständen kommt, minimieren. Denn die Vogelgrippe hieß nicht in der Vergangenheit umsonst "Vogelpest" - sie ist unter Geflügelhaltern und in Geflügelhaltungen eine möglicherweise ganz schlimme Seuche. Das heißt, diesen Weg gilt es zu minimieren, das Risiko zu minimieren, und dazu ist Aufstallung absolut konsequent. Jetzt ist die andere Frage: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir Menschen uns an einem Wildvogel anstecken? Dazu muss man sagen, dass wir bis heute keinen Fall kennen, wo Menschen über Wildvögel sich infiziert haben. Denn es braucht den allerengsten Kontakt, und die wirkliche Vorsichtsmaßnahme, die man treffen sollte, ist, dass wenn man tote Tiere findet, tote Vögel findet, mit denen nicht kuscheln geht sozusagen, also den Intensivkontakt vermeidet. Das ist eigentlich alles, das heißt aber auch auf der anderen Seite nicht, dass wir jetzt nun unsere Wildvogelfütterung beispielsweise einzustellen haben oder ähnliches. Es braucht extrem intensiven Kontakt, diesen gilt es eben mit toten Tieren zu vermeiden. Mit lebenden Tieren, lebenden Wildvögeln kommt man überhaupt nicht den engen Kontakt. Von daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns Menschen an Wildvögeln infizieren, in meinen Augen außerordentlich gering und wir sollten nicht panisch Angst davor haben. Wichtig ist aber zu erkennen, dass durchaus von Wildvögeln ein Kontakt sein könnte über Enten beispielsweise hinein in Hausgeflügel, und den kann man durch die Aufstallung konsequent versuchen zu unterbinden.