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Raus aus Polen!

Im Jahr 1968 startete die polnische Staatsführung in Polen eine antisemitische Hetzkampagne. Juden verloren ihre Arbeit, waren Repressalien ausgesetzt, einige begingen Selbstmord. 20.000 bis 25.000 Menschen verließen das Land und verloren mit ihrer Ausreise auch die polnische Staatsbürgerschaft. Auch zum 40. Jahrestag der Vertreibung sorgt das Thema in der polnischen Gesellschaft für Diskussionen.

Von Frank Hessenland |
    'Danziger Bahnhof' ist ein kleiner Film über ein großes Thema: Antisemitismus in Polen. Genauer gesagt, erinnert er an das Ende des polnischen Judentums, das die nationalkommunistische Führung unter Parteichef Wladislaw Gomulka 1967 mit einem Federstrich beschloss. Die 54-jährige Dokumentarfilmerin Maria Zmarz-Koczanowicz, die in Polen bekannt ist für ihr Interesse an menschlichen Geschichten hinter den großen geschichtlichen Zusammenhängen, reiste vor zwei Jahren zu einem Klassentreffen polnischer Rentner nach Ashkelon in Israel. Dort ließ sie sich die immergleiche Geschichte in individuellen Versionen erzählen: Wie 1967 nachdem Israel den Sechs Tage Krieg gegen Ägypten und Jordanien gewonnen hatte, die polnische kommunistische Parteiführung auf die verrückte Idee kam, ihre jüdischen Mitbürger und Genossen sämtlich - quasi als Rache für die Araber- aus dem Land zu schmeißen. Und wie sie diese Idee durchsetzte. Für die meisten Betroffenen im Film eine immer noch stark schmerzende Erinnerung.:

    " Das ist eine sehr schwierige Erfahrung gewesen. Ich habe geweint damals vom Danziger Bahnhof bis Wien, da waren wir eine Woche und als wir ins Flugzeug nach Israel gestiegen sind, habe ich eine Allergie bekommen, vermutlich psychosomatisch und mein halber Körper schwoll an, auch meine Stimmbänder, so konnte ich überhaupt nicht sprechen. Polen war mein Platz, ich konnte mir nichts anderes vorstellen. "

    20.000 bis 25.000 Juden mussten sich bei den Staatssicherheitsbehörden melden. Dort wurde Ihnen die Staatsbürgerschaft aberkannt, sie hatten ihre Möbel zu verkaufen, die Wohnung zurückzugeben, bekamen ein Ausreisedokument, ein Ticket in den Westen, nach Wien, von dort einen Flug nach Israel. Innerhalb von Tagen fanden sie sich mit ein paar Koffern, dicken polnischen Pelzjacken in der Wüste unter Palmen wieder, ohne ein Wort der Landessprache hebräisch zu sprechen, ohne wen zu kennen - nur mit 5 $ pro Familie in der Tasche, die hatten die polnischen Behörden ihnen auf die Reise mitzunehmen gestattet, nicht einen Cent mehr. Israel nahm sie auf, einige blieben, andere gingen nach Europa oder Amerika. Viele haben dort ihr Glück gemacht. Doch -ähnlich wie viele deutsch-jüdische überlebende der Nazizeit- blieben auch die Zwangs-Ausgewanderten Polens trotzig ihrer polnischen Kultur verhaftet, welche Staatsbürgerschaft sie auch immer annahmen.

    " Ich habe alles aus Polen. Ich habe Tischdecken, gehäkelte Servietten, gehäkelte Blusen. Meine Töchter tragen sie manchmal nach 27 Jahren, aber selten damit man nicht viel waschen muss, damit sie nicht zerfallen. Aber ich denke jetzt bin ich nun ganz sicher Israelin. "

    Der Film "Danziger Bahnhof" lässt sechs von ihnen ihre Geschichte - jetzt nach 40 Jahren - erzählen, collagiert die Interviews mit Familienbildern, Wochenschauausschnitten, Radio- und Zeitungsdokumenten. Immer wieder zeigt er auch Bilder der Bahnhöfe und Schienen von denen die polnischen Juden abfuhren. Regisseurin Zmarz-Koczanowicz verzichtet auf Erklärungsversuche: Was hat die polnische Führung unter Parteichef Gomulka bewogen, Leute zu tausenden aus dem Land zu werfen, deren Familien dort seit Jahrhunderten wohnten, die gerade den Holocaust überlebt hatten, mit den Kommunisten gemeinsam gekämpft und sogar führende Genossen geworden waren. War es wirklich die Strafe für den gewonnenen Krieg Israels gegen die Araber, war es Angst vor einer vermuteten Illoyalität der polnischen Juden, die nie Entschädigung für die von Polen übernommenen Dörfer und Flächen der vier Millionen von Deutschen ermordeten Juden gesehen haben? Oder wollte einfach eine junge Führungsclique unter Innenminister Mieczyslaw Moczar nur Platz in der Partei und der Gesellschaft für ihre Karrierewünsche schaffen? Der Film 'Danziger Bahnhof' hat darauf keine Antwort. Das muss er auch nicht. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Diskussion in Polen reicht die einfache Erinnerung an diese vergessene, verdrängte Episode polnischer Geschichte aus, um weitere Fragen auszulösen.