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Razzien, Festnahmen, Repressionen in Weißrussland

Meinungs-und Pressefreiheit ist seine Sache nicht: Der letzte Diktator Europas, wie Weißrusslands starker Mann Lukaschenko völlig zu Recht genannt wird, geht immer rücksichtsloser gegen Journalisten vor - nun auch gegen Auslandskorrespondenten aus Polen.

Von Florian Kellermann | 19.01.2011
    In der Redaktion hängt ein Foto an der Wand: Eine Gruppe von Journalisten schaut in die Kamera, die einen ein bisschen ängstlich, die anderen verhalten optimistisch. "Wahlabend", steht in orangefarbenen Buchstaben unter dem Bild. Das war der 19. Dezember, der Tag der Präsidentenwahl. Die Redakteure des Fernsehsenders Bielsat hofften damals, dass Weißrussland einen Schritt in Richtung Demokratie macht. Ihre Freude nahm zu, als sie hörten, dass in Minsk Zigtausende auf die Straße gingen und gegen die Fälschung der Wahl demonstrierten.

    Nachrichtenchef Alaksei Dzikavitski erinnert sich:

    "Wir haben zum ersten Mal einen echten Wahlabend veranstaltet - mit Politikern aus dem Präsidentenlager und von der Opposition. Im staatlichen Fernsehen gibt es so etwas nicht. Da ahnten wir noch nicht, dass in jener Nacht fast 700 Menschen verhaftet und viele zusammengeschlagen werden sollten."

    Bielsat konnte objektiv und ohne Zensur über die Ereignisse berichten, weil sich der Sender in Polen befindet - und von hier aus in das nördliche Nachbarland ausstrahlt. Er wird vor allem aus dem polnischen Haushalt finanziert. An jenem Wahltag verloren die Redakteure nicht nur die Hoffnung auf einen demokratischen Wandel in Weißrussland. Gleichzeitig wuchs die Sorge um ihre Mitarbeiter vor Ort. Allein für die Nachrichtenabteilung von Alaksei Dzikavitski arbeiten in Weißrussland rund 30 Kollegen:

    "Drei unserer Journalisten wurden verhaftet und mehrere Tage festgehalten. Viel schlimmer ist aber, was unseren Kollegen noch droht. Es gibt Hinweise, dass sie nach Artikel 293 des Strafgesetzbuches angeklagt werden sollen: Er betrifft unter anderem die Organisation von Massen-Unruhen. Der Artikel sieht eine Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren vor."

    Beinahe täglich fanden deshalb in den vergangenen Wochen Hausdurchsuchungen bei den Journalisten statt. Betroffen waren die Vertreter fast aller Auslandsmedien in Weißrussland. Der Geheimdienst suchte besonders nach Fotos oder Aufnahmen von den Demonstrationen am Wahlabend. Sie wären für die Staatsmacht ja der Beweis, dass sie Journalisten teilnahmen. Dass sie dabei ihren Beruf ausübten, nützt ihnen nichts: Die meisten Mitarbeiter unabhängiger Medien bekommen in Weißrussland keine Akkreditierung - und gelten deshalb offiziell nicht als Pressevertreter.

    Eine Gefängnisstrafe droht auch vielen anderen, die sich am Wahlabend in der Minsker Innenstadt aufhielten. Die unabhängigen Journalisten sind der Staatsmacht aber besonders ein Dorn im Auge. Alaksei Dzikavitski hat dafür eine plausible Erklärung. Vor der Wahl ließ der weißrussische Präsident Aleksander Lukaschenko zum ersten Mal vereinzelt auch kritische Stimmen zu, in den Zeitungen, im Radio und sogar im Staatsfernsehen. Sie trugen dazu bei, dass der autoritäre Herrscher bei der Wahl deutlich schlechter abschnitt als noch vor fünf Jahren. Lukaschenko habe so die Macht einer zumindest teilweise freien Presse gespürt, sagt Dzikavitski:

    "Neun Oppositionskandidaten sind vor der Wahl im Radio und im Fernsehen frei aufgetreten und haben Lukaschenko kritisiert. So etwas gab es seit 16 Jahren nicht mehr. Meine Tante auf dem Dorf hat mir berichtet, wie erstaunt die Menschen waren. Und das Ergebnis? Bei der Wahl haben nur 31 Prozent für Lukaschenko gestimmt. Das hat eine unabhängige soziologische Untersuchung ergeben. Es hätte also eigentlich einen zweiten Wahlgang geben müssen - mit ungewissem Ausgang."

    Die Europäische Union hatte Weißrussland vor der Wahl dazu gedrängt, die Zensur der Presse zu lockern. Ohne Fortschritte bei der Pressefreiheit keine Annäherung, hieß es aus Brüssel. Nun muss der Westen darauf reagieren, dass Lukaschenko seine Versprechen bricht. Polen verhängte gestern bereits ein Einreiseverbot für zahlreiche weißrussische Funktionäre. Für den Nachrichtenchef Dzikavitski ist das der richtige Weg. Vor allem junge Mitglieder des Regimes dürften sich hart getroffen fühlen, wenn sie nicht mehr im Westen Urlaub machen können, meint er.
    Den Journalisten und Oppositionellen, die vom Geheimdienst heimgesucht werden, nützt das aber erst einmal nichts:

    "Wenn sie verhaftet werden,können wir für sie nur zwei Dinge tun: Ihre Familien unterstützen und so laut schreien, wie es geht, damit die Welt von ihnen erfährt."