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re:publica
Sascha Lobo und der Vogel-Vergleich

Die Internetgemeinde unterstütze ihre Institutionen nicht genug, beklagte der deutsche Internet-Guru Sascha Lobo auf Deutschlands größter Netz- und Gesellschaftskonferenz re:publica in Berlin. Sein Vorwurf: Die Eltern der Blogger spendeten mehr Geld für die Bekassine als die Netzaktivisten an die Internet-Lobby. Er erntete dafür Lob und Spott.

Von Moritz Metz | 10.05.2014
    Der Blogger und Journalist Sascha Lobo spricht auf der Internetkonferenz Republica in Berlin.
    Der Blogger und Journalist Sascha Lobo spricht bei einer Keynote auf der re:publica. (Britta Pedersen, dpa picture-alliance)
    Donnerstagnachmittag. Ein rollkofferziehender Gast nach dem anderen verlässt das Gelände der Station Berlin. Heute ist letzter Tag der Netz-Konferenz re:publica, die im achten Jahr vielleicht so politisch war wie nie - der Snowden-Enthüllungen wegen.
    "Nimmst du davon mehr Wut nach Hause, willst du dich netzpolitisch jetzt mehr engagieren?"
    "Es geht. Da stecke ich noch nicht tief genug drin in der Szene, glaube ich. Bis jetzt war ich noch nicht so aktiviert dadurch."
    Begonnen hatte die re:publica am Dienstag mit einer wütenden Publikumsbeschimpfung. Der deutsche Internet-Guru und regelmäßige re-publica-Redner Sascha Lobo machte der versammelten "Netzgemeinde" harte Vorwürfe. Mit dem Foto eines Vogels.
    Lobo: "Dieser Vogel, der ist euren Eltern viel mehr wert als das gesamte Internet für euch."
    Die Bekassine, der Vogel des Jahres 2013, sie erhalte weitaus mehr Spenden als die gesamte Internet-Lobby, so Lobo. Allein der Bayerische Vogelschutzbund mit seinen 120 Mitarbeitern und seinem Jahresbudget von zehn Millionen Euro und 75.000 freiwilligen Helfern übertreffe die Internet-Aktivisten in allen Bereichen.
    Lobo: "Und die kümmern sich um die Bekassine. Und sie tun das von den Spenden eurer Eltern."
    Totalberwachung, Kontrollsucht, Spähfanatismus - mit unterhaltsamen aber wutentbrannten Worten führte Sascha Lobo weiter aus, dass die Internet-Gemeinde in Punkto Lobbyismus vollends versagt habe - während die Bundesregierung behaupte, es gäbe es keinen Skandal. Und die Eltern der Blogger für Vögel spenden.
    Lobo: "Ihr habt versagt, was die finanzielle Unterstützung der Institutionen angeht, die für uns das Internet ungefähr so versuchen, so zu halten, dass man es gerade noch frei, offen und sicher nennen kann."
    Die bisherige "Hobby-Lobby für ein freies Internet" müsse sich professionalisieren, so Lobo. Doch diese, beziehungsweise die 1.200 Zuschauer in Saal 1 reagierten unterschiedlich. "Lobo nervt" war bei Twitter fast genauso oft zu lesen wie euphorisches Lobo-Lob. Vielen schienen jedoch Twitter-Witzeleien wie "Lobo hat 'nen Vogel" mehr zu bedeuten als gemeinsam fürs freie Netz zu kämpfen. Ist der -in den Mainstream gewachsenen - Internetszene der Bezug zur Netzpolitik verlorengegangen? Der Bloggerin Patricia Cammarata missfällt die Haltung von Lobos "Rede zur Nation".
    Cammarata: "Ich habe selber darüber gebloggt dass es mich total nervt: dieses Ausgeschimpftwerden. Weil das kenne ich von meinen Kindern. Wenn ich die schimpfe oder immer wieder das Gleiche von ihnen verlange, dann verändert sich im Verhalten gar nichts - dann Ohren zu und dann war's das."
    Nicolas Semak ist Podcaster und schon lange bei der re:publica dabei.
    Semak:"Ich glaube, die Wut im Publikum reicht nicht aus. Die Leute haben alle genug Geld, genug zu essen, genug Spaß, irgendwie Jobs. Und ich glaube, dass das eigentlich die Gründe sind, die die Leute normalerweise zum Aufstehen bringen, also wenn soziale und wirtschaftliche Not besteht. Und diese abstrakte Wissen, dass eine Überwachung stattfindet und das, was Snowden da bekannt gemacht hat, das reicht einfach nicht um die Wut zu entwickeln, Lobo da zu folgen."
    Dabei forderte Lobo den laschen Netznachwuchs gar nicht auf, auf die Straße zu gehen; mehr Spenden an netzpolitische Lobby-Vereine würden genügen.
    Bei seiner Organisation habe Lobo bereits dadurch mehr Spenden ausgelöst als Snowden im letzten Jahr, sagt Markus Beckedahl, Sprecher der "digitalen Gesellschaft e.V." und Mitveranstalter der re:publica.
    Beckedahl: "Wir haben nach Snowden nicht unbedingt einen Zuwachs bemerkt - wir bemerken aber jetzt gerade in den letzten zwei Tage einen Zuwachs, seitdem Sascha Lobo dafür geworben hat, uns zu unterstützen."
    Auch am Rollkoffer-Highway der abreisenden re:publica-Besucher hat sich zumindest ein Hauch von Netzaktivismus eingestellt - vielleicht dank dem geflügelten Bekassinen-Vergleich.
    "Ich weiß nicht ob ich jetzt unbedingt Aktivist geworden bin - aber ich weiß, worüber ich mit meinen Eltern sprechen kann. Einfach dieses: wir twittern nur und die Leute zahlen - das finde ich ist so griffig - das Narrativ hat gefehlt irgendwie."
    "Hmm, Ja, ich habe lange schon über dieses Thema nachgedacht - auch Facebook und vielleicht - eher vor dem Hintergrund Datenschutz - und sich da rauszuziehen, das ist in meinem Kopf hängengeblieben - aber das war auch vorher schon der Fall."