Aus ehemals nur potentiellen Lungenkrebspatienten sind inzwischen zusätzlich potentielle Lungenentzündungspatienten geworden. Brauchen tötet. Man verschanzt sich da also lieber in hochglänzenden, lupenreinen Nichtrauchercafés, in Büchern, wo in entscheidenden Situationen Gemüsesaft getrunken und nicht mehr die Kippe mit Lippenstiftspuren nachdrücklich im Ascher versenkt wird. Filme müssen ohne den blauen Dunst der Panikzigarette, der Zigarette danach, ohne das ganze Verlegenheitsgequalme auskommen.
Und niemand denkt noch an Florence Eaton, die Operndiva, die einst die Marke Lucky Strike wegen ihres milden Tabaks als Wohltat für ihre empfindliche Stimme pries. Auch die Werbung wird sich bald nur noch mit Waschmittelsorten und Speiseeis für vernünftig funktionierende Kleinfamilien beschäftigen.
Schluss mit dem Kult, mit diesem Zigaretten-Mythos der sich durch Literatur und Filme zieht und mit dem Mythos von der heilen Familie Schluss macht, wie Don DeLillo in Underworld bemerkt: "Alle Mythen von der Familie kulminieren in der einen, letzten Leidenschaft, der Leidenschaft zu verlassen: Er ging hinaus, um Zigaretten zu kaufen und kehrte nie zurück."
Die Zigarette als Symbol für die Nichtigkeit jeglicher Vorstellung von Dauer, der banale Drang eine zu rauchen als Anlass, das bürgerliche Leben über den Haufen zu werfen, abzuhauen, bevor es zu spät ist und noch einmal von vorn zu beginnen. Nicht nur DeLillos, auch Paul Austers Helden werden also längst zitternd irgendwo in Nevada auf der Straße stehen, wo jetzt überall alles ordentlich enträuchert wird, um wieder mal Durchblick zu haben durch sein einziges vernünftiges Leben.
Na also. Geht doch. Endlich kann man sich auch als Nichtraucher wieder auf der Seite des Randständigen, Bösen, Verruchten fühlen. Man muss nur dem Glauben anhängen, nichts auf der Welt hätte Bestand, es sei denn für die Dauer einer Zigarettenlänge.
Ein völlig unkritisches, affirmatives Buch über Zigarettenwerbung hat da schon fast den Glanz des Verbotenen. Der Autor und Literaturkritiker Thomas Schaefer, der sich selbst als freier Raucher bezeichnet, hat im Satzwerk-Verlag einen Fotoband zur Geschichte der Lucky-Strike herausgegeben. In seinen Begleittexten macht Schaefer keinen Hehl daraus, dem schlichten, aber aufreizenden Marken-Kult des "Sonst nichts" bereits verfallen zu sein.
Was Bekenntnischarakter hat: Autoren wie Schaefer "brauchen keine Vorbilder." So lautete jedenfalls einer der ersten Lucky-Slogans in Deutschland. Und sie sind der lederstiefelknarzenden brachialmännlichen Lagerfeuerromantik einer anderen Zigarettenmarke überlegen, wie Lucky Strike in kurzen Ohrfeigen an die Konkurrenz vermerkt: "Weniger als 5 Prozent unserer Raucher haben ein eigenes Pferd."
Seit 1989 fällt das auf eine Kernidee reduzierte, selbstironische Werbekonzept einer der ersten großen amerikanischen Zigarettenmarken auf, das mit Traditionen des Comic-Strip spielt und wie eine Bildergeschichte in Serie funktioniert: man hält immer nach dem nächsten Plakat Ausschau. Damit ist indirekt bereits ein Kommentar zur Abhängigkeit gegeben; eine Abhängigkeit, die auch Nichtraucher erfaßt. "Rauchen Sie Werbung oder Zigaretten?" heißt es in einem der inzwischen berühmtesten Lucky-Slogans. Denn schließlich weckt die Lucky-Kampagne die größte aller Illusionen: mit Sprachwitz und frecher Nüchternheit nimmt sie die Werbewelten auf die Schippe und erweckt so den Eindruck, dass es gelingen könnte, hinter jegliche Art von Illusion zu kommen.
Das Konzept ist einfach: Die Schachtel selbst ist der Hauptdarsteller, ihre Kurzstory wird in der Headline erzählt. Innerhalb dieses Rahmens lassen sich die Inhalte endlos variieren. Die Pointen orientieren sich am aktuellen Tagesgeschehen, an Jahrestagen oder anderen Werbekampagnen. "Bild dir deine Packung ein" lautet die Überschrift auf einem Plakat, von dem die sonst im Mittelpunkt stehende Lucky-Packung verschwunden ist. Vom Lucky-Weihnachtsbaum aus Zigarettenschachteln dürfte inzwischen bekannt sein, dass er "nicht nadelt, kein Wasser braucht und gut brennt." Und der Beginn einer neuen "Luckyslaturperiode" wurde ebenfalls zum passenden Termin an Litfaßsäulen und Bushaltestellen verkündet.
Die besten der Plakate sind jetzt in Schaefers Band endlich schön übersichtlich zusammengetragen und zum Teil großformatig abgedruckt. Außerdem ist einiges über die teilweise absurde Werbegeschichte der Marke zu erfahren. Nicht nur Marlene Dietrich, die Fliegerin Amelia Eartheart oder später Künstler wie Keith Haring bewarben bereits Lucky Strike.
Die Zigarette wurde in Amerika kurzfristig sogar als Diätmittelersatz angepriesen. Als sie im Zweiten Weltkrieg mit den GI´s erstmalig nach Europa kam, wurde in Deutschland eine einzige Zigarette für sechs Reichsmark gehandelt, das bedeutete sechs Stunden Arbeit. Die damals noch grüne Verpackung wurde allerdings bald zu teuer. Da die Armee grüne Farbe in rauen Mengen benötigte, trieb sie den Farbenpreis in die Höhe. Die Schachtel musste relaunched werden.
Die heutige Packung ist einem Entwurf des Star-Designer Raymond Loewy zu verdanken, der unter anderem dem Montblanc-Füller, der Shell-Tankstelle oder der Cola Flasche ein unauslöschliches Outfit verpasste. Auch das ist bereits wieder Literatur. Don DeLillo schreibt in Underworld: "Die Packung hat ein Design, das leicht ein Zielscheibe genannt werden könnte und auch wieder nicht -es gibt keinen kleinen Kreis im Zentrum oder ein Bullauge. Es gibt einen großen roten Kreis mit einer weißen Begrenzung und dann einen engeren, hellbraunen Ring und schließlich einen dünnen schwarzen Ring, und so lange man die Definition eines Bullauges oder die Definition einer Zielscheibe nicht erweitert, kann man das Lucky Strike-Logo nicht unbedingt eine Zielscheibe nennen. Aber ich nenne es trotzdem eine Zielscheibe, und scheiß auf die Definitionen."
Dass die uramerikanische Filterzigarette von Lucky Strike ausgerechnet 1989, im Jahr der Wende, auf dem deutschen Markt erschien, ist vielleicht eine der skurrilsten Informationen aus Schaefers unterhaltsamem und ansprechend gestaltetem Fotoband.
Thomas Schaefer
Lucky Strike - Die Werbung
Satzwerk-Verlag, 93 S., EUR 39,-
Und niemand denkt noch an Florence Eaton, die Operndiva, die einst die Marke Lucky Strike wegen ihres milden Tabaks als Wohltat für ihre empfindliche Stimme pries. Auch die Werbung wird sich bald nur noch mit Waschmittelsorten und Speiseeis für vernünftig funktionierende Kleinfamilien beschäftigen.
Schluss mit dem Kult, mit diesem Zigaretten-Mythos der sich durch Literatur und Filme zieht und mit dem Mythos von der heilen Familie Schluss macht, wie Don DeLillo in Underworld bemerkt: "Alle Mythen von der Familie kulminieren in der einen, letzten Leidenschaft, der Leidenschaft zu verlassen: Er ging hinaus, um Zigaretten zu kaufen und kehrte nie zurück."
Die Zigarette als Symbol für die Nichtigkeit jeglicher Vorstellung von Dauer, der banale Drang eine zu rauchen als Anlass, das bürgerliche Leben über den Haufen zu werfen, abzuhauen, bevor es zu spät ist und noch einmal von vorn zu beginnen. Nicht nur DeLillos, auch Paul Austers Helden werden also längst zitternd irgendwo in Nevada auf der Straße stehen, wo jetzt überall alles ordentlich enträuchert wird, um wieder mal Durchblick zu haben durch sein einziges vernünftiges Leben.
Na also. Geht doch. Endlich kann man sich auch als Nichtraucher wieder auf der Seite des Randständigen, Bösen, Verruchten fühlen. Man muss nur dem Glauben anhängen, nichts auf der Welt hätte Bestand, es sei denn für die Dauer einer Zigarettenlänge.
Ein völlig unkritisches, affirmatives Buch über Zigarettenwerbung hat da schon fast den Glanz des Verbotenen. Der Autor und Literaturkritiker Thomas Schaefer, der sich selbst als freier Raucher bezeichnet, hat im Satzwerk-Verlag einen Fotoband zur Geschichte der Lucky-Strike herausgegeben. In seinen Begleittexten macht Schaefer keinen Hehl daraus, dem schlichten, aber aufreizenden Marken-Kult des "Sonst nichts" bereits verfallen zu sein.
Was Bekenntnischarakter hat: Autoren wie Schaefer "brauchen keine Vorbilder." So lautete jedenfalls einer der ersten Lucky-Slogans in Deutschland. Und sie sind der lederstiefelknarzenden brachialmännlichen Lagerfeuerromantik einer anderen Zigarettenmarke überlegen, wie Lucky Strike in kurzen Ohrfeigen an die Konkurrenz vermerkt: "Weniger als 5 Prozent unserer Raucher haben ein eigenes Pferd."
Seit 1989 fällt das auf eine Kernidee reduzierte, selbstironische Werbekonzept einer der ersten großen amerikanischen Zigarettenmarken auf, das mit Traditionen des Comic-Strip spielt und wie eine Bildergeschichte in Serie funktioniert: man hält immer nach dem nächsten Plakat Ausschau. Damit ist indirekt bereits ein Kommentar zur Abhängigkeit gegeben; eine Abhängigkeit, die auch Nichtraucher erfaßt. "Rauchen Sie Werbung oder Zigaretten?" heißt es in einem der inzwischen berühmtesten Lucky-Slogans. Denn schließlich weckt die Lucky-Kampagne die größte aller Illusionen: mit Sprachwitz und frecher Nüchternheit nimmt sie die Werbewelten auf die Schippe und erweckt so den Eindruck, dass es gelingen könnte, hinter jegliche Art von Illusion zu kommen.
Das Konzept ist einfach: Die Schachtel selbst ist der Hauptdarsteller, ihre Kurzstory wird in der Headline erzählt. Innerhalb dieses Rahmens lassen sich die Inhalte endlos variieren. Die Pointen orientieren sich am aktuellen Tagesgeschehen, an Jahrestagen oder anderen Werbekampagnen. "Bild dir deine Packung ein" lautet die Überschrift auf einem Plakat, von dem die sonst im Mittelpunkt stehende Lucky-Packung verschwunden ist. Vom Lucky-Weihnachtsbaum aus Zigarettenschachteln dürfte inzwischen bekannt sein, dass er "nicht nadelt, kein Wasser braucht und gut brennt." Und der Beginn einer neuen "Luckyslaturperiode" wurde ebenfalls zum passenden Termin an Litfaßsäulen und Bushaltestellen verkündet.
Die besten der Plakate sind jetzt in Schaefers Band endlich schön übersichtlich zusammengetragen und zum Teil großformatig abgedruckt. Außerdem ist einiges über die teilweise absurde Werbegeschichte der Marke zu erfahren. Nicht nur Marlene Dietrich, die Fliegerin Amelia Eartheart oder später Künstler wie Keith Haring bewarben bereits Lucky Strike.
Die Zigarette wurde in Amerika kurzfristig sogar als Diätmittelersatz angepriesen. Als sie im Zweiten Weltkrieg mit den GI´s erstmalig nach Europa kam, wurde in Deutschland eine einzige Zigarette für sechs Reichsmark gehandelt, das bedeutete sechs Stunden Arbeit. Die damals noch grüne Verpackung wurde allerdings bald zu teuer. Da die Armee grüne Farbe in rauen Mengen benötigte, trieb sie den Farbenpreis in die Höhe. Die Schachtel musste relaunched werden.
Die heutige Packung ist einem Entwurf des Star-Designer Raymond Loewy zu verdanken, der unter anderem dem Montblanc-Füller, der Shell-Tankstelle oder der Cola Flasche ein unauslöschliches Outfit verpasste. Auch das ist bereits wieder Literatur. Don DeLillo schreibt in Underworld: "Die Packung hat ein Design, das leicht ein Zielscheibe genannt werden könnte und auch wieder nicht -es gibt keinen kleinen Kreis im Zentrum oder ein Bullauge. Es gibt einen großen roten Kreis mit einer weißen Begrenzung und dann einen engeren, hellbraunen Ring und schließlich einen dünnen schwarzen Ring, und so lange man die Definition eines Bullauges oder die Definition einer Zielscheibe nicht erweitert, kann man das Lucky Strike-Logo nicht unbedingt eine Zielscheibe nennen. Aber ich nenne es trotzdem eine Zielscheibe, und scheiß auf die Definitionen."
Dass die uramerikanische Filterzigarette von Lucky Strike ausgerechnet 1989, im Jahr der Wende, auf dem deutschen Markt erschien, ist vielleicht eine der skurrilsten Informationen aus Schaefers unterhaltsamem und ansprechend gestaltetem Fotoband.
Thomas Schaefer
Lucky Strike - Die Werbung
Satzwerk-Verlag, 93 S., EUR 39,-